Warum heute noch Mutter werden?

Warum heute noch Mutter werden?
Ein kontroverser Gastbeitrag von Philosophin Lisz Hirn.

Wie jedes Jahr feiert der Kommerz den Mythos, dass Muttersein allein schon glücklich macht. Die Realität sieht natürlich anders aus. Schließlich hat die Kluft zwischen der Mutter, die ihre Bedürfnisse ganz selbstverständlich hintanstellt, und der Frau als freies Subjekt, das unbegrenzte Wahlfreiheit hat, eine lange und wechselvolle Geschichte.
 

Als das Muttersein zum  Nonplusultra wurde

Nachdem das Bürgertum die Familie als Keimzelle der Gesellschaft entdeckt und die Liebe zwischen Mutter und Kind „heilig“ gesprochen hatte, wurde das Muttersein von einer simplen und oft unerwünschten biologischen Funktion zu einer normativen Idee erhoben, die alle anderen Rollen der Frau überlagerte: Das Muttersein wurde zum Nonplusultra.
Als Adolf Hitler in den 1930er-Jahren das „Mutterkreuz“ für den verdienten „Dienst am Deutschen Volk“ einführte, säte er also auf bereits ideologisch fruchtbaren Boden. Das nationalsozialistische Frauenbild orientierte sich an der Ideologie der deutschnationalen Männer, die über den „Emanzipationskoller der entarteten Weiber“ schimpften und die „Entmutterung der Frauen“ anprangerten. „Richtige Frauen“ hingegen wollen sich fortpflanzen, können den Nachwuchs mit viel Hingabe betreuen sowie ihre Position an der Seite eines Mannes schätzen.

Warum heute noch Mutter werden?

Die in Leoben geborene Publizistin und Philosophin Lisz Hirn lehrt u. a. Philosophische Praxis an der Universität Wien.

Kult um die „gute Mutti“

Dass dieses traditionelle Verständnis von Mutterschaft die Ungleichheit in der Paarbeziehung eher beförderte als minderte, ist offensichtlich. Noch in den 1970er-Jahren wurde die Frau auf politischen Plakaten vor allem als glückliche Hausfrau und Mutter dargestellt.
Hinter dem Kult um die „gute Mutti“ standen also immer schon politische, aber auch ökonomische Interessen. Damals wie heute ging es darum, Zugriff auf die Frau als Ressource zu haben. Als eine, die in einer wettbewerbsorientierten Leistungsgesellschaft kostenlos Wärme und Zuneigung spendet, die bereit ist, ihr eigenes Wohl zugunsten ihres Mannes und ihrer Kinder hintanzustellen. Man stelle sich vor, man würde alle ihre Leistungen staatlich entgelten müssen. Die Leistungen der Mütter sind wortwörtlich unbezahlbar.

Neben den unvermeidlichen physischen und psychischen Anstrengungen müssen Mütter allerdings oft auch auf finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Um neben der Elternschaft überhaupt noch beruflich tätig sein zu können, bleibt vielen nur der Sprung in die Teilzeitarbeit. Diese entpuppt sich allerdings spätestens dann als finanzielle Falle, wenn die Frauen in Pension gehen.
Eines ist jedenfalls sicher: Jedes Mädchen, das beobachtet, wie sich seine eigene Mutter zwischen Arbeit, Privatleben und gesellschaftlichen Erwartungen aufreibt, wird es sich zweimal überlegen, ob sie in dieselben Fußstapfen treten will. Was braucht also eine junge, gut ausgebildete Frau, um Mutter werden zu wollen? Die Antwort ist einfach: die Sicherheit ausreichender und leistbarer Kinderbetreuung und das Vertrauen in gleichberechtigt gelebte Elternschaft. Beides kommt hierzulande zu kurz.
 

Männer, die freiwillig Windeln wechseln

Während man in Österreich zuweilen der „heilen Welt“ nachtrauert, in der die klassische kleinbürgerliche Kleinfamilie vorherrschte, bildet diese längst nicht mehr die Lebensrealität vieler Menschen ab. Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern haben sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verändert. Ehen und Partnerschaften müssen nicht mehr lebenslang halten. Im Laufe eines immer länger werdenden Lebens steht es Männern und Frauen frei, sich neu zu verlieben, später Kinder zu bekommen und andere Familienmodelle zu leben.
Im Übrigen leisteten all die Männer einen großen Beitrag zur Mütteremanzipation, die der machistischen Propaganda zum Trotz freiwillig Windeln wechselten, Fläschchen gaben und mit ihren Sprösslingen auf den Spielplatz gingen. Diese emanzipierten Väter bewiesen, dass diese als „weiblich“ klassifizierten Tätigkeiten genauso gut von Männern erledigt werden konnten. Damit zeigten sie, dass Elternschaft mehr als Mutterschaft bedeutet. Und eine Mutter nur so gut ist, wie die Unterstützung, die ihr in der Partnerschaft und von der Gesellschaft zuteilwird.

Zur Autorin Lisz Hirn: Die 1984 in Leoben geborene Publizistin und Philosophin lehrt u. a. am Universitätslehrgang Philosophische Praxis an der Universität Wien. Vor Kurzem erschien ihr Buch „Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist.“ (Molden Verlag, 20€)

Warum heute noch Mutter werden?

Vor Kurzem erschienen: „Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist.“ (Molden Verlag, 20€)

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