Verrückte Wasserwelten

Ein Zukunftsblick auf den 'Lilypad' Komplex und wie dieser vor Monaco aussehen könnte.
75 Millionen Kreuzfahrt-Touristen werden in 50 Jahren die Weltmeere bereisen. Michael Horowitz über Unterwasser-Erlebnisse, Riesenschiffe als schwimmende Inseln – und die 86-jährige Lebenskünstlerin Lee.

Eines Morgens hatte Lee keine Lust mehr. Aus dem Fenster oder in den rund um die Uhr laufenden Fernseher zu sehen. Sie verkaufte ihre Villa in Florida, im teuren Fort Lauderdale mit dem vier Hektar großen Grundstück. Bald danach buchte sie eine luxuriöse Seereise. Nicht für ein paar Tage oder Wochen – sondern für immer. Inzwischen sind es sieben Jahre, dass die rüstige, heute 86-jährige Lee Wachtstetter ohne Unterbrechungen an Bord der Crystal Serenity ist. Sie hat in ihrem neuen Zuhause bereits fünf Mal die Welt umrundet und dabei mehr als 40 Länder besucht. Unterhaltung rund um die Uhr, neue Horizonte und Bekanntschaften, Musik und bunte Cocktails statt Einsamkeit und Tristesse. Die neue Wohnung, ihre Suite mit Balkon, kostet rund 145.000 Euro pro Jahr – in diesem Preis sind neben würziger Seeluft und ständigen Sonnenuntergängen, mehrere Luxusmenüs pro Tag – aber auch eine wöchentliche Dinner Party mit dem Kapitän drin. Und der Höhepunkt des Tages: jeden Nachmittag ein, zwei Tänzchen mit einem der feschen, jungen Eintänzer.

Die 86-jährige Lee liegt im Trend. Kreuzfahrten werden immer beliebter, das angestaubte Image ist längst passé. Die Reisebranche rechnet mit einer neuen Generation jugendlicher, designverliebter und umweltbewusster Kreuzfahrer. In fünf Jahren sollen – laut Prognose der britischen Ocean Shipping Consultans – bereits 30 Millionen, in 50 Jahren rund 75 Millionen Passagiere die Weltmeere bereisen. Daher planen Designer schon heute gigantische Mega-Cruiser, die mit herkömmlichen Kreuzfahrtschiffen nicht mehr viel Ähnlichkeit haben werden. Die Passagiere werden dann nach Insel-Ausflügen im Bauch des mehr als 500 Meter langen Mutterschiffs aufgenommen: Wie bei einem riesigen Wal, der sein Maul geöffnet hat. Kaum ein Hafen wird die Schiffe aufnehmen können. Mit Yachten und Wasserflugzeugen, die mitreisen, gelangen die Passagiere an Bord. Der Entwurf für diesen spektakulären Mega-Oceanliner stammt vom schwedischen Designer Fredrik Johansson. Er ist kein Fantast: Sein Büro Tillberg Design kennt sich im Schiffsbau aus und hat aktuelle Kreuzfahrtschiffe wie die Queen Mary 2 (Foto) geplant.

Verrückte Wasserwelten
Das Kreuzfahrtschiff Queen Mary 2 faehrt am Freitag, 7. Mai 2010, in den Hafen in Hamburg ein. (apn Photo/Axel Heimken) Cruise liner Queen Mary 2 drives into the harbour of Hamburg, northern Germany, on Friday, May 7, 2010. (apn Photo/Axel Heimken)

Schon in ein paar Jahren wird es riesige Katamarane und Schiffe mit Böden aus Spezialglas geben. In ein, zwei Jahrzehnten auch Unterwasserwelten und künstliche Inseln. Kreuzfahrtschiffe werden dann zu Meeres-Oasen mutiert sein. Wie gigantische Seerosenblätter wirken die Modelle des belgischen Architekten Vincent Callebaut, die er Lilypad nennt. Die imitierten Inseln, auf denen bis zu 50.000 Menschen Platz haben, treibt die Strömung auf den Ozeanen, oder sie werden vor Küstenstädten festgemacht. „Mein Ziel ist es“, meint Callebaut, „eine harmonische Einheit von Mensch und Natur zu schaffen.“ Deshalb ist Lilypad platzsparend angelegt, der Großteil des Lebensraums der künstlichen Insel ist unter der Wasseroberfläche. Viele Visionen für die Weltmeere – fast 150 Jahre nach Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer – sehen nicht mehr wie Schiffe aus. Wie Utopia, ein 100 x 100 x 65 Meter messendes Projekt, das wie ein UFO oder eine hypermoderne Bohrinsel aussieht. Im Sinne des visionären Ingenieurs Wernher von Braun, der schon in den 1930er-Jahren gemeint hat, „alles, von dem sich ein Mensch eine Vorstellung machen kann, ist machbar“, wird es während der nächsten Jahre noch viele mutige, manchmal auch verrückte Ideen und Entwürfe für das Leben auf den Weltmeeren geben. Schwimmende Kolosse, die wie Raumschiffe wirken und Unterhaltungs-Inseln mit kompletten Vergnügungsparks. Inklusive Achterbahn, Mega-Wasserrutschen, Golf- und Tennisplätzen, Unterwasserkinos und Bowlingbahnen. All das wird Lee vermutlich nicht mehr erleben. Aber hoffentlich noch viele Sonnenuntergänge und Tänze mit den feschen jungen Herrn der Crystal Serenity.

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