"Schreiben Sie lieber ein Gedicht!"

"Schreiben Sie lieber ein Gedicht!"
Er wird gefeiert, dass es nur so pascht. Mit der Uraufführung der Revue „C’est la vie“, drumherum „Festspielen“ im Theater in der Josefstadt. Mit zwei Büchern, einem Dokumentarfilm, einem internationalen und einem nationalen Symposium, Premieren an der Burg, im Volkstheater, im Literaturhaus Graz. Peter Turrini, der Dramatiker, Essayist und Lyriker wird 70.
Von Ro Raftl

Vorfindungen. Ein Strickhauberl, cool, new generation. Winken. Der Dichter, sehr schlank, am Dorfplatz von Kleinriedenthal im Weinviertel. Es schüttet. Liebenswürdig lässt er sich nassregnen: Mag mich nicht sinnlos umherirren lassen. Das Haus liegt versteckt. Er hat es im „Rausch“ als Ruine gekauft. Konnte nicht mehr zurück. Handschlag unter Männern. Also hat er renoviert.

Der Turrini ist ein sanfter, freundlicher Mensch, der Fragen stellt, zuhört, Witze reißt. Wenn es nicht um politische Perfidien geht, grausliche Ausbeutungen, irrational antiquierte Zwänge, menschenverachtende Gemeinheiten. Früher ist er mit dem Kopf gegen die Wand gerannt, waren Wut und Verzweiflung mächtiger als Ironie, Humor und die Nähe zum Menschen bei seiner Erforschung der Wirklichkeit. Dass er ebenso schön reden wie schreiben kann, mit wohlklingender Stimme, zornig schneidend ironisch, blieb vom Symposium der Salzburger Festspiele 2005 unter dem Motto Wir, die Barbaren – Nachrichten aus der Zivilisation im Kopf.

Ja. Er habe nur keine Lust mehr, sagt Turrini, „den Pawlowschen Hund zu spielen, der bei jedem niederträchtigen politischen Sager die Goschen aufreißt. Ich versuch, meine Bedrängnis an meine Figuren weiterzugeben. Denn: Meine Ausdenkungen funktionieren am besten dialogisch.“ Seinen einzigen Roman, Erlebnisse in der Mundhöhle, lese er heute mit Schaudern. Einen Block trage er bei sich, einen dieser billigen vom Hofer, und stenografiert, was die Leute so sagen: „Manchmal geh ich aufs Häusl, damit’s nicht so auffällt, manchmal kann ich’s nachher nicht mehr lesen. Die Sätze werden auch keinem Stück zugeordnet. Sie kommen in die Bibliothek der Menschenbeobachtung. Je katastrophaler, desto lustiger. So entstehen Tragikomödien. Nur dazu bin ich in der Lage, weil mich das Komische immer vor dem Melancholischen rettet: Die Welt ist eine lustige Katastrophe.“ Schöner Satz. Geht als Titel trotzdem nimmer. Werner Krause und Gerhard Melzer haben ihn für ihr Gesprächsbuch in der Edition Kleine Zeitung benützt.

Tja, und ich gestehe: So aufregend Sauschlachten, so bedrängend Die Minderleister, so anrührend Tod und Teufel, Eine Liebe in Madagaskar und Da Ponte in Santa Fé, Turrinis Gedichtband Ein paar Schritte zurück, seine radikalen romantisch realistischen Versuche, unter die eigene Haut zu schauen, ist ein Favorit in meiner Bibliothek. Seit 1980. Auf dem mattglänzenden Umschlag der AutorenEdition ein Foto zerzauster Bäume über einem Kärntner Keuschendach. Drin auf festem Papier revoltierend resignierte Beichten, über die Verletzungen der Kindheit; die Sehnsucht, mitzuspielen, nicht am Rand des Fußballfelds zu stehen, angenommen zu werden, vom Vater, den Mitschülern, von Gott und den Frauen; übers Leiden am Gewicht der Welt. Versuche, dem Ich auf die Spur zu kommen. Überlistet, sanft gezwungen vom Professor Strotzka in der Psychosomatischen Abteilung des AKH, der den Verdüsterungen seines jungen Patienten gelassen entgegensetzte: „Wurscht, was ich Ihnen für Pulverln verschreib, wird nicht viel nützen, schreiben S’ mir lieber täglich ein Gedicht.“ Turrini liebt Hans Strotzka über dessen Tod hinaus. Die Gedichte bannen. Sie wurden in 32 Sprachen übersetzt. Treffen wohl Urgefühle, immer und überall gültig zwischen Mississippi und der Glan.
Doch. Mit 70, genau am 26. September, wenn auch die Geburtsstunde in den Unterlagen wie in den Erinnerungen von Mutter und Vater variiert, gelingt dem „dicken Tischlersbuben“ aus Maria Saal in Hypoland mehr als eine Überraschung.
Schlank, zum Gürtel um vier Löcher enger Schnallen. Na, nur vorübergehend. Die Silke Hassler, die nach Ansicht von Kinderfotos seine Selbsteinschätzung als dicker Sack nicht teilt, hat ihm das Versprechen abgenommen, nicht dünner als 90 Kilo zu werden. Aber. Spital. Ein frisch operierter Leistenbruch. Beim Lachen tut die Narbe weh.

Das alte Haus am Ende einer kurzen Kellergasse. Als wär er gestern eingezogen, so bodenglänzend, so staubfrei, so makellos aufgeräumt. Heimelig. Dieser Mann soll Rozznjogd geschrieben haben, vor 44 Jahren, diese archaische Befreiungsparabel zwischen Müll und Tod – wüst genug für einen handfesten Theaterskandal? Gut, der Guglhupf stammt von der Nachbarin, sie versüßt dem Turrini die Jausen, doch den Tisch deckt er selbst, Kaffee kocht er auch, und auf die Frage, ob die Putzfrau täglich kommt, lacht er: „Bin ich selber.“ Erklärt es. Mit Chaosglättung. „Ein Schizophrener springt zwischen zwei Personen hin und her, ein Dramatiker switcht zwischen fünf bis zehn Figuren, zwischen ihren Dialogen. Ein selbstauflösendes Gewerbe. Ein Möbelputzanfall ist hilfreich, um Bodenhaftung zu bekommen nach einem schweren Schreibtag. Die beste Erdung: Geh in den Garten und wühl in der Erde.“ Friedrich Cerha, der Turrinis Opernlibretto Der Riese am Steinfeld vertont hat, sei übrigens noch viel ordentlicher. Ja, und das war immer so: „In die Wohngemeinschaft in Mauerbach hab ich unter dem Gespött meiner Mitkommunarden einen Barocktisch meines Vaters eingeschleppt. Wenn die Bodenlosigkeit übers Schreiben hinausgeht, versuchst dich an äußerer Schönheit festzuhalten. Wenn sich das innere Chaos über dich stülpt, versackst. Mich hat das bis in die Klapsmühle geführt ... Als ich für die sechs Folgen Alpensaga, die ich damals mit Wilhelm Pevny und Dieter Berner gemacht hab, vom ORF das erste Mal richtig Geld bekam, hab ich einen Renaissancestuhl aus einem Schloss gekauft. So! gedacht. Jetzt hab ich ein schönes Stück fürs Leben.“

Der Vater, Ernesto Turrini, kam als Möbelrestaurator nach Kärnten, in einer Zeit, als Italiener nach der Absetzung Mussolinis, nach dem Waffenstillstand von 1943 als „Verräter“ bei den Kärntnern unten durch waren. Er sprach nicht gut Deutsch, verschloss sich, „von der Mutter beschützt“ in seiner Tischlerwerkstatt. Was ich mir wünsche: / Daß er mich an der Hand nimmt. / Daß er mit mir zum Bauern milchholen geht. / Daß er in der Kirche neben mir sitzt. / Daß er sich mitten unter die Bauern setzt / und auf den Tisch haut. So fing der Sohn ein Gedicht an. Ein paar Schritte zurück – wie viele waren das bis siebzig? – klingt er versöhnt: „Fulmine, der Blitz, haben sie ihn in Italien genannt, ein wilder lustiger Kerl, hab ich erfahren, als ich sein Dorf besucht hab. Und: „Wir haben doch noch miteinander geredet. Später, als mein Großvater kam und ich seinen lombardischen Dialekt erlernt hab.“
Über Maria Saal liegt der Tonhof, heut eine Fundgrube für Germanisten und Musikologen, zertrümmert im Sprachsog von Thomas Bernhards Roman Holzfällen, aber das gehört zu einem anderen Skandal. Turrini sagt: „Für Lampersperg hab ich meine Eltern sozial verraten, als 14-Jähriger, aber es war ein Aufstieg. Er ist tagelang mit mir Gedichte durchgegangen, meine eigenen und die Weltliteratur. Am Anfang war ich von der Umgebung völlig paralysiert, das erste Jahr hab ich sicher kein Wort gesprochen.“
Der Tonhof ? Überall nachzulesen: Eine Enklave für die österreichische Avantgarde in der Nachkriegszeit, ein Gegenpol zur völkischnational geprägten Kärntner Politik, und nicht nur der. Der Komponist Gerhard Lampersperg und seine Frau, die Sopranistin Maja Weis-Osborn, die im Winter in Wien wohnten, halfen im Sommer mittellosen jungen Wiener Künstlerfreunden aus dem Art-Club, dem Strohkoffer, der Galerie nächst St. Stephan „über die Runden“. H. C. Artmann war ihr erster Gast.
„Eine biographische Vorfindung“, die Turrini in dem Stück Bei Einbruch der Dunkelheit vor zehn Jahren neu erfunden und für die Burgtheater-Premiere im November überarbeitet hat. Ein anmutig verrücktes Stimmungsbild aus der künstlerischen Aufbruchszeit der Republik. Und: Er ist der dicke Tischlersbub, ist es auch wieder nicht, wie alle anderen Figuren nicht eins zu eins zu entschlüsseln sind. Maja und Lamperperg schon gar nicht. „Das versteht man unter Literatur.“
Die Silke Hassler wohnt im Angerhaus in Retz und jedes Treffen mit dem Dichter ist ein neues Rendezvous. „Seit 23 Jahren, neulich hab ich nachgerechnet.“ Er lacht, belebt, weil Silke ihr Kommen für den Abend angekündigt hat. Witzelt: „Davon hab ich sie höchstens ein Jahr gesehen ... Ein einziges Mal waren wir auf Urlaub, fünf Tage. Aber eigentlich waren es nur vier.“ Ironie und Wahrheit verschränkt, wie in seinen, ihren gemeinsamen Stücken. Denn: „Ich war immer unfähig fürs Zusammenleben. Wenn i ständig mit an Menschen z’samm bin, verwischen sich die Konturen. Die Verehrung lässt nach, das Herzklopfen. Den Haushalt erledige ich besser als viele Frauen. In der Küche machen mich Frauen grundsätzlich nervös.“ Doch: „Es ist ein Geschenk, wenn man einen Menschen gefunden hat, mit dem man glücklich sein und blöde Witze reißen kann.“

Die Silke schreibt am Ende ihres Essays am Ende des (einen) Geburtstagsbuchs mit dem Geburtstagsstück C’est la vie: „Aber verfallen Sie nicht in den Irrtum, dem Dichter Peter Turrini alles über den Dichter Turrini zu glauben. Seine Sätze sind nicht immer ganz wahr, mitunter übertrieben, oftmals dramatisch, aber eines sind sie ganz gewiss: Sie sind immer wahrhaftig.“ Damit meint sie die Literatur. Aber.
Oft beschrieben, wie sie aufeinander trafen. Noch einmal, weil es gar so schön ist: ER hatte eine Lesung in der Alten Schmiede, sah hinten „plötzlich eine jugendliche Schönheit Anfang 20“, hätte sich aber nie getraut, sie anzusprechen: „Je älter man wird als Mann, desto unzumutbarer empfindet man sich.“ Sei zutiefst dankbar gewesen, dass sie nach vorne kam, und sagte, sie habe „Rozznjogd“ schon mit 16 während der Religionsstunde unter der Schulbank gelesen.
Über Alltägliches gestritten, Beziehungsdebatten geführt, haben sie seither noch nie. Doch wenn sie miteinander schreiben, schon ganze Nachmittage damit verbracht, über einen einzigen Satz zu streiten. Endlich einen dritten Satz erfunden. Oder die skurrilsten Kompromisse ausgeheckt: Ich lass dir heute diesen Satz. Wenn du mir morgen ... „Geht da um weibliche Perspektiven, die mir nicht so nachvollziehbar sind, um männlichen und weiblichen Humor. Unterschiedlich, was wer witzig findet.“ Jedem das Seine, das erste gemeinsam geschriebene Werk, hatte 2007 im Stadttheater Klagenfurt Premiere, Elisabeth Scharang hat es verfilmt. Und: „Wenn wir miteinander arbeiten, sehen wir uns öfter.“ Er schaut wie ein Fünfjähriger, bevor das Christkind läutet.
Silke. Beflügelt. „Sie hat so a Grundfreud am Leben, lacht so viel, lasst si net obizahren, von den Grauslichkeiten dieser Welt.“ Stichwort: Goldman Sachs, deren Existenzvernichtungsmaschinerie. Turrini und Hassler schreiben wieder gemeinsam. Er auf seiner alten mechanischen Everest. Eine Spekulantenkomödie im Broker-Milieu. Suchen an einem jungen, an sich gar nicht unsympathischen Paar Antwort auf die Fragen, was Menschen dazu bringt, immer gieriger zu werden. Bei Turrini ist's irgendwie umgekehrt. Angesichts der Erfindung der Fernbedienung und der Flut von Fernsehsendern habe er sich trotz Alpen- und Arbeitersaga ans Theater zurückgezogen: „In diese dunkle Nachstellungshöhle, wo ich mir eine unzerstückelte Welt bauen kann.“ Sehr bewusst. Hat mit dem Respekt des Zuhörens zu tun, den er für seine Stücke haben möchte. Wie er sich – „sowas von antiquiert“– unautorisiertes Herumdoktern von Zeitgeistregisseuren an seinen Texten erbittert verbittet: „Eine Uraufführung ist eine Kindswerdung und da möcht ich der Hebamme vertrauen.“
Heimatdichter steht in Turrinis Pass. Jetzt freut er sich, nach Burgherrn Peymann, „den eine fast libidinöse Begierde nach neuen Stücken trieb“, in Herbert Föttinger „einen Widergänger“ gefunden zu haben, Heimat in der Josefstadt (ausnahmsweise unironisch). „Anfangs war ich skeptisch, als er mit Sandra Cervik zu mir kam, doch ihre Argumente, warum ich Mein Nestroy schreiben soll, waren schlagend. Das Stück wurde dann auch ein großer Erfolg. Na, nicht weniger Streit und Geschrei während der Arbeitsprozesse als mit Peymann. Doch was hat Föttinger aus der Josefstadt gemacht! Ein Ur-und Erstaufführungstheater. Beide Häuser saniert. Diese Leidenschaft, mit der er so lang an den Geldsäcken hängt, bis unten was rauskommt, imponiert mir.“
Über die freudvollen Lügen, wie schön es ist, alt zu werden, gäb’s so viele Bücher, meint Turrini. Seine Tochter Rosa hat ihn zum Großvater gemacht. Trotzdem. „Lügen. Wenn auch die Nachsicht mit sich selber wächst. Die schiefe Ebene, dem Abgrund zu, kannst ja nicht begradigen. Dagegen, dass du runterrollst, kannst ja nix machen. Im Kreis rennen, Seniorenturnen auf der Wiese einführen. Bissl unfair find ich, dass sich die Illusion Alles ist erlebbar, die ich immer gepflegt hab, so stark reduziert. Einiges, manches, nicht mehr vieles ist erlebbar, umfangreiche Erlebnisse stehen dir nur in der Intensivstation bevor. Gott sei Dank nimmt mich die Silke nicht ernst, sie lacht, bleibt in der Seele ein Bergbauernkind. Also. Ruderbewegungen gegen das Kippen auf der schiefen Ebene. Die letzte Nacht von Che Guevara. Das wär doch ein großartiger Opernstoff!“

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