So schmeckt Heimat

So schmeckt Heimat
Nährwert mit Mehrwert: Was gut schmeckt und gut tut, wissen die Menschen seit Jahrhunderten. Jetzt besinnen sie sich wieder darauf. Das kulinarische Erbe der Alpen wird gepflegt und erlebt eine Renaissance.

Einheimische Krebse gehörten so wie Teichfische zur Fastennahrung der ländlichen Bevölkerung. In jedem bäuerlichen Haushalt wurden im Mittelalter 30 bis 40 Kilo Fische und Krebse verzehrt, schätzen Historiker. Wo es keine Seen gab, wurden vor allem Krebse aus Bächen und Flüssen geholt. Edel-, Stein- und Kamberkrebse waren das damals. Heute sind sie durch Bachverbauungen, die Krebspest, eine Infektionskrankheit, und die Einfuhr amerikanischer Krebsarten kaum noch vorhanden und streng geschützt. Die amerikanischen Krebse sind dagegen immun. In der Drau etwa breiten sich vor allem die amerikanischen Signalkrebse massiv aus und werden intensiv befischt. Erich und Andreas Bernik aus Bad Bleiburg holen jedes Jahr mehrere Hundert Kilo Signalkrebse aus der Drau. Vater und Sohn fahren mit dem Boot auf den Fluss, um die Reusen einzuholen und beliefern Haubenköche wie Michael Sicher in Tainach, der aus ihnen auch einzigartigen Krebskaviar gewinnt. Galten die Flusskrebse bis ins Mittelalter als Arme-Leute-Essen und bei den Römern sogar als Sklavennahrung, wurden sie im 18. Und 19. Jahrhundert zur Delikatesse, auf Wiener Fischmärkten verkauften im 13. Jahrhundert die „Krebslerinnen“ ihre Ware.Importprodukte wie Kaffee, Mandeln, Pfeffer, Zucker und später, nach der Entdeckung der Neuen Welt, auch Tabak, bedeuteten Luxus. Weil aber diese Luxusgüter nicht immer und schon gar nicht für jedermann erreichbar waren, begann man in der Alten Welt mit Ersatzprodukten zu experimentieren. Um die fehlenden Pfefferimporte zu kompensieren wurden in Ungarn, Spanien, Süditalien und Südfrankreich noch mehr scharfe Paprikasorgen angebaut.

Gut gerührte Wälderschokolade

Fühlt sich an wie Marzipan, sieht aus wie Karamell und heißt Älpler- oder Wälderschokolade: Nach dem Käsen wir die Molke stundenlang gerührt, bis Milchzucker entsteht. Eine süßsäuerliche Spezialität aus dem Bregenzerwald.

Im Prater in Wien wurde kanadischer Zuckerahorn kultiviert, in Frankreich gewann man Traubenzucker aus Trauben. Und im Bregenzerwald wurde nach dem Käsen die Molke zu Milchzucker eingekocht. Das nannte man Gsig, Sig oder Wälder schokolade. Die braune Masse, die die Konsistenz von Marzipan hat, süßsäuerlich mit leicht salzigem Caramelgeschmack, wird wie ein Bonbon oder eben Schokolade gegessen. Ignaz Feurstein ist einer der wenigen, die Sig aus frischer Molke und nicht aus Molkepulver herstellen. Der ehemalige Molkereifahrer aus Schwarzenberg im Bregenzerwald kocht die Molke auf offenem Gasfeuer und rührt bis zu fünf Stunden lang, damit der Molkezucker karamellisiert. Dann vermischt er ihn mit Butter und Rahm.Robust und den regionalen Gegebenheiten angepasst – das sind die Nutztierrasen des Alpenraums. Sie haben noch eine weitere Besonderheit: Die Bauern konnten doppelten, mitunter sogar dreifachen Nutzen aus ihnen ziehen. Kühe etwa lieferten nicht nur gutes Fleisch, die Milchleistung war hoch und die ausdauernden und kräftigen Ochsen wurden obendrein als Zugtiere eingesetzt.

Eines der wichtigsten Nutztiere war das Huhn. Es war Eierlieferant, leicht verfügbare Festspeise, das weniger hochwertige Fleisch hing im Rauchfang ab und wurde dadurch haltbar. Das bevorzugte Huhn am Wiener Hof war das Sulmtaler Huhn aus der Südsteiermark. Steirische Kapaune wurden auch gern nach Frankreich exportiert und waren im ausgehenden 19. Jahrhundert drei Mal so teuer wie ein normales Huhn. Seit einiger Zeit erlebt diese gefährdete Rasse eine Renaissance.

Einer der Sulmtaler-Züchter ist Anton Koschak aus Heimschuh in der Steiermark. Er ist Wirt und Weinbauer, der in seiner Weinschenke auch Hahnenkämme und Hahnenhoden auf der Speisekarte führt. Während ein Industriehuhn sein Schlachtgewicht mit Hilfe von Kraftfutter meist schon nach vier Wochen erreicht, haben die Sulmtaler Zeit zum Wachsen: Sie werden meist sechs Monate alt.

Glücklich bis zum Ende.

Dominik Flammer, Sylvan Müller: Das kulinarische Erbe der Alpen,

AT Verlag, 368 Seiten,

80,20 €

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