Woher genau mein Faible für Fanatiker rührt, kann ich nicht sagen. Zunächst dachte ich, dass es wohl eine Folge der Verhausschweinung sein müsse, die uns alle früher oder später erfasst: Je mehr wir es mit einem Geflecht aus Bedingungen und Begrenzungen zu tun bekommen, die uns dabei helfen sollen, unser bürgerliches Leben mit Familie, Beruf, Freundeskreis und kulturellen Bedürfnissen im Gleichgewicht zu halten, umso größer wird unser Bedürfnis nach Unbedingtheit und Unbegrenztheit.

So entsteht „radical chic“: Das vom Lehnstuhl aus geäußerte Faible für Fanatiker aller Art, gewürzt mit dem einen oder anderen Zitat aus einschlägigen Werken der politischen Literatur, die wir nicht gelesen haben. Ich erinnere mich an den leider schon verstorbenen Kollegen, der nach den Anschlägen von 9/11 wie ein Rumpelstilzchen herumhüpfte und davon schwärmte, wie „großartig“ das Ereignis unter ästhetischen Gesichtspunkten sei. Damals dachte ich, dass „radical chic“ auch dann nicht besser wird, wenn einer die politische Literatur kennt, aus der er zitiert.

Sogar wenn ich mit der lächerlichen Variante des Fanatikers konfrontiert werde, den pilgernden Frömmlern und frömmelnden Pilgern, die am „Jerusalem-Syndrom“ erkranken zum Beispiel, wie sie in Simon Montefiores „Jerusalem“-Biografie auftreten und auch in Norbert Gstreins jüngstem Roman „Eine Ahnung vom Anfang“, hege ich Sympathie. Denn am Ende ist der Preis fürden relativen gesellschaftlichen Frieden, in dem wir unsere Tage verbringen, die stille Übereinkunft, nichts mehr ernst zu nehmen. Glaube heißt Krieg, und wir haben uns für den Frieden entschieden. Nicht, dass ich diese Entscheidung revidieren möchte. Mir fällt nur immer öfter auf, dass der Preis, den wir für den Frieden zahlen, nicht wirklich ein Sonderangebot ist.

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