Der Mann ohne Eitelkeiten

So gut wie unsichtbar neben seiner Arbeit. Sebastian Koch, nachdenklich, belesen, musikalisch, erotisierend. Was er mit „Freiheit und künstlerischer Selbstbestimmung“ meint, ist ganz nah zu spüren im Theater in der Josefstadt am 29. November: an Schnitzlers „Traumnovelle“ mit Musik.
Von Ro Raftl

Verliebt. In die Figur von Alfred Nobel. Sein Bild, ein Altersfoto, im iPhone gespeichert. „Passiert manchmal“, sagt Sebastian Koch ziemlich aufgekratzt: „Ein toller Kerl, ein verrückter Kauz, ein ganz spezieller Charakter. Wahrscheinlich der reichste Mensch überhaupt damals, mit 90 Fabriken in aller Welt. Sehr freundlich, sehr einsam, sehr sehnsuchtsvoll, wie von Trauer umwebt, von einem geheimen Schmerz. Gleichzeitig ganz verschmitzt, mit einem tollen Humor.“ Passion eines internationalen Stars, der ohne Künstlerschal auskommt: Im Leben der anderen recherchieren. Figuren so genau studieren, bis es klickt. Bis er in ihnen verschwinden kann wie Alice im Kaninchenloch auf ihrer Traumreise durchs Wunderland. Koch, wer? Na Speer! Ah der!, ist „neben seiner Arbeit so gut wie unsichtbar“. Bisschen widerborstig, wenn es um Muss-Haben-, Muss-Machen-, Muss-Dabeisein-Zwänge geht. „Nicht so leicht zu ködern“ titelte eine Berliner Zeitung über das Sieb, in dem er glänzende Angebote wäscht. Um mehr Rollen abzulehnen als anzunehmen. Liebenswürdig, unarrogant, doch treu seinem Credo: „Freiheit und künstlerische Selbstbestimmung“. Nur drei Filme in zwanzig Jahren „wegen des Geldes“ liest man da. Sonst bloß Figuren mit Ecken, Kanten, Tiefgang: „Ihr Charakter muss mich interessieren.“

Andreas Bader, Klaus Mann, Richard Oetker, Claus Graf Stauffenberg, Albert Speer, Georg Dreymann und ... Samt Umkehrschwung zu einem Marschall Napoleons; dem griechischen Nationalhelden Ioannis Varvakis, der als Pirat zum Millionär gedieh, weil „Gott Kaviar liebt“; zum Haudegen Wolf Larsen in einem Remake des Abenteuerklassikers „Der Seewolf“, zum russischen Widerpart von Bruce Willis, als der zum fünften Mal langsam sterben musste, und ... Geschmeidig zu Fuß auf den Boulevards von Berlin Charlottenburg. Als netter Nachbar unter grünen nachkriegsgepflanzten Alleen. Der Kudamm nicht weit vom Ristorante Pascarella, einer Stammkneipe quasi. Gut, verdammt gut sieht der 52-Jährige aus, in unauffällig lässigem Boboschick, den er – zu Ehren Österreichs? – um eine ferne Verwandte wolliger Bergjoppen erweitert hat. Laufen, Reiten, Fechten, Gewichte heben? „Nur das Allernötigste. Pilates gerade. Aber sehr vorsichtig.“ Hm. Lustprinzip. Mit 18 hätte er als Jugendmeister im Hochsprung für die Olympischen Spiele trainiert werden sollen. Erschien ihm zu zwanghaft. Welches Glück: Moskau 1980 wurde boykottiert. Zwei Jahre hätte er sich für nix geschunden. Ein Star. Repetiert man im Hinterkopf. Einer, der mit Gérard Dépardieu, John Malkovich, Tom Hanks oder John Cleese gedreht und Cathérine Deneuve geküsst hat. In „God Loves Caviar“ auf die Hand, in „Marie und Freud“ auf den Mund und sonstwohin ... Aber. Da sitzt kein Hutschenschleuderer und löffelt Mangoldsuppe. Da lugt kein Narziss aus dem Augenwinkel, ob ihn auch wer erkennt. Kein jovial herablassender Unterton macht das Lob fürs gute Essen zur Farce, keine Allüre liegt im lustigen Gegengrüßen schlendernder Nachbarn. Nur ja kein Brimborium.

Fast wienerisch seine Sprachmelodie, sanft und fließend baritonal, bis auf ein „Nee“ kaum deutsche Härten. Koch hat ja auch Romanzen mit Wien: Mit der Berggasse, seit er Sigmund Freuds Schüler Loewenstein gab. Mit dem AKH, als er für den Landarzt in Götz Spielmanns „Oktober November“ der menschlich-medizinischen Haltung eines guten Doktors nachspürte. Mit dem Palais der französischen Botschaft, in dem er sich vergangenen Frühling in Alfred Nobel verwandelt hat. In Nobel, der das Dynamit erfand und den Krieg gehasst hat. Beeinflusst und fasziniert von Bertha von Suttner, ihrem Buch „Die Waffen nieder“, ihrem flammenden Friedensaktivismus. Zwei Wochen nur war sie seine Sekretärin in Paris, zwanzig Jahre bis zu seinem Tod schrieben sie einander Briefe. So gut gegen Nordwind wie heute E-Mails. Selbst wenn sie den Nobelpreis erst 1905, nach seinem Tod bekam. Der Film über diese Freundschaft (wohl publikumswirksam näher an Liebe gerückt) mit Birgit Minichmayr als Bertha ist zwei Tage vor der Friedensnobelpreis-Verleihung am 8. Dezember auf ORF II zu sehen. Wien hat Paris unter blauem Himmel dargestellt, doch manchmal braucht es den Herbst, um Lust auf neues Leben zu spüren. Auf neue Freiheit, neue Liebe. Kochs Lebenslauf vermerkt eine Journalistin (als Mutter seiner Tochter) und zwei Schauspielerinnen. Aus der Zeit mit der schönen Holländerin Clarice van Houten – vier Jahre, nachdem sie sich in Paul Verhoevens Kriegsfilm „Black Book“ drehbuchgerecht ineinander verliebt hatten – findet sich allerlei auf YouTube. Sie dürfte Gas gegeben haben. Nicht unbegreiflich. Auch nicht, dass viele Frauen gern mit einem Feschen, Klugen, Berühmten tändeln.

Doch der lacht: „Liebe kann man ja nicht suchen, die muss passieren.“ Wischt jede Theorie vom Tisch, ob man sich Ehe und Babygebrüll überhaupt noch mal antun will mit 52?! „Ach, dann bist verrückt und im Rausch – und machst den ganzen Schwachsinn mit und bereust ...“ Die Augen blitzen, die Stimme schwingt höher, klingt nach Balzruf: „Vielleicht bin ich bald gar nicht mehr hier.“ Wo dann? „Ach, was weiß ich.“ Also, kein Tacheles. Sondern Schnitt. Doch irgendwie denkt man an schrundige Klippenränder über türkisblauem Meer, an das Lebensgefühl der Griechen, das ihn beglückt. Nach der Premiere von „God loves Caviar“ haben sie ihn auf den Schultern durch Athen getragen. Im Sommer war er vier Wochen auf Paros, ohne zu arbeiten, und verklärt: „Sie können sich so freuen und sie haben so viel Zeit – was wir komplett verloren haben. Das ist mir sehr nah – das Freuen meine ich.“ Konstatiert: „Wir können viel voneinander lernen. Und darum geht es doch im Leben! Um die Offenheit, zuzugeben, dass wer anderer was besser kann.“ Als Bub schon hat er das hautnah geübt, an vielen Kindern im Kinderheim, in dem seine Mutter Hauswirtschaftsleiterin war und mit ihm gewohnt hat. Der Vater hatte sich vertschüsst. Ein roter Faden. Grad ist Sebastian K wieder frei, ihn neu zu spinnen. Denn: Seine Tochter Paulina ist 18. „Hat ihr A-Level in England gemacht, jetzt hab’ ich in meinem Haus ein kleines Studio für sie eingerichtet. Sie ist da und auch wieder nicht. Ich bin nicht mehr angebunden. „Ja, als 13-Jährige stand sie vor meiner Tür, weil sie bei mir leben wollte.“ Gut. Also. Pause beim internationalen Film, bloß ein paar Projekte in Berlin. „Ein Jahr lang waschen, kochen, die Basics klären. Angstlos? „Existenzangstlos. Ich brauch’ weder die große Karriere noch das große Geld. Hab’ auch als Provinz-Ei lieber Gitarre gespielt und in der Theaterwelt geschnuppert als mir für Hochleistungssport die Bandscheiben zu ruinieren. Wenn Du den richtigen Riecher hast, läuft dir nichts davon.“ Endlich schimmert so was wie Stolz beim nachhaltig von der Kritik Gelobten durch: auf seinen Riecher. Und zu Recht.

Nach dem radikalen Tochterpausenjahr kamen mehr Angebote als je zuvor. Die Gitarre, zwei Gitarren, nimmt er an jeden Drehort mit. Wollte Musiker werden, mutierte in Stuttgart zum Peymann-Fan. Studierte Schauspiel an der Münchner Falckenberg-Schule, spielte in Ulm und in Darmstadt das gesamte Bühnen-Repertoire rauf und runter, bevor sich erträumter Höhenflug am Intendanten-Debakel des Berliner Schillertheaters zerschlug. Ein „Tatort“ mit Helmut Fischer legte die perfekte Spur zu TiVi-Produktionen aller Art. Hochkarätige Rollen: Als Entführungsopfer Richard Oetker oder als drogensüchtig depressiver Dichtersohn Klaus in Heinrich Breloers Dreiteiler „Die Manns“. 2002 bekam er dafür gleich zwei Mal einen Grimme-Preis. Singulär. Keinem anderen Schauspieler ist das in den letzten dreißig Jahren gelungen. Koch gibt nicht mit Preisen an, spricht nur von der Suche nach Figuren, nach dem Klick, der sie von innen spüren lässt. Stauffenberg durch ein Essen bei seiner Witwe im kalten steifen Prunk einer preußischen Adelsvilla. Den Stasi-observierten Dramatiker Dreymann in Florian Henckel von Donnersmarcks Oscarfilm „Das Leben der Anderen“ – als er die Sonatine hörte, die Gabriel Yared für den Film komponiert hat. Intelligent-gefühlvoll-melancholisch-schillernd-kompliziert: Georg Dreymann! Und natürlich das innere System des allzeitfreundlichen Naziverbrechers Albert Speer, den er nach monatelanger Recherche als „Gedankenarchitekten“ entschlüsselt hat, „als jemanden, der imstande war, in seinem Kopf neue Räume zu bauen und die alten zu schließen.

So fest, dass es für ihn selbst gestimmt hat, wenn er sagte: Ich habe von nichts gewusst.“ (Nur nebenbei: Deutscher Fernsehpreis). Kochs dritte Arbeit mit Breloer, und eine seiner besten. Ach. Trotzdem. Die erste Rolle bei dem 20 Jahre älteren Regisseur, 1997, als RAF-Terrorist Andreas Bader in dem Doku-Drama „Todesspiel“, hütet er in Hirn & Herz als „liebste und schönste“. Im Hirn als Drehpunkt für sein Geschichtsbild.

So fest, dass es für ihn selbst gestimmt hat, wenn er sagte: Ich habe von nichts gewusst.“ (Nur nebenbei: Deutscher Fernsehpreis). Kochs dritte Arbeit mit Breloer, und eine seiner besten. Ach. Trotzdem. Die erste Rolle bei dem 20 Jahre älteren Regisseur, 1997, als RAF-Terrorist Andreas Bader in dem Doku-Drama „Todesspiel“, hütet er in Hirn & Herz als „liebste und schönste“. Im Hirn als Drehpunkt für sein Geschichtsbild. Im Herzen Breloer als Mentor und Vaterfigur für einen lang den Vater Suchenden. Lächelt: „Zum Glück entspannt sich das mit den Jahren.“ Liebender Dank an die Mutter wird wichtiger: „Sie hat mich ermutigt, mir eine eigene Meinung zu bilden, zur ihr zu stehen und sie nötigenfalls auch auszusprechen.“ Ein Cappuccino – und ab zum Französischlehrer. Ein Film mit Daniel Auteuil, in Paris und in Lindau am Bodensee, „Der Fall Bamberski“, eine grauslich wahre Geschichte: Der Tod einer 15-Jährigen im Haus des Stiefvaters, eines bestvernetzten Arztes. Der richtige Vater lässt ihn 20 Jahre später nach Frankreich entführen, weil die Justiz den Fall versanden ließ. Koch spielt den versauten Arzt, „aber hauptsächlich, weil ich Auteuil begegnen will“. Fast zeitgleich in Steven Spielbergs Agententhriller „St. James Place“ neben Tom Hanks: „Zwei Filme parallel zu drehen ist absolut nicht meine Art – aber bei Spielberg kann man da schon mal eine Ausnahme machen.“ Dazwischen fügt er die Traumnovelle. Am 29. November im Theater in der Josefstadt. Als Reiseproviant für seine Seele. Exakt die Dosis Bühne, die sich ein Filmstar gönnen will. „Sebastian Koch liest eine der berühmtesten und geheimnisvollsten erotischen Erzählungen des frühen 20. Jahrhunderts“, sagt die Vorschau. Und: Dass die Lesung von einer eigens dafür komponierten Bühnenmusik untermalt wird. Dem Kölner Komponisten und Pianisten Hubert Nuss und seinem Trio gelingt es dabei, Kochs atmosphärische Rede- und Schauspielkunst mit äußerster Reduktion perfekt in Szene zu setzen. „Cool“, findet er. Gerät in Feuer: „Ein hochmusikalischer Text, fast wie eine Fuge geschrieben.“ Dass er so viel damit probiert hat, als ihm zufällig Miles Davis unterkam, eh klar, Fahrstuhl zum Schafott. Dass ihn dieser schwül-morbid-erotische Trompetenton auf die Idee brachte, einen Jazzkomponisten zu suchen. Dass sein Freund Nuss volles Vertrauen mit etwas sehr Schönem belohnte – Fridolins Thema in F-Dur, Albertines in A-Dur komponiert hat: „Manchmal der Geschichte vorauseilt, sie dann wieder nacherzählt. Doktor Schnitzler hat 20 Jahre an dieser Expedition ins Unbewusste gefeilt“, schießt dem belesenen Tüftler noch ein. Und überhaupt. „Halleluja! In die Josefstadt nach Wien, da gehört die Traumnovelle hin.“

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