Das Gedächtnis des Waldes

Das Gedächtnis des Waldes
Bäume waren für Hermann Hesse Heiligtümer. Umweltsünden vergessen sie nie. Denn sie haben ein jahrzehntelanges Gedächtnis. Michael Horowitz über den Wald der Zukunft.

Rettet den Wald!, war einmal die Devise der Umweltschützer. Das Waldsterben beunruhigte die Menschen. Schwefeldioxid aus Verkehr, Industrie und Haushalten versauerte in Verbindung mit Regen den Wald. Die Angst vor dem großen Waldsterben rüttelte auf: Engagement der NGOs, Massenproteste der Bevölkerung, Gesetzesinitiativen der Regierung und Millioneninvestitionen der Industrie haben dem Wald zu einer Atempause verholfen. Heute, 30 Jahre danach, analysiert einer der engagiertesten Umwelt-Pioniere Österreichs und heutige Ehrenpräsident des Umweltdachverbandes, Gerhard Heilingbrunner, den damaligen Kampf für die Rettung unseres Waldes: Im Nachhinein kann man sagen, dass das Problem mit dem sauren Regen und diese Art von Waldsterben relativ rasch bekämpft werden konnte – eine Erfolgsstory in der Umweltbewegung aber auch der Politik, die rasch handelte … Doch die sauren Schadstoffe haben den Wald und vor allem sein Wurzelsystem teilweise dauerhaft beeinträchtigt. 30 Jahre sind für den Baum ein extrem kurzer Zeitraum, der Waldboden hat ein jahrzehntelanges Gedächtnis. Bäume sind, schrieb Hermann Hesse, Heiligtümer. Für Tiere ist der Wald Refugium und Raum zum Überleben: für Uhu und Specht, Dachs und Wildkatze, Echse und Salamander. Wälder sind neben den Meeren die artenreichsten, produktivsten und wertvollsten Lebensräume der Erde. Sie erzeugen Sauerstoff, binden Kohlenstoff und regulieren unser Klima. Doch wie sieht die Zukunft des Waldes aus?

- Gerhard Heilingbrunner, Ehrenpräsident des Umweltdachverbandes

Das Gedächtnis des Waldes

Forscher und Förster mit Weitblick müssen sich schon heute Gedanken darüber machen, welchen Anforderungen der Wald in 20, 50 oder 100 Jahren gerecht werden muss. Gibt es durch den dramatischen Klimawandel mehr Stürme, wird es weniger regnen, wie entwickelt sich der Waldboden? Die Neupflanzungen von heute mit den richtigen Bäumen beeinflussen entscheidend das Klima des 22. Jahrhunderts. Der Baum der Zukunft ist vielleicht wegen des erwarteten Temperaturanstiegs in den nächsten Jahrzehnten die Eiche, sie überlebt Trockenheit am ehesten. Viele Baumarten werden aussterben, es wird völlig neue Schädlingsarten geben, die keine natürlichen Feinde haben und den Bäumen zusetzen – und daher mit chemischen Waffen bekämpft werden müssen. Durch das extrem warm-feuchte Klima gibt es dann Käfer, die die Baumrinde derart schädigen können, dass die Wasserzufuhr unterbunden wird – binnen weniger Tage stirbt der Baum ab. Der Wald als Platz der ökologischen Vielfalt, als Heimat und Rückzugsgebiet für die bedrohte Tier- und Pflanzenwelt ist somit neuen Gefährdungen ausgesetzt, warnt Gerhard Heilingbrunner. Index für die bedrohliche Entwicklung ist der offizielle „Naturschutzbericht“, den Österreich alle sechs Jahre der EU übergeben muss. Aus dem letzten, besorgniserregenden Bericht geht hervor, dass es im Osten unseres Landes kein Waldtypenvorkommen mehr gibt, welches in einem guten Zustand ist. Ein alarmierendes Zeichen. Weil die Wissenschaft nichts dem Zufall überlässt, gibt es seit einigen Jahren Dry Labs, Trockenlabors im Freigelände. Junge Versuchsbäume werden bewusst vor Regen abgeschirmt, um zu sehen, welche Baumarten bei anhaltender Trockenheit überleben können. Eines weiß man bereits: Durch die dramatischen Veränderungen, die der Klimawandel für den Wald mit sich bringt, werden in Zukunft nur Mischwälder mit robusten Bäumen wie der Eiche überleben. In Wäldern, in denen verschiedenste Bäume unterschiedlichen Alters stehen – Wälder, die sich selbst erneuern. Und damit Erholung, Schutz und Überleben bieten. Für Menschen, Tiere und Pflanzen.

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