Bittere Schokolade: Kinderarbeit in Westafrika

Symbolbild.
In der Elfenbeinküste und in Ghana arbeiten rund zwei Millionen Kinder im Kakao-Anbau.

Die neunjährige Moahe hat in der Kakaoplantage ihres Vaters Unkrautvernichtungsmittel versprüht. Morgens und abends schleppte das zierliche Mädchen Wasserbehälter vom Dorfbrunnen nach Hause, die schwerer waren als sie selbst. "Mir hat davon immer der Nacken sehr wehgetan", erinnert sich das Mädchen.

Moahe war bis vor kurzem eines von rund zwei Millionen Kindern, die in der Elfenbeinküste und in Ghana im Kakao-Anbau arbeiten, damit Kunden in Deutschland und anderswo ihre Schokolade genießen können.

Ich wusste ja nicht, dass die Arbeit etwas Schlechtes ist. Für mich war es normal

Bittere Schokolade: Kinderarbeit in Westafrika
FILE PHOTO: Farmers stand at a cocoa farm in Agboville, Ivory Coast April 24, 2017. Picture taken April 24, 2017. REUTERS/Luc Gnago/File Photo

"Ich wusste ja nicht, dass die Arbeit etwas Schlechtes ist. Für mich war es normal", sagt Moahe entschuldigend. Doch wo Kinderarbeit anfängt, endet meist die Kindheit: Sie gefährdet die Gesundheit der Kinder, kann ihr Wachstum hemmen und schlägt in der Regel negativ auf ihre Schulbildung durch. Doch wegen einer Mischung aus Unwissen, Tradition und Armut hält sich die Kinderarbeit in den Dörfern Westafrikas. Von hier kommt rund zwei Drittel des weltweit produzierten Kakaos, der dann von Herstellern wie Mars, Nestle, Lindt & Sprüngli, Mondelez, Ferrero und anderen verarbeitet wird.

Geld für Schokolade hat hier kaum jemand

Bittere Schokolade: Kinderarbeit in Westafrika
A picture taken October 31, 2017 shows cocoa beans in a fresh cocoa pod, displayed during the 23rd Paris Chocolate Fair (Salon du Chocolat). / AFP PHOTO / Thomas SAMSON

Und nirgends auf der Welt wird so viel Schokolade verzehrt wie in der Schweiz und in Deutschland: Jedes Jahr rund zehn Kilogramm pro Kopf. Allein in Deutschland wurden heuer rund 143 Millionen Schokoladen-Nikoläuse und Weihnachtsmänner hergestellt, wie der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie erklärte. Der meiste Kakao dafür wird aus der Elfenbeinküste und Ghana importiert.

Moahe hat in ihrem Leben erst ein einziges Mal Schokolade probieren können. "Sehr süß", sagt sie mit breitem Grinsen. Die Kakaobohnen dafür kommen zum Beispiel aus ihrem Heimatdorf Konan Yaokro im Süden der Elfenbeinküste, doch Geld für Schokolade hat hier kaum jemand. Der Ort mit etwa 500 Einwohnern ist nur über einen holprigen Feldweg zu erreichen, es gibt keinen Strom und kein fließend Wasser. Aber Konan Yaokro verfügt über das ideale, tropische Klima für die begehrte Frucht des Kakaobaums. Moahe, ihre vier Geschwister und ihre Eltern leben hier in einem kleinen Haus auf etwa 20 Quadratmetern Wohnfläche. Davor trocknen die Kakaobohnen in der Sonne.

Immer mehr Kinder auf Kakao-Plantagen

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Juan Robleto, 46, works at the "Santa Francisca" farm where coffee rust led to the cutting and burning of coffee trees and where they are now growing other varieties of coffee and cocoa, as a result of the loss of land suitable for planting coffee in Nicaragua, in Las Nubes, El Crucero, 30 km from Managua, on October 16, 2017. Coffee crops in Latin America, one of the most appreciated products in the region, could become victims of climate change. A study by Latin American scientists projected that the increase in temperature and changes in rainfall would affect between 73% and 88% of the land suitable for grain production in the region. / AFP PHOTO / Inti OCON

Auch Moahes Vater hat schon als Kind auf der Kakao-Plantage seiner Eltern gearbeitet. Sein Vater habe die Hilfe gebraucht, sagt der heute 35-jährige Fabrice Amangoua. "Ich kann nicht mal meinen Namen schreiben, weil mein Vater mich deswegen nie zur Schule geschickt hat." Dieses Los will er seinen Kindern auf jeden Fall ersparen. Doch er dachte sich nichts dabei, die Kinder trotzdem ein bisschen arbeiten zu lassen. "Ich wusste nicht, dass es nicht in Ordnung ist."

Mit steigenden Bevölkerungszahlen wird die Anzahl der Buben und Mädchen, die auf Kakao-Plantagen arbeiten, indes immer größer. In der Elfenbeinküste ist deren Zahl zwischen 2009 und 2014 um rund 50 Prozent auf 1,2 Millionen Kinder gestiegen, wie eine Studie der Tulane Universität in New Orleans im Auftrag des US-Arbeitsministeriums herausfand. In Ghana ging die Zahl der Kinderarbeiter im gleichen Zeitraum leicht auf 0,9 Millionen zurück. Die Studie beruhte auf einer Befragung von knapp 2.300 Haushalten in beiden Ländern.

Kinderarbeit eigentlich verboten in der Elfenbeinküste

Bittere Schokolade: Kinderarbeit in Westafrika
(FILES) This file photo taken on March 7, 2016 shows pupils in a classroom of the first elementary school built in 2013 by Swiss group Nestle, in the village of Goboue, in the southwest of Ivory Coast. The Ivory Coast, the world's largest cocoa producer, presented in Abidjan on May 19, 2016 a new project to save more than 5 000 "vulnerable" children working in cocoa plantations, as part of the national action plan against "the worst types of child labour". / AFP PHOTO / ISSOUF SANOGO

Das Tragen schwerer Lasten, etwa von Kakaosäcken, das Sprühen giftiger Chemikalien wie Insektiziden oder die Handhabung von Macheten zum Unkrautjäten oder Aufschlagen der Kakaofrüchte widersprechen dem Gesetz. Leichte Arbeiten wie Einsammeln einzelner reifer Kakaofrüchte oder die Hilfe beim Trocknen der Bohnen sind aber weiter erlaubt.

Eine der Organisationen, die sich vor Ort für Kinder einsetzen, ist die Internationale Kakaoinitiative (ICI). Sie hat in Konan Yaokro und knapp 2.700 weiteren Dörfern ein erfolgreiches System zur Bekämpfung von Kinderarbeit eingerichtet, zumeist im Auftrag von Nestle. Der Dreh- und Angelpunkt des Systems sind in den Dörfern verankerte Mitarbeiter wie Serge Alain Affian. Der 30-jährige Kakaobauer hat in Konan Yaokro für ICI jeden Haushalt besucht, um zu sehen, wie viele Menschen unter einem Dach leben und was sie machen. Dabei erklärt er, wieso Kinderarbeit schlecht ist und wie ICI ihnen helfen kann.

Schweizer kaufen jährlich 47.000 Tonnen Kakaobohnen

Bittere Schokolade: Kinderarbeit in Westafrika
Kakaobohnen, Schokolade

"Ein Kind muss beschützt werden und gehört in die Schule", sagt Affian. Alle Daten seiner Gespräche mit Eltern und Kindern sowie über die Besuche von Häusern und Plantagen werden von ihm penibel in einer Smartphone-App erfasst. Wenn es wie bei Moahe Fälle von Kinderarbeit gibt, arbeitet er zusammen mit ICI eine Lösung aus, etwa um die Kinder wieder in die Schule zu bringen. Für Affian ist das eine Herzensangelegenheit. Er hat als Kind auf der Plantage seines Vaters gearbeitet, als seinem Bruder die Machete ausrutschte und ihn mit voller Wucht am Unterarm erwischte. "Danach konnte ich nicht mehr in die Schule gehen. Ich konnte nicht mal mehr einen Kugelschreiber halten", sagt Affian. "Das soll keinem anderen Kind mehr passieren."

Um sicherzustellen, dass keine Kinder auf den Plantagen schuften, arbeitet ICI Hand in Hand mit den Abnehmern der Bauern, den Kooperativen. Der Kakao aus Konan Yaokro etwa geht über eine Kooperative im nahen N'Douci an den US-Rohstoffhändler Cargill, der den Kakao dann an Nestle verkauft. Der Schweizer Lebensmittelkonzern kauft über das System mit ICI inzwischen nach eigenen Angaben jährlich rund 47.000 Tonnen Kakaobohnen. Das entspricht etwa 11 Prozent des weltweit pro Jahr von Nestle gekauften Kakaos.

Zu wenig Einkommen für Arbeitskräfte

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Women from a local cocoa farmers association called BLAYEYA work with cocoa beans in Djangobo, Niable in eastern Ivory Coast, November 17, 2014. BLAYEYA is a women's only association with each member owning a field and planting cocoa. Picture taken November 17, 2014. REUTERS/Thierry Gouegnon (IVORY COAST - Tags: BUSINESS AGRICULTURE FOOD SOCIETY)

"In unserer Lieferkette darf es keine Kinderarbeit geben", sagt der zuständige Nestle-Manager, Yann Wyss. Nun gehe es darum, das 2012 mit ICI in der Elfenbeinküste begonnene System so auszuweiten, dass in einigen Jahren der komplette angekaufte Kakao ohne Kinderarbeit hergestellt sein würde. Zunächst solle das System auch im benachbarten Ghana zur Anwendung kommen. "Das Problem gibt es in unserer Lieferkette und wir nehmen es sehr ernst", sagt Wyss. Nestle machte mit KitKat und anderen Süßwaren 2016 einen Umsatz von 8,7 Milliarden Schweizer Franken (derzeit 8,12 Milliarden Euro). Für den Kampf gegen Kinderarbeit und den Bau von Schulen gab der Konzern in dem Jahr indes nur 5,5 Millionen Schweizer Franken aus.

Dass der Kinderarbeit in Westafrika so schwer beizukommen ist, liegt aber auch an strukturellen Faktoren. Die meisten Kakaobauern bebauen nur ein paar Hektar. Damit haben sie oft nicht genug Einkommen, Arbeitskräfte einzustellen, weswegen Familie und Kinder herangezogen werden. So erging es auch Sylvain Yao Kouakou. Nach dem Tod seiner Eltern kam der 16-Jährige zu seinem Onkel nach Konan Yaokro. "Seither musste ich ihm in den Kakaoplantagen helfen", erzählt er. "Ich habe mit der Machete das Unkraut weggeschlagen und wenn der Kakao reif war, habe ich ihn in schweren Säcken nach Hause geschleppt."

Die Anbaugebiete gehören zu den ärmsten Ländern der Welt

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Children sit on sacks of cocoa beans set to be loaded onto a Colombian Air Force plane at the Guerima village airstrip in the municipality of Cumaribo, Vichada department, eastern Colombia, on February 16, 2017. Farmers who grew coca for years in the "triangle of evil", a former bastion of the Medellin cartel and FARC guerrillas in eastern Colombia, are now betting on a cocoa bonanza, in times of peace. / AFP PHOTO / GUILLERMO LEGARIA / TO GO WITH APF STORY BY RODRIGO ALMONACID

Das Durchsetzen der Regeln gegen Kinderarbeit war in Konan Yaokro zunächst schwierig. "Die Eltern haben gesagt, sie brauchen die Hilfe ihrer Kinder, sie schaffen es nicht allein", sagt Affian. Doch die Akzeptanz stieg, sobald die Bewohner sahen, dass ICI auch Hilfe anbot. ICI hat im Land eigenen Angaben zufolge bereits rund 1.400 Klassenzimmer renoviert oder neu gebaut. Die Organisation kann zudem bei der Bezahlung der Schulgebühren helfen. Um zu verhindern, dass Kleinkinder mit auf die Felder genommen werden, hat ICI in einigen Dörfern auch einen Kindergarten eingerichtet.

Die Elfenbeinküste mit 24 Millionen Einwohnern gehört einem UN-Index zufolge zu den 20 ärmsten Ländern der Welt. Die Lebenserwartung liegt der Weltbank zufolge bei 53 Jahren, in Deutschland sind es 81 Jahre. Die Kakaobauern sind den Kräften des Weltmarktes ausgeliefert: Ein Tonne Kakaobohnen kostete 2014 in New York noch etwa 3.200 US-Dollar, inzwischen sind es nur noch 1.900 US-Dollar. Die Regierung federt die Schwankungen etwas ab. Im Vorjahr bekamen Bauern einen Fixpreis von umgerechnet knapp 1.700 Euro pro Tonne, jetzt nur noch 1.100 Euro.

Die niedrigen Kakaopreise "lassen die Kleinbauern verarmen", kritisiert das Internationale Forum für Arbeitsrecht (ILRF). "Der Aufwand lohnt sich heute kaum mehr", stimmt Kakaobauer Attale Andre Yao zu. Der 32-Jährige muss seine vier Kinder ernähren und auch Schulgebühren für die Nachkommen seiner Schwestern zahlen. "Wir haben nicht mehr genug Geld, ausreichend Dünger oder Insektenschutzmittel zu kaufen, damit geht unser Ertrag weiter nach unten."

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