Vea Kaisers fabelhafte Welt: Kill your Darlings
Am Donnerstag wird etwas passieren, auf das ich mich seit Jahren freue, und vor dem ich mich seit Jahren fürchte: Mein neuer Roman erscheint. Schon seit Wochen schlafe ich schlecht, denn ob man für die mit Herzblut auf Papier gebannten Zeilen geliebt oder gehasst wird, hat man nun nicht mehr in der Hand. Nachdem man jahrelang alleine im stillen Kämmerlein schrieb, stellt man sich der Öffentlichkeit zum Urteil. Vielleicht ist das eine Erklärung, warum so viele Schriftsteller Suchtprobleme haben. Doch egal, was ab Donnerstag passiert, das Schlimmste ist überstanden: die Überarbeitung. Schriftsteller aller Sprachen leiden nämlich an einer Prämisse für gelungene Überarbeitung, mit der wir uns selbst das Leben schwer machen, um es unseren Lesern leicht zu machen: Kill your Darlings. Man schraube diejenigen Elemente eines Manuskripts zurück, die man selbst am liebsten hat. Denn nur weil man selbst etwas toll findet, muss das nicht bedeuten, dass es anderen Menschen auch so geht. Beispielsweise war der Autor von Wonder Woman ein ausgeprägter Fan von Bondage. In der ersten Fassung wurde diese Superheldin deshalb ständig gefesselt, geknebelt und angekettet. Doch weil nicht jeder Mensch auf Fesselspielchen steht, schickte der Verlag dem Autor ein Memo, die Ketten-Szenen um 50 bis 75 Prozent zu reduzieren. Trotzdem war es natürlich furchtbar, die eigenen Lieblinge aus einem Buch zu streichen. Es jedoch konsequent durchgezogen zu haben, ist für mich der einzige Grund, warum ich überhaupt noch schlafen kann. Kommt das Buch nämlich gut an, weiß man, das Opfer war nicht umsonst. Und wenn das Buch flopt, ist man deshalb nicht so traurig wie über den Verlust der Lieblinge. Und wie der Autor von Wonder Woman wahrscheinlich auch wusste: Den eigenen Leidenschaften in der Realität zu frönen, ist sowieso viel schöner als in der Fiktion.
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