Haights/Ashbury, San Francisco

Ein Spaziergang durch das Viertel, in dem der „Summer of Love“ stattgefunden hat, macht einem klar, dass unsere Kultur dem Untergang geweiht ist.

Meine Fähigkeit, das Unumstößliche anzuerkennen, wird regelmäßig auf die Probe gestellt und ebenso regelmäßig muss ich mit der Tatsache leben, dass ich die Probe nicht bestehe. Unglücklicherweise finden diese Tests in der Regel unangemeldet statt, man kann sich also nicht darauf vorbereiten wie auf den PISA-Test oder andere sinnlose Überprüfungen. Zuletzt hat es dem Weltgeist gefallen, mich kurz nach Verlassen des Busses Nummer 71 an der Kreuzung Haight/Ashbury in San Francisco an die Tafel zu rufen, um mich zu fragen, ob ich inzwischen endlich kapiert hätte, dass das, was uns aus diesem Stadtteil San Franciscos als „Summer of Love“ des Jahres 1967 überliefert ist und alles, was dann kam – die Studentenrevolte von 1968 und die damit verbundene Umwertung aller Werte – den entscheidenden gesellschaftlichen Fortschritt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt. Leider nein. Ich hab’s noch immer nicht kapiert. Und ich muss sagen, dass die bekifften Kampfhundidioten, die mir auf dem Spaziergang durch das Viertel entgegengestoplert sind, meinen Lernprozess nicht besonders nachhaltig unterstützt haben. Wahrscheinlich werde ich nie verstehen, wie es möglich war, dass die Loser, die sich hier versammelt haben, die ästhetischen und moralischen Standards einer ganzen Generation bestimmen konnten. Dass der abendländische Normalo vor einem halben Jahrhundert so auf den Hund gekommen war, dass er sich von schlecht angezogenen Taugenichtsen diktieren ließ, wo’s lang geht, hat mich immer gewundert. Angesichts der Wiedergänger, die sich dieser Tage dort herumtreiben, wurde aus der Verwunderung Erschütterung. Mir wurde klar, dass eine Kultur, die diesen pseudoindividuellen Mist als Veredelung gefeiert hat, mit ihrem Untergang die richtige Wahl getroffen hat.

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