Glück

Glück ist, wenn die eigenen Kinder die Füße bewegen, immer.

Ich glaube ja nicht an das Glücklichsein. Ich halte Glück für eine Illusion und alle Glücksratgeberautoren für Betrüger oder zumindest der Beihilfe zum Selbstbetrug für schuldig (wie auch alle anderen Angehörigen der baumumarmenden Industrie). Glück hat die Natur für den Menschen nicht vorgesehen, denn mit ihm hatte sie andere Pläne: Er sollte Symphonien komponieren, ohne Socken Amerika entdecken und die Herzverpflanzung erfinden – alles Dinge, die ein glücklicher Mensch nicht täte, weil er lieber in der Sonne säße und Eis schleckte. Ich sitze in der Sonne und schlecke ein Eis und bin dem Zustand des Glücklichseins so nahe, dass meine Theorien zu wanken beginnen. Es war der perfekte Tag, wir hatten ihn im schönsten Freibad der Welt verbracht, unter einer Föhre liegend, gleich neben dem Naturbecken mit dem grünen Wasser, 20 Meter weiter saß Polly Adler und trank Kaffee mit dem Burgschauspieler, ich hatte die Glosse des wunderbaren Hans Zippert in der Welt gelesen und der Zeit zugeschaut, wie sie stehen geblieben war. Jetzt noch ein Eis zum Abschluss, .... in diesem Augenblick Hilferufe, Panik, zwei Kinder treiben im Wasser, sie werden geborgen, Beatmung, warum bewegen die ihre Füße nicht? Falls ein Arzt anwesend ist, eine blonde Frau hetzt heran, Herzmassage, warum bewegen die ihre Füße nicht? Blaulicht, bitte gehen Sie weiter, aber ich will doch nur sehen, dass die die Füße bewegen! Wir gehen zum Auto, meine Freundin weint und ruft „Ich will das nicht“, ich bringe kein Wort heraus, sehe nur die Füße, die sich nicht bewegen. Und in der Sekunde schießt mir ein: Glück ist, wenn die eigenen Kinder die Füße bewegen, immer. Die beiden Kinder haben überlebt, lesen wir zwei Tage später in der Zeitung. Meine Freundin weint wieder, und dann schweigen wir.

www.guidotartarotti.at

guido.tartarotti@kurier.at

Kommentare