Wann haben Sie sich zum letzten Mal vorgestellt, ein ganz Anderer, eine ganz Andere zu sein? Nie? Ich oft. Bis heute weiß ich nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist.
Eher ein schlechtes, würde ich sagen. Es deutet ja doch auf eine gewisse Ich-Schwäche hin, wenn man sich immer wieder vorstellen kann – oder sich sogar wünscht –, eine ganz andere Person zu sein, oder?
Andererseits: Wer sich vorstellen kann, auch ein ganz Anderer zu sein, kann vielleicht mit dem Anderssein der Anderen entspannter umgehen. Das hilft jetzt mir persönlich wieder nicht so sehr, weil ja mein Problem im Großen und Ganzen nicht das Anderssein der Anderen ist, sondern ihr Sein als Solches. Ob die jetzt so sind oder anders, ist mir eher wurscht, mir wäre nur recht wenn sie nicht wären, jedenfalls nicht dann und dort, wenn und wo ich bin. Vielleicht ist mein gelegentlicher Wunsch, nicht Ich zu sein, meine verquere Art, der in mir angelegten misanthropischen Neigung ein menschenfreundliches Schnippchen zu schlagen: Ich versuche nett zu den Anderen zu sein, indem ich Ihnen die Möglichkeit verschaffe, es nicht mit mir zu tun zu haben, so wie ich es ja auch nett von ihnen fände, nicht sie zu sein, jedenfalls nicht jetzt und hier.
Wenn die auch ungefähr so sind wie ich, hilft ihnen das natürlich nicht, denn dann ist ihnen ja auch egal, ob ich so oder anders bin, sondern sie hätten gern, dass ich NICHT bin, jedenfalls nicht hier und nicht jetzt.
Neulich in der Stadt am See, als ich mir wieder einmal vorstellte, ein Anderer zu sein, kam mir der Gedanke, dass das Anders-Sein-Können vielleicht eine Vorstufe zum Nicht-Sein-Können darstellen könnte. Menschenfreundliches Nichtexistieren: Eine schöne Herausforderung. Ich glaube, es lohnt sich, daran zu arbeiten.
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