Christian Seilers Gehen: Wien wieder einmal mit anderen Augen sehen
Zuletzt verlustierte ich mich mit Wiener Sehenswürdigkeiten, das kam so: Es gibt tatsächlich, und zwar auch in meinem weiteren Bekanntenkreis, Menschen, die noch nie in Wien gewesen sind.
Für mich ist das insofern relevant, als ich sowieso regelmäßig nach Hoteltipps gefragt werde – meine Antwort in der Reihenfolge der Empfehlungsdringlichkeit: 1. Altstadt Vienna, 2. Hollmann Beletage, 3. Guesthouse Vienna –, aber auch über die besten Wiener Restaurants Auskunft geben muss. Das ist ein bisschen anspruchsvoller, weil ich zuerst wissen muss, ob die Leute sich nach origineller Wiener Küche sehnen – 1. Gasthaus Grünauer, 2. Meixner, 3. Stadtwirt – oder ob sie nach höchster Kochkunst und virtuoser Fine-Dining-Experience streben – 1. Konstantin Filippou, 2. Mraz & Sohn, 3. Steirereck.
Die Sonntagsfrage: wo in Wien würdig zu Mittag essen?
Auch die schwierige Frage nach den schönsten Gastgärten muss ich regelmäßig beantworten – 1. Finsterer Stern, 2. Gasthaus Wild, 3. Strandgasthaus Birner –, und auf die Sonntagsfrage – wo kann man in Wien am Sonntag würdig zu Mittag essen? – weiß ich seit Jahren nur die gleiche Antwort: 1. Pfarrwirt, 2. Schwarzes Kameel, 3. Cantinetta Antinori.
Deshalb trifft mich auch der Wunsch der Freunde nach persönlicher Begleitung durch Wiens Innenstadt nicht unvorbereitet. Vielleicht habe ich mich sogar ein bisschen aufgedrängt. Ich liebe es nämlich, für Freunde den Fremdenführer zu geben, mir zwischenzeitlich ihren unverstellten Blick anzueignen und etwa vor Otto Wagners Postsparkasse zu stehen und deren imposante Fassade zu betrachten, die den Abschied vom Prunk der Ringstraßenarchitektur einläutet: Historisch!
Ein Garten namens Libelle
Wir gingen zur Urania – oh, ah –, besichtigten, weil wir gerade im Thema waren, das Otto Wagner Schützenhaus – außen hui –, rasteten auf den „Schwimmenden Gärten“ vor dem Flex – che bello –, betrachteten im Verkehrstohuwabohu zwischen Franz-Josefs-Kai und Schottenring die völlig unterbewertete Skulptur von Philip Johnson, die in jedem niederösterreichischen Kreisverkehr mehr Aufmerksamkeit erwecken würde – wow –, gingen vorbei an Universität – incredible – und Rathaus – wonderful –, durch den Volksgarten – unique –, über den Heldenplatz – brrr, history – zum Museumsquartier, wo meine Freunde vor Begeisterung Schnappatmung bekamen, rasteten im neuen Dachgarten namens Libelle auf dem Leopold Museum, schauten einen Sprung im Café Sperl vorbei – Melange – und gingen über den Naschmarkt – sweet – hinüber zum Karlsplatz, wo wir vor uns vor dem Teich in den Schatten setzten, um Fischer von Erlachs Karlskirche in Ruhe betrachten zu können, Barockpracht, stilisierte Minarette, die charakteristische Kuppel.
Davor, über dem Wasser schwebend, die wunderbare Skulptur „Hill Arches“ von Henry Moore, die der Künstler 1978 für den Karlsplatz geschaffen hat und die diesen bis heute auflädt mit Besonderheit. Meine Freunde bedankten sich für die Führung. Aber ich muss meinen Freunden danken, dass sie mich eingeladen haben, Wien wieder einmal mit ihren Augen zu sehen – eine Perspektive, die es so einfach macht, Wien zu lieben.
Kommentare