Der Hypochonder und ich
Hypochonder haben, wie man weiß, die mit Abstand besten Chancen von uns allen auf ein langes Leben. Weil sie immer früh genug zum Arzt gehen. Die hohe Lebenserwartung hat natürlich, wie alles Andere auch, ihren Preis: Die hochfrequente Abwechslung zwischen Angstschüben und Erleichterungsextasen belastet nicht nur die Psyche des Hypochonders selbst, sondern auch und vor allem die seelische Balance seiner Umgebung. Ich weiß nicht, ob Sie einmal über einen längeren Zeitraum mit einem Hypochonder das Büro oder das Eigenheim geteilt haben. Ich nicht wirklich, aber ich mache immer öfter Erfahrungen mit Menschen, die ich mit der gebotenen wissenschaftlichen Zurückhaltung hypochondrierenden Hypochonder nennen würde. Das sind Personen, denen neben ihrer mit großer Regelmäßigkeit auftretenden Sorge, dass es sich bei der kleinen Schwartenverhärtung, die sie zwischen Wirbelsäule und Nabel aufgespürt haben, um ein Fettzellenkarzinom handeln könnte, auch von der Angst geplagt werden, dass sie an Hypochondrie im Endstadium erkrankt sein könnten. Noch mehr als bei gemeinen Hypochondern verspürt man als Gegenüber bei den hypochondrierenden Hypochondern den Impuls, das selbstmitleidige Geflenne durch eine paradoxe Intervention á la „Fettzellenkarzinome haben aber den großen Vorteil, dass sie schnell explodieren und dem Leiden ein rasches Ende setzen“ zu beenden. Hilft aber natürlich bei hypochondrierenden Hypochondern noch weniger als bei den gemeinen. Man kann damit zwar möglicherweise den Fettzellenkarzinomverdacht entkräften, verstärkt aber gleichzeitig den Hypochondrieverdacht. Der Fall, mit dem ich es derzeit zu tun habe, ist besonders aussichtslos, falls es eine Steigerungsform von aussichtslos geben sollte. Ich fürchte, wenn mir nicht bald etwas einfällt, führt an einem Seelenkarzinom kein Weg mehr vorbei.
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