Die Welt ist nicht gerecht

Murakami, Pynchon, de la Mirandola: Über Literatur und Originalsprache.

Mit der originalsprachlichen Literatur ist das so eine Sache. Haruki Murakami zum Beispiel, der japanische Superstar, wurde eine Zeitlang zuerst aus dem Japanischen ins Englische und von dort ins Deutsche übersetzt. Heute lässt man wieder direkt vom Japanischen ins Deutsche übersetzen, weil sich über den Umweg des Englischen jener etwas lockere sprachliche Umgang mit Sex eingeschlichen hatte, der anlässlich des Erscheinens von "Naokos Lächeln" zuerst zum in die Literaturkritikgeschichte eingegangenen Prüderiestreit zwischen Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler über "Naokos Lächeln" und dann zur Auflösung des "Literarisches Quartetts" geführt hat.

Das aktuelle Opus heißt "Shikisai wo motanai Tazaki Tsukuru to, kare no junrei no toshi", aber mein Japanisch ist derzeit nicht besonders, also lese ich ohne schlechtes Gewissen die deutsche Übersetzung, sehr schnell, fast ein wenig mit Suchtfaktor wie seinerzeit in meinen Karl-May-Tagen, die jetzt auch schon wieder vier oder fünf Jahre her sind.

Amerikanische Literaturgiganten wie Thomas Pynchon hingegen kann man aus Angst vor den hämischen Nachstellungen bildungsbürgerlicher Spießerkonkurrenten nicht guten Gewissens in der Übersetzung lesen. Andererseits ist die Lektüre seines jüngsten Meisterwerks "Bleeding Edge" im Original, offen gestanden, eine rechte Plage, für mich jedenfalls. Älteren Menschen fällt der Umstieg vom elisabethanischen Stil auf New Yorker Slang nicht so leicht. Latein hingegen geht noch ganz gut. Als ich vergangene Woche in Vorbereitung auf den Internationalen Frauentag nach einer Originalausgabe von Pico della Mirandolas "Oratio de hominis dignitate" suchte, um herauszufinden, ob dort wirklich die Frage gestellt wird, ut mulier homo sit, da fand ich allerdings keine. Die Welt ist nicht gerecht.

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