Nachhaltige Bauten: Gardinen, die dem Klima dienen
Jan Engel sieht grün. Egal, aus welchem Fenster seiner Berliner Stadtwohnung er auch blickt. Der Mann hat’s gut. Und im Sommer schön kühl. Möglich machen es „Bioblinds“, die fassadenseitig vor den Fenstern montiert sind.„Bioblinds“ klingt cool, wenngleich sich dahinter ein System verbirgt, das so bestechend einfach wie effektiv ist: Gardinen aus Pflanzen.
Allerlei Grünzeug zur Fassadenbegrünung kennt man ja seit etlichen Jahren, aber Vorhänge aus Pflanzen, die man individuell zuziehen und öffnen kann, das ist doch etwas Neues – und das nicht bloß aus Gründen der Optik oder des Designs wegen. „Bioblinds“ können eine Menge.
Sie sorgen für die Sauerstoffproduktion an der Hausfassade, damit auch für eine natürliche Kühlung des Gebäudes und ein besseres Wohnklima der Innenräume. Gardinen, die dienen also – über Jahre erdacht, beforscht, getestet von Jan Engel, der im Brotberuf eigentlich Kreativberater für internationale Marken ist.
„Bioblinds“, die als „The Green Sykline Initiative“ jüngst von sich Reden machen, sind Engels persönliches Steckenpferd, gedacht als kostengünstige Alternative, um der Klimamisere gegenzusteuern. Und Gebäude haben, das muss man leider sagen, einen nicht unbedeutenden Anteil daran. Davor darf heute niemand mehr die Augen verschließen – die „Bioblinds“ aber schon.
„Es sind kinetische Pflanzenvorhänge für Fenster, ganze Häuser, theoretisch sogar für komplette Skylines. Die Bestandteile dafür holt man sich im Baumarkt, die speziellen Rank- oder Hängepflanzen, wie Blauregen, Wilder Wein, Efeu und ähnliches beim Gärtner“, sagt Engel, der seine „grünen Gardinen“ künftig als digitales Toolkit zum kostenlosen Download anbieten will.
Damit die Ranken beim Bedienen der Vorhänge nicht verletzt werden, hat sich eine Gruppe von Amateur-Ingenieuren, Designern, Kommunikations- und Kulturberatern um Jan Engel geschart, gemeinsam wurde getüftelt und das Projekt zum Laufen gebracht. Um was zu bewirken? „Jede Hauswand könnte auf diese Weise grün, die Sauerstoffproduktion entsprechend erhöht, durch Kühleffekte im Wohnbereich Energie gespart, der Wohn-Komfort gesteigert und urbane Kontexte vom Grau befreit werden“, sagt Engel und man merkt, wie sehr er für sein Projekt brennt. Verdienen wollen er und sein Team damit nichts. „Es ist als kostenloses, demokratisches Angebot gedacht, ein Mosaikstein für den Klimaschutz.“
Game Changer
Initiativen wie diese sind begrüßenswert und zeigen, was durch Eigeninitiative möglich ist. Gut so, denn die Zeit drängt, soll die Klimawende gelingen. Nachhaltiges Bauen hat da oberste Priorität. Was konkret damit gemeint ist, erklärt Robert Lechner, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB): „Klimaneutrales Bauen ist das Gebot der Stunde. Gebäude dürfen künftig im Betrieb keine Treibhausgasemissionen verursachen. Sie müssen mit erneuerbarer Energie versorgt werden, im besten Fall sogar Energie selbst erzeugen.“
Ein „Game Changer“ ist das Wohnprojekt MGG22 mit 160 Wohnungen in der Mühlgrundgasse in Wien-Stadlau des Bauträgers „Neues Leben“, mit Initiator „M2plus Immobilien GmbH“. Modellhaft ist dessen Energiekonzept. Hier ermöglicht die Aktivierung massiver Bauteile aus Beton, das Gebäude energieflexibel zu betreiben. Praktisch geht das so: Energie wird, wenn sie gerade verfügbar ist, mittels Wärmepumpe und thermischer Bauteilaktivierung in den massiven Gebäudeteilen gespeichert.
Im Gegenzug wird angenehme Strahlungswärme beziehungsweise kühlende Temperierung abgegeben. „Angesichts immer häufiger werdender Hitzeperioden bietet diese Technologie im Neubau großes Potenzial zur ressourcenschonenden Kühlung von Gebäuden“, sagt Initiator Norbert Mayr über die Wohnhausanlage, die jüngst beim Umweltpreis 2019 der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technologie (ÖGUT) nominiert war – und weiter: „Bei unserem Bauprojekt wurde die Kombination aus 100 Prozent erneuerbarer Energie, davon mehr als 80 Prozent aus Wind-Überschuss-Strom, Erdwärme mittels Tiefensonden und thermischer Bauteilaktivierung auch für kostengünstiges Kühlen weltweit erstmalig in diesem Maßstab realisiert.“
Ein Weg also, wie nachhaltiges Bauen künftig aussehen kann, wobei ein Ziel klar im Fokus steht: Häuser der Zukunft müssen energieautark sein. „Hochgerechnet aus der Entwicklung des vergangenen Jahrzehnts werden in den nächsten 30 Jahren in ganz Österreich mindestens eine halbe Million Gebäude neu gebaut werden. Wenn diese wie bisher im umfassenden Ausmaß in Form von Einfamilienhäusern errichtet werden, kann das nur eines bedeuten: Diese müssen künftig in sich geschlossene Wohnkraftwerke sein, die mindestens so viel Energie erzeugen, wie sie selbst benötigen. Sie sind kompakt, nutzen nachwachsende Rohstoffe, wo immer das sinnvoll ist“, fordert Lechner.
Zukunft: Solarthermie
Exemplarisch dafür steht schon jetzt das einzigartige Gewerbe-Pilotprojekt „Metzler Naturhautnah“ in Egg in Vorarlberg. Bauherr ist Ingo Metzler, Erzeuger von Molke-Produkten und Molke-Naturkosmetik. Hier ist es erstmals gelungen, einen komplexen Produktionsbetrieb komplett mit selbst erzeugter Solarenergie zu betreiben. Mehr noch: Zusätzlich zur bereits vorhandenen großen Fotovoltaik-Anlage für die Stromerzeugung wurde für die Betriebserweiterung nun eine möglichst emissionsfreie Heizung realisiert.
Dazu hat die EnergieWerkstatt Keckeis ein neues Energiekonzept auf Basis von Solarthermie in Kombination mit Bauteilaktivierung erarbeitet. Gewählt wurde diese innovative und effektive Variante, um ein Betriebsgebäude mit 14.000 Kubikmeter Bauvolumen zu beheizen. Die besondere Herausforderung für die Wärme-Speichertechnik war, einen ausgeglichenen Energiespeicher für das ganze Jahr zu schaffen. Dieser wurde in Form eines 860 Kubikmeter großen Schotterfeldes unter dem Betriebsgebäude geschaffen.
„Dieser Schotterspeicher nimmt den gesamten Wärmeüberschuss auf und speichert diesen für den Winter. Die Solarwärmenutzung erfolgt mit einer dafür entwickelten Sechs-Liter-Wärmepumpe. In der Praxis schafft es diese sehr erfolgreich, den gesamten errechneten Heizwärmebedarf für Heizung, Lüftung und Warmwasser emissionsfrei abzudecken“, erläutert Ingo Metzler dieses, für einen Unternehmer doch recht risikoreiche Unterfangen. Deshalb auch sein Nachsatz: „Ein bisschen Herzklopfen war bei dem Projekt doch dabei. Im Kälte-Notfall hätte ich an meine Mitarbeiter Thermojacken ausgegeben und Glühwein ausgeschenkt“, sagt Metzler und schmunzelt. Weder das eine noch das andere hat es gebraucht. Die Anlage läuft seit 2017 reibungslos.
Die 1.700 Quadratmeter große Nutzfläche wird seither ganzjährig mit Solarthermie, Fotovoltaik, Energiespeicher und Wärmepumpe energetisch versorgt. Die Umsetzung sieht so aus: Die 133 Quadratmeter große Kollektorenanlage fängt die Sonnenenergie auf und verteilt diese – mittels Bauteilaktivierung – auf die Betonböden des Gebäudes. Für diesen Wärmetransfer wurden gut 10.000 Meter lange, 16 Millimeter starke Kupferrohre – gefüllt mit einer Glykolmischung – im Baukörper verlegt.
Zudem speichert der bereits erwähnte, unter der Betonplatte des Hauses angeordnete Hochleistungsspeicher aus Schotter den im Sommerhalbjahr anfallenden Energieüberschuss. Dieser wird – quasi phasenverschoben – dann im Winter für die Lüftung der Produktion, für die Raumwärme und Prozesswärme verwendet. Metzler: „Das hält Raumklima und Temperatur sommers wie winters behaglich konstant.“ Gleiches gilt für die Raumluftfeuchte von etwa 40 Prozent.
Auch nicht unwesentlich: Die Leistungsfähigkeit dieses Energiesystems bleibt über Jahre hinweg erhalten „und benötigt auch keinerlei Entsorgung“, sagt Ingo Metzler, der modellhaft vorzeigt, wie nachhaltiges Bauen und kluge Energiebewirtschaftung auch bei Betriebsgebäuden funktionieren kann. Glühwein für die Mitarbeiter gab’s trotzdem.
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