Des Windmüllers Lust am Mahlen
Handwarm, genau wie es sein muss." Zufrieden lässt Daniel Wöhrer das feine Mehl durch die Finger rieseln. Der 22-Jährige ist einer der letzten Windmüller. Die 150 Jahre alte Mühle in Retz, NÖ, in der er sein Handwerk ausübt, ist die letzte noch voll funktionstüchtige in Österreich.
Bevor aber durch die Hände des Hobby-Müllers Getreide zu Mehl wird, sind Gefühl und Verstand nötig. Um Windstärke und -richtung zu messen, verlässt sich Wöhrer ganz auf das Ursprünglichste aller Messgeräte, seinen Körper. Langsam geht er um die Mühle, bleibt immer wieder stehen, schließt die Augen und fühlt. So lange, bis klar ist, woher der Wind weht.
Die Geschwindigkeit des Mahlsteines berechnet er im Kopf aus den gezählten Flügelumdrehungen. Ist die Mühle zu langsam, werden zusätzliche Flügeltüren hinzugefügt. So hat er es bei seiner Ausbildung in Holland Anfang des Jahres gelernt.
Intuition
Viele seiner Handgriffe kann der Jungmüller nicht begründen: "Das ist Erfahrung, lernen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum". Erst kürzlich wäre es fast schiefgegangen. Wöhrer und sein Kollege Stefan Pozar hatten die Gewalt des Windes unterschätzt. "Dreht sich der Mahlstein zu schnell, wird nicht nur das Mehl zu heiß und daher verdorben, sondern das Getriebe der Mühle droht zu zerbrechen."
Windkraft
Stimmen alle Einstellungen, so wie beim KURIER-Besuch, sind die Balken eingefettet - wie in alten Zeiten mit Schweineschmer (Bauchfett, Anm.) -, die Zahnräder gewachst und kontrolliert, setzen sich die vier mächtigen Flügel in Bewegung. Man glaubt kaum, dass ein Lüftchen das schaffen kann.
Im Bauch des kegelförmigen Turmes beginnt es zu rattern, erster Staub rutscht durch das Laufrohr vom mittleren Stock ins Erdgeschoß. Es ist noch Abfall, Futter für die Tiere. Erst nach einigen Minuten fließt das genießbare Vollkornmehl in immer höherem Tempo in den Sack. Wöhrer ist jetzt konzentriert, kaum ansprechbar. Die Arbeit fordert und fasziniert ihn. Die körperliche Betätigung sei "ein Ausgleich zum Bürojob". Alle sieben Retzer Windmüller nehmen diese Nebenbeschäftigung sehr ernst: "Oft gibt es kleinere Streitereien zwischen uns, wie heute der Wind geht, wie viele Türln in die Flügel müssen."
Kommen die Besucher - im vergangenen Jahr mehr als 15.000 - sind sich wieder alle einig und präsentieren stolz ihr Handwerk. "Den Leuten etwas Einzigartiges zeigen zu können, gibt mir das Gefühl etwas Sinnvolles zu machen", erklärt der 22-Jährige. Er sieht sich aber deshalb keinesfalls als Rarität, denkt nicht daran, dass er einen ausgestorbenen Beruf ausübt. "Ich tu es einfach, weil es mir Spaß macht."
www.windmuehle.at
Der Weg vom Feld in unser Brotkörberl
Neben den Kleinstmengen aus der Retzer Windmühle werden die Österreicher hauptsächlich von 124 technisierten Getreidemühlen versorgt. Die vier größten davon erreichen jeweils eine Kapazität von mehr als 50.000 Tonnen jährlich, die 70 kleinsten Mühlen schaffen bis zu 1000 Tonnen.
Nach der Ernte
Das Getreide wird von den Lagerhäusern mit Lkw oder Bahn in die Mühlen geliefert. Dort überprüft man im Labor jede Sendung auf Qualität und eventuelle Schädigungen.
Vermahlung
Davor werden Schmutzteile, Unkrautsamen, Ungeziefer und ähnliches entfernt. Unverdauliche Randschichten werden maschinell abgeschält. Die wesentliche Aufgabe des anschließenden Mahlvorgangs liegt darin, die drei Hauptbestandteile des Korns - Schale, Keimling und Mehlkörper - voneinanderzutrennen. In zehn bis 20 Stufen wird das gereinigte Getreide zwischen Walzen zerkleinert.
Sieben
Nach jedem Durchgang wird das gemahlene Getreide gesiebt und nach Größe sortiert. Die Mahlprodukte unterscheidet man von fein bis grob in Mehl, Dunst (feiner Grieß oder "griffiges" Mehl), Grieß und Schrot. Das fertige Mehl wird in Tankwagen den Bäckern geliefert. Österreichs wichtigstes Brotgetreide ist Weizen. "Damit können wir uns bei Weitem selbst versorgen", weiß Christian Gessl, Agrarmarkt Austria (AMA).
Wussten Sie, dass ...
... Teile der Retzer Windmühle in die Niederlande transportiert und dort von Experten zwei Jahre lang restauriert wurden? Die Originalstücke wurden überarbeitet oder gleichwertig wiederhergestellt. Nur in Ausnahmefällen wurde robusteres Holz verwendet. Nach 85 Jahren Stillstand drehten sich die Flügel 2010 wieder.
... das Dach der Windmühle auf einem Rollenkranz liegt und so in beide Richtungen drehbar ist? Der Wind muss immer frontal auf die hier befestigten Flügel blasen, damit die Kraft bestmöglich in Bewegungsenergie umgewandelt werden kann.
... die Retzer Windmühle in einer Stunde etwa 130 kg Getreide zu 100 kg Mehl mahlen könnte? Derzeit werden jedoch nur etwa 60 pro Woche produziert.
... sich das Sprichwort "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" auf die Windmühlen bezieht? Drehten sich die Flügel, war das für die umliegenden Bauern die Einladung, jetzt ihr Korn mahlen zu lassen. Wer zuerst da war, kam als Erster dran.
... in Österreich jährlich 770.000 Tonnen Getreide vermahlen werden? 48.000 Tonnen davon sind Bio.
... jeder Österreicher im Schnitt 90 kg Getreide im Jahr zu sich nimmt, davon 58 kg Weizen.
... die Mehltypen den Aschegehalt angeben? Die Typenbezeichnung 700 etwa besagt, dass 100 g Mehl bei der Verbrennung 0,700 g Asche ergeben. Je höher die Zahl, desto mehr Rand- und Schalenteile sind enthalten.
... der Begriff Karat früher das Gewicht von Getreidekörnern als Zahlungsmittel bezeichnete? Ein Karat entsprach drei Gersten- oder vier Weizenkörnern.
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