Wie essen wir morgen?

Hanni Rützler: "Bei uns braucht’s oft noch Hallen, damit die Szene zusammenkommt. In Skandinavien etwa funktioniert das ganz anders. Da ist es Street Food, das auf der Straße stattfindet."
Das Essverhalten passt sich immer mehr den Rhythmen des Alltags an. Heute ist es ein Stilmittel, das bis zur Selbstinszenierung genutzt wird.

Cavalli tut es, Missoni ebenfalls und auch Bulgari oder Versace. Wir reden nicht von der Arbeit an den nächsten Winter- oder Frühjahrskollektionen, sondern von Restaurants. Essen ist ein derartig zentrales Thema der Alltagskultur geworden, dass es nun sogar dort stattfindet, wo man es nie erwarten würde. Zum Beispiel im Haute-Couture-Flagshipstore.

Wie essen wir morgen?
kochen mit Hanni Rützler,
Gut zu essen ist längst keine Domäne klassischer Restaurants mehr. Vielmehr findet es immer und überall statt. Ob im Privaten oder im öffentlichen Raum – fast niemand lässt derzeit dieses Thema aus. Das zeigt der aktuelle "Food Report 2016" des Zukunftsinstituts. "Sogar starke Marken wie Ralph Lauren oder Urban Outfitters haben das darin liegende Potenzial erkannt und überlegen sich Inszenierungen, die zu ihrem Image passen", sagt Food-Trend-Autorin Hanni Rützler. Natürlich mit Hintergedanken. "Kulinarische Angebote in Non-Food-Shops erhöhen die Verweildauer." Das Ziel sei ein "sinnliches Gesamterlebnis".

Raum für kleine Produzenten

Diese Ausweitung ist nur ein kleiner, aber äußerst spannender Aspekt der aktuellen Trends in der Food-Szene. Denn er zeigt, wie intensiv die Foodbranche derzeit ständig neu erfindet. Der deutsche Gastrokritiker Clemens Niedenthal vergleicht die momentane Lage mit jener der Tonträgerindustrie Ende der 1990er-Jahre. Das heißt, klassische Vertriebskanäle gehen verloren.

Wie essen wir morgen?
Das eröffnet wiederum kleinen Produzenten mehr Spielraum. In Wien ist der Bezirk Neubau so ein kleines Biotop für kulinarische Trendnischen. Seit einigen Monaten offeriert die "Swing Kitchen" vegetarische Burger und "Dancing Shiva" etabliert sich als Rohkost-Restaurant, das auf sogenannte Superfoods wie Acaibeere, Chlorella-Algen oder Maca-Wurzeln setzt. Das hat auch Hanni Rützler festgestellt. "Innerhalb der einzelnen Kulturräume herrscht eine große Vielfalt an Trends. Den einzigen, großen Food-Trend gibt es allerdings auch diesmal nicht."

Essen im Designershop

Food-Trends zeigen für Rützler immer Lebensgefühle und Sehnsüchte auf. "In ihnen spiegeln sich längerfristige gesellschaftliche Veränderungsbewegungen sowie der kulturelle Wertewandel wider." Da bedient etwa der eingangs erwähnte Trend vom Essen im Designershop das Bedürfnis nach Individualisierung, Mobilität oder Globalisierung.

Wie essen wir morgen?
Kosher for . . . Ausstellung im Jüdischen Museum
Hingegen zeigt sich das Bedürfnis für mehr Gesundheit und Bewusstsein in der Ernährung in religionsähnlichen Zügen – allerdings nicht im klassischen Sinn. Es geht dabei eher um Grundsätze, an die man glaubt, nach denen man sich im Alltag und beim Essen richtet. In Österreich etwa ist es derzeit noch gesellschaftlicher Diskurs, "Essen eher auf moralischer Ebene abzuhandeln", sagt die Trend-Expertin. "Aber im anglo-amerikanischen Raum entwickeln sich spirituell begründete Lebensweisen sogar zum Lifestyle. ‚Halal‘ oder ‚koscher‘ entwickeln sich zu allgemein anerkannten Trademarks für bewusste Ernährung."

Food-Trucks rollen an

Längst strukturieren nicht mehr die Mahlzeiten den Arbeitstag – sondern unser Essverhalten passt sich den Rhythmen des Erwerbslebens an. Für Rützler heißt das: "Wir essen, wann wir Zeit und Hunger haben. Das bedingt, dass kleine Mahlzeiten zwischendurch häufiger werden." Im Sog von Individualisierung und Gesundheit wird da das Essen vom "Fast Food" zum "Fast Good". Die Schnell-Esser von heute setzen damit auf Qualität, Regionalität oder Saisonalität.

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Hy-kitchen auf der Freyung
Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei der Trend Food-Trucks, der gerade in Wien angekommen ist. Da bauen Jungunternehmer – häufig Quereinsteiger im Gastro-Business – Lkw oder alte Lieferwagen zur kompakten Fast-Good-Küche aus und beliefern ihr wachsendes Publikum an verschiedenen öffentlichen Plätzen. Im Frühling fand in Wien erstmals ein eigenes Festival dafür statt. Doch Wien ist anders, hat Trend-Expertin Hanni Rützler festgestellt. Das erste Street-Food-Festival im Frühjahr fand in St. Marx statt, an jedem Sonntag im August feiert sich Street Food auf der Hohen Warte. "Bei uns braucht’s oft noch Hallen, damit die Szene zusammenkommt. In Skandinavien etwa funktioniert das ganz anders. Da ist es Street Food, das auf der Straße stattfindet."

Renaissance der Markthalle

In punkto altehrwürdige Markthallen wird das in der Bundeshauptstadt schon schwerer. "Wien hat leider keine coolen Markthallen." Die sind nämlich derzeit in vielen europäischen und amerikanischen Großstädten ein Mega-Trend und erleben eine Renaissance wie noch nie. Ob das die futuristische "Torvehallerne" im Zentrum von Kopenhagen ist oder der legendäre "Chelsea-Market" in New York, einer der ersten, der dem Begriff "Food Halls" entsprach. "Es ist traumhaft, auf welchem Niveau in diesen Markthallen Essen und Gastronomie präsentiert wird. Da kann man immer wieder Neues ausprobieren", schwärmt Rützler. Ihr Revival entspricht auch einem völlig neuen Konsum- und Kommunikationsbedürfnis.

Dort einzukaufen werde viel stärker zum sozialen Ereignis stilisiert, als es im Supermarkt je möglich wäre. "Es sind Szene-Treffpunkte und Tummelplätze einer neuen Generation von Konsumenten, für die nicht das unaufwendige Besorgen möglichst billiger Lebensmittel im Zentrum steht, sondern das Zelebrieren eines genussorientierten Lebensstils.

  1. Essen wird spirituell: Spirituell begründete Lebensweisen werden verstärkt zum Lifestyle. International werden "koscher" oder "halal" nicht mehr als strenge religiöse Gesetze von Juden und Muslimen wahrgenommen, sondern als anerkannte Trademarks für bewusste Ernährung. Der hierzulande starke Vegan-Trend zeugt hingegen von einer säkularisierten Spiritualität.
  2. Essen ist immer und überall: Essen ist ein zentrales Thema in der urbanen Alltagskultur und verlässt seine angestammten Orte und traditionelle Mahlzeitsysteme. Food Trucks, Street Food, hoch qualitative High-End-Zustell- dienste oder Pop-up-Restaurants zeigen, dass gut essen nicht nur auf Restaurants beschränkt sein muss.

  3. Schnelles Essen, aber mit Qualität: Bei schnellem Essen sind andere Kriterien als früher wichtig – es soll zwar schnell, aber gesund und genussvoll sowie fair und nachhaltig sein. Dazu werden immer differenziertere Konsumentengruppen immer individueller versorgt. Dadurch feiern Klassiker wie Burger, Fish ’n ’Chips oder das in Europa in Vergessenheit geratene Pastrami-Sandwich ein Revival.

Gut und gesund

Das ist der derzeit wichtigste große Trendcluster im Foodbusiness. Er zeigt eine Sehnsucht vieler –auch junger – Konsumenten, diese beiden Begriffe in den Essalltag zu integrieren.

Selber machen

Selbst Gemüse anbauen, selbst Bier brauen, selbst Fleisch räuchern – "do it yourself" boomt und macht immer mehr Konsumenten Spaß. Dieser Trend gilt als besonders hip und wird als Signal gegen die jahrzehntelang gewachsene Entfremdung von unseren Nahrungsmitteln gesehen. Selbermachen gilt auch als Zeichen dafür, dass Qualität und Handwerk neue Aufmerksamkeit erleben.

Global, Fusion, Hybrid

Vor allem in Gastronomie und im Lebensmittelhandel will man weiterhin mit kreativen Innovationen punkten. Regionale Lebensmittel boomen zwar weiterhin, aber auch globale Ernährungseinflüsse lässt man sich nicht entgehen. Doch wenn die Vielfalt zur Norm wird, wird die richtige Vorauswahl für die Konsumenten– etwa in Form von Spezialisierungen – wichtiger. Dafür stehen konsequent lokal orientierte Lokale oder vegane Supermärkte.

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