Seen im Winter

Die klare, stille Luft schärft den Blick auf das Wesentliche: die stille Schönheit des Wolfgangsees im Winter
Das Pritscheln und das Kinderlachen sind nur noch eine Erinnerung. Die Wassoberfläche liegt glatt wie ein Spiegel da. Auf den Wiesen im Strandbad sind die Enten die letzten Gäste. Das "Bitte nicht stören"-Schild wäre da nicht notwendig gewesen.

Die Sonne sieht aus, als würde man sie durch ein Milchglas betrachten und die letzten noch am Strand Übriggebliebenen sind ein paar heisere Vögel; im Pool gibt’s kein Wasser mehr und in der Sauna keinen Strom: So sieht die „Nochsaison“ bei Willi Resetarits aus. Der Zeit zwischen den Jahreszeiten ist in Kunst und Literatur selten gehuldigt worden. Ihr haftet etwas Schales an. Der Sommer ist vorbei, die winterliche Gemütlichkeit findet sich hier schwer zurecht. Grau und fahl ist sie, die Zwischensaison. Ein Unort, schwer zu bestimmen.

Eine ungefähre Welt, ausgestattet mit einer eigenen, erst auf den zweiten Blick greifbaren Schönheit. Der Schriftsteller Christoph Janacs und der Fotograf Peter Schlager haben sie erkannt und in ihrem Buch „Off Season“ festgehalten.

Auf ihrer Reise zu den verlassenen Strandbädern im Salzburger Land, im Salzkammergut und zum Chiemsee beschwören sie den poetisch-melancholischen Zauber der kalten Seen und den Nebel über den verlassenen Plätzen; sie beschreiben, wie es ist, wenn der Schnee die Erinnerung an die Sommerfrische unter sich begräbt und das Kinderlachen und das Wasserpritscheln nicht einmal mehr ein fernes Echo sind. Die Badehütten sind zugesperrt, die Spielplätze vereinsamt. Vergessenes und Zurückgelassenes sind wehmütige, manchmal auch komische Erinnerungen an lautere, weniger noble Tage. Ein rostiges Fahrrad lehnt verschämt an einem Baum.

Die kiloschweren Sonnenschirmständer, deren Design wohl noch aus den Sechzigerjahren stammt, stehen zusammengepfercht und schneebedeckt im Eck: Sie wirken wie eine pastellige Erinnerung an kreischbunte Peter-Alexander-Filme, mit denen man vor fünfzig, sechzig Jahren die Sommerfrische beschwor, wohl um die düstere Nachkriegsatmosphäre auszutreiben. Das Weiße Rössl, es scheint auf den Bildern der Nachsaison am Wolfgangsee ganz weit weg. Hier gibt’s keine Operette, hier klingt nur die Stille. Ortswechsel. Chiemsee. Ein Boot liegt wie gekentert am Strand, unter ihm vergilbtes Gras. Jemand hat ihm Haifischzähne aufgemalt, doch dieser Mackie Messer ist bloß ein hilfloses, gestrandetes Fischlein, das am Ufer auf das kommende Frühjahr und seinen nächsten Einsatz wartet – hoffend, dass sich dann wieder jemand vor ihm fürchtet.

Peter Schlager erzählt in seinen feinfühligen Porträts Geschichten, die man erst in der Stille der Nachsaison hört. Erst, wenn das Plantschen der Kinder und das Plärren der Kofferradios verstummt ist, vernimmt man das leise Tropfen eines Rinnsals, das sich auf einer Markise angesammelt hat. Die letzten Wohnmobile harren auf dem Campingplatz am Salzburger Grabensee besserer, wärmerer Zeiten. Sie tragen dicke Schneemützen, und dass beim Schild „Gertis Sommerresidenz“ der Zusatz „Bitte nicht stören“ steht, das wäre wirklich nicht notwendig gewesen. In der Portiersloge beim Strandbad warten ein aufblasbarer Seehund und eine schon etwas lädierte Gummiente auf den nächsten Sommer. Und die knallgelbe Plastikrutsche steht bereit, um zur Eröffnung der Badesaison wieder von flinken Kinderpöpschen poliert zu werden.

Tobend werden die Jungen dann wieder sämtliche Ermahnungen, nicht auf dem Bauch, dem Rücken oder gegen die Fahrtrichtung hinunter zu flitzen, ignorieren. Und bedauernd werden die Alten sie aus der Ferne beobachten, weil ihre Tage der ausgelassenen Unbekümmertheit schon eine Weile her sind. Ob das Paar, dessen Initialen samt Herz auf dem verwitterten Holzpflock eingeritzt sind, noch beieinander ist?

Einsame Plastiktiere, verlassene Spielplätze und hin und wieder Menschen, die sinnierend aufs Wasser blicken, sieht man auf diesen Bildern. Ein See im Winter ist wohl eine Einladung zur inneren Einkehr. Ob die Menschen im Winter mehr über die Existenz nachdenken als im Sommer? „Die Luft riecht schon nach Schnee“ heißt eine der Kurzgeschichten von Christoph Janacs in „Off Season“: Ein Mann macht seinen Garten winterfest. Zwickt die Köpfe der Herbstanemonen ab – „der Nachtfrost hatte ihnen zugesetzt“–, rupft die Myrtenastern, kappt die abgestorbenen Rosenäste. Schwindel erfasst ihn, er verliert das Bewusstsein, wacht wieder auf, als er Schneeflocken an seiner Wange spürt. Zum Aufstehen ist er zu müde.

Ob das nun die letzte Saison dieses Gärtners gewesen sein wird, lässt Janacs offen. Es kann ja jetzt auch noch niemand sagen, ob der komische Plastikfliegenpilz, den Peter Schlager vor einem Kabäuschen am Wallersee eingefangen hat, den nächsten Sommer erleben wird. Der Kanadawimpel im schiefen Tontopf daneben hält sich jedenfalls tapfer. Und die zwei Bierflaschen auf der Holzbank, die wird bestimmt im Frühjahr jemand wegräumen. Dann kommt vielleicht auch der Besitzer des einzelnen blauen Plastikschuhs wieder vorbei, der am Hundestrand am Wallersee im Schilf verloren gegangen ist. Bis dahin halten die Schwäne hier die Stellung. Blicken ähnlich nachdenklich wie die Menschen über das Wasser. Und keiner weiß, ob sie sich dabei etwas denken.

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