Café Drechsler wird Drechsler Wienzeile
2018 war nicht wirklich das Jahr des legendären, 1919 eröffneten Café Drechsler beim Naschmarkt. Pächter Manfred Stallmajer zog sich im März nach elf Jahren zurück; im Mai übernahmen die Betreiber der Weinschenke, inklusive neuem Innendekor (Qualtinger-Konterfei). Nach der Sommerpause blieb geschlossen, über einen neuerlichen Wechsel wurde spekuliert. Ende Oktober eröffnete das „Drechsler“ jetzt neu, unter Ägide des Ramasuri in der Praterstraße.
Modern, weniger Kaffeehauskultur
Er wolle „was Freshes“ abseits der klassischen Kaffeehauskultur machen, sagt Gabriel-Raffael Alaev – und gestaltete wieder um: Eine bunte, von einem eigens beauftragte Wandmaler kreierte Collage ziert eine Wand und Pflanzen die Bar. Ein wärmeres Ambiente war ihm ein Anliegen. Ein neuer Name musste offenbar her: Drechsler Wienzeile. Der bekannte Café-Schriftzug bleibt aber an der Fassade - aus Tradition, wie Alaev betont. Und: Anders als früher hat er sich für ein komplettes Nichtraucherlokal entschieden.
Kulinarisch geht die Richtung zur Ganztagesversorgung - mit langem Frühstück bis 15 Uhr und Essen bis fast Mitternacht. Klassisches wie Backhendl oder Schweinsbraten soll aber einen modernen "Twist" haben, so der Plan.
Ramasur-Anleihen
Was die Karte betrifft, werden Ramasuri-Besucher Vertrautes vorfinden, etwa das Ramasuri’s Backhendl (13,50 €). Auch die Frühstückskarte, u. a. diverse Gerichte mit pochierten Eiern, die gerade dem Avocadobrot den Rang ablaufen, erinnert ans Stammlokal. Das Brot kommt wie dort von der Weinviertler Bäckerei Öfferl, das Fleisch vom Wiener Fleischer Hödl. Eine nette Idee auf der Karte sind Schmankerl wie Mini-Käsekrainer (3 Stk. 6,50 €) oder Mini-Leberkässemmerl (2 Stk. 6,20 €), der Leberkäse könnte aber g’schmackiger sein.
Luft nach oben
Bei „Drechslers Steak Sandwich“ (13,50 €/11,50 als Mittagsmenü) gibt’s Luft nach oben: Die Trüffel-Aioli ist zu knapp bemessen, um für Würze der milden Beiriedschnitte im Brot zu sorgen, und beim Mittagsmenü kam das Sandwich mit Jerome-Käse statt Cheddar. Apropos Würze: Auch der praktisch naturbelassene Blattsalat könnte mehr Marinade vertragen. Positiv: Das Personal ist wirklich bemüht und bringt sofort zusätzliches Dressing.
Aber hoffen wir, das sind nur Anlaufschwierigkeiten. Die Atmosphäre in den alten Räumen kann man noch immer genießen. Das Traditionslokal hätte sich jetzt, wo sich der 100er nähert, wieder etwas mehr Kontinuität verdient als im Jahr 2018. Gabriel-Raffael Alaev ist jedenfalls motiviert: "Ich bleibe hier 100prozentig." Auch wenn er sich bewusst ist, dass es "eine Challenge ist, länger im Drechsler zu bleiben".
Info: Drechsler Wienzeile, Linke Wienzeile 22, 1060 Wien, Tel. 01 / 581 20 44, Montag bis Donnerstag 8 bis 24 Uhr (Küche 8 bis 23 Uhr), Freitag, Samstag 8 bis 2 Uhr, Sonntag 9 bis 24 Uhr
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