Moralonkelolympiade
Ich hab’s nicht gern, wenn mal wirklich was passiert. Nicht nur, weil ich der Vorstellung anhänge, dass das gelungene Leben eine gemächliche Abfolge von Nichtereignissen wäre, sondern auch, weil die großen Ereignisse, die katastrophalen zumal, in den Medien, vor allem den sogenannten sozialen Medien, einen pathostriefenden Relativierungswahnsinn in Gang setzen, dem ich mich intellektuell nicht gewachsen fühle. Wenn rauskommt, dass uns die Erbschaft, die der vom Himmel gefallene Stern des Südens in Form der Hypo Alpe Adria hinterlassen hat, bis zu 19 Milliarden Euro kosten könnte, fangen die ersten damit an, es für unmoralisch zu halten, dass über ein Burgtheater-Defizit in der Höhe von 8 Millionen Euro überhaupt geredet wird.
Und wenn die Bilder von brennenden Barrikaden und die Meldungen über Tote und Verletzte aus Kiew kommen, werden wir aufgefordert, angesichts dieses europäischen Dramas die österreichischen Provinzpossen, so kostspielig sie auch sein mögen, gefälligst zu vergessen. Der Völkermord, der uns verbieten würde, die paar Toten in Kiew allzu wichtig zu nehmen, war zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe Gott sei Dank noch nicht im Gange. Wenn dann auch noch Bernhard Henri-Levy, der unerträglichste unter den lebenden französischen Philosophen, in einem schlecht geschriebenen und/oder übersetzten Text im deutschen Großfeuilleton die Abreise aller Athleten aus Sotschi fordert, weiß man endgültig, dass es wieder so weit ist: Moralonkelolympiade.
Dass es in Kiew unter der Perspektive von Freiheit und Menschenrechten um mehr geht als in der Hypo, weiß ich, dankesehr. Und dass 19 Milliarden relativ viel mehr sind als 8 Millionen, leuchtet mir auch ein. Aber könntet Ihr bitte aufhören, mir mitzuteilen, worüber ich mich gerade politisch korrekt zu empören habe? Danke.
Kommentare