Mit dem Mund riechen

Mit dem Mund riechen
Eine Tour durch Wiener Grätzel lehrt, Lebensmittel mit allen Sinnen wahrzunehmen

Elisabeth Buchinger nimmt die Praline in den Mund und hält sich die Nase zu. Nach ein paar Sekunden nimmt sie die Finger weg. „Ich erlebe zunächst den Geschmack auf der Zunge. Wenn ich die Nase öffne, kommen die Fruchtnoten und Röstaromen noch intensiver hervor.“ Die Aromen gelangen von der Mundhöhle in den Nasenraum.

Mit dem Mund riechen
Gemüse, Markt, Hannovermarkt, kulinarische Späzialitäten Verkostung
Buchinger istSensorikerin. Sie testet Lebensmittel oder bildet Verkostungsgruppen aus. Gemeinsam mit derBloggerinBianca Gusenbauer will sie Menschen bei einer „Sinnestour“ durch Wiener Grätzel beibringen zu genießen. „Bisher nehmen Menschen das Thema Genuss nur als Freizeitphänomen wahr. Sie besuchen am Wochenende eine Kulinarik-Veranstaltung oder kochen groß auf. Unter der Woche gehen sie wieder ihren Gewohnheiten nach, essen schnell und unbedacht.“ Die Sensorikerin will ihnen zeigen, mit welchen Sinnen sie Aromen wahrnehmen. Zum Beispiel das von Schokolade. Aber die gibt’s erst zum Schluss. Zuvor müssen sich die 15 Teilnehmer aus Ober- und Niederösterreich sowie Wien einer Aufgabe stellen.

Finde den Apfel

Treffpunkt Hannovermarkt, Brigittenau. Szenelokale und teure Delikatessen sucht man hier vergebens. Zwischen Gurken, Orangen, Karotten und Melanzani sollen die Teilnehmer einen süßen Apfel suchen. Beratung vom Marktstandler fällt unter Schummeln. Nach zehn Minuten bringen sie ihre Beute: kleine, große, grüne, gelbe und rote Äpfel. Die zwei Genuss-Expertinnen schneiden das Obst in Spalten und verteilen es auf Pappteller. Eine Teilnehmerin ist nach kurzer Zeit überzeugt: Sie hat die süßeste Frucht gefunden. Der Mann neben ihr greift zu einem saftig-roten Apfel, muss aber feststellen, dass dieser nur wenig Geschmack hat. „Optik und Farbe beeinflussen uns beim Einkauf“, erklärt Buchinger. „Und sie helfen nicht immer, die richtige Entscheidung zu treffen.“

Mit dem Mund riechen
Gemüse, Markt, Hannovermarkt, kulinarische Späzialitäten Verkostung
Nach der Apfel-Degustation gibt es beim türkischen Marktstandler „Gözleme“ warme Fladenbrote gefüllt mit Spinat und Schafkäse. Eine Frau sieht der Chefin beim Ausrollen des rohen Teigs über die Schulter. Sie ist begeistert und kauft ein Stück. „Ich probier das zu Hause aus.“ Unbekannte Speisen, Gewürze testen und kombinieren sind für Bianca Gusenbauer gute Beispiele, um im Alltag zu genießen. Das verlangt Zeit und Ruhe. „Ich versuche mich aufs Essen zu konzentrieren und vermeide daneben Zeitung zu lesen oder im Internet zu surfen. Das fällt mir oft schwer.“

Ortswechsel. Nach einem kurzen Fußmarsch und Zwischenstopp in einer Kaffeerösterei kommt die Gruppe im Servitenviertel im 9. Bezirk an. In einem Gewürzladen gibt es die nächste Geschmacksprobe. Elisabeth Buchinger reicht eine Schüssel mit schwarzem Kubeben-Pfeffer durch die Runde. Sie nimmt drei Körner und zerbeißt sie langsam zwischen den Zähnen. Die anderen machen es ihr nach. Ein scharfes, erfrischendes Gefühl breitet sich in der Mundhöhle aus. „Schmeckt ihr, wie sich die ätherischen Öle ausbreiten?“, fragt sie und fügt hinzu: „Das Zitrusaroma kommt sehr gut hervor.“ Einer Frau ist es zu intensiv. Sie greift zu Weißbrot und Wasser. „Das neutralisiert den Geschmack“, erklärt Buchinger. Und weil beim Verkosten auf Scharfes Süßes folgen soll, besuchen sie abschließend eine Schokoladenmanufaktur. Auch Pralinen wollen sorgfältig verkostet werden. Termine und Infos unter: www.wienersinnestour.com

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