Wellness unterm Sternenhimmel statt im Sterne-Hotel

Drei Personen stehen in einem Bergsee und erfrischen sich an einem sonnigen Tag.
Im Osttiroler Virgental wartet das Wellnessprogramm zwischen Bergseen, Almwiesen und den höchsten Gipfeln des Landes.

Der bunte Kräutergarten von Agnes Oppeneigner leuchtet besonders schön im morgendlichen Sonnenlicht, das sich über die Gipfel der Venedigergruppe ins Tal kämpft. Hier begrüßt man gerne den anbrechenden Tag – und vergisst rasch die wohlige Wärme des Bettes, in dem man eben noch friedlich geschlummert hat.

Doch die Zutaten für den morgendlichen Detox-Tee pflücken sich nicht von selbst. Daher geht es noch vor dem Frühstück in den Kräutergarten. Ein paar Ringelblumen – „die sind entzündungshemmend“. Etwas Minze – „für den Magen“. Ein wenig Johanniskraut und Kamille, Eibisch – „der ist schleimlösend“. Salbei, Thymian, Brennnessel – „für uns Frauen, die entschlackt“. Ein paar Rosenblätter und noch etwas Kapuzinerkresse – „weil man nämlich der Verdauung nie zu viel Gutes tun kann“.
Agnes Oppeneigner scheint mehr Kräuterhexe als Bäuerin zu sein. Seit gut zwanzig Jahren vermietet sie Gästezimmer am „Gesundheitsbauernhof“ Klampererhof in Virgen.

Eine Frau hält eine Schale mit Blüten in einem blühenden Garten vor einer Bergkulisse.

Agnes Oppeneigner in ihrem leuchtenden Kräutergarten.  Die Zutaten für den Detox-Tee zum Frühstück muss man selber pflücken.

Die Gemeinde gehört zum Nationalpark Hohe Tauern in Osttirol. Wer noch ruhigen, ursprünglichen Heimaturlaub abseits des Tiroler Massentourismus erleben will, ist hier sowieso richtig.

Aber auch, wer Wellness und Entspannung sucht, wie man sie von Vier-Sterne-Hotels kennt.

G'sundes Identitätsbewusstsein

Das körperliche und seelische Wohlbefinden wird hier groß geschrieben – sogar beim Zuprosten stoßen die Osttiroler mit einem herzlichen „G’sundheit“ an. Sie sind stolz auf ihre Landschaft, ihre Küche, ihre Kultur. Das Regionalbewusstsein ist groß. Den „Nordtirolern“, wie sie ihre Nachbarn aus dem restlichen Bundesland nennen, sind sie weniger wohl gesonnen. Man ist sich wohl uneinig darüber, wer mehr Tiroler ist. Doch den – natürlich völlig zu Unrecht – als grantig und überheblich verschrieenen Wienern gegenüber sind sie offen und herzlich.

Eine Karte des Nationalparks Hohe Tauern mit den Bergen Großvenediger und Großglockner.

Verstärkt hat das Osttiroler Identitätsbewusstsein die Eingliederung in den Nationalpark Hohe Tauern, den ersten und größten Nationalpark in Österreich. Das war im Jahr 1991, heute liegen Dreiviertel von Osttirol im Nationalparkgebiet. Der Tourismus hier ist klein, regional, naturbelassen. Dennoch kommen die Gäste aus aller Welt. Corona-bedingt verzeichnete man im Sommer des Vorjahres zwar ein leichtes Minus, vor allem wegen der ausbleibenden Touristen aus Italien, Belgien und den Niederlanden. Dafür kamen fünfunddreißig Prozent mehr Gäste aus Rest-Österreich als 2019.

Sonnigstes Plätzchen Osttirols

Käse, Schinken, ganz frisches Brot, hausgemachtes Joghurt und selbst gebackener Zwetschkenstrudel – der Frühstückstisch biegt sich unter angerichteten Köstlichkeiten. Bei Agnes Oppeneigner verhungert man nicht. Gestärkt geht es anschließend zur Fußmassage.

Das Gras ist noch feucht vom Morgentau. Der Naturmassageweg besteht aus flachen Steinen, piksenden Holzschnitzeln, weichen Fichtenzapfen und von der Sonne gewärmtem Rindenmulch. „Augen zu und einfach spüren“, empfiehlt die aufgeweckte Bäuerin. „Man muss nicht alles machen im Leben. Man sollte sich auf das Wichtige konzentrieren.“ Eine weise Frau, die Oppeneigner Agnes.

Barfußpfad mit Steinen und Tannenzapfen für eine Fußmassage.

Kneippen stärkt das Immunsystem, regt Kreislauf und Durchblutung an, kräftigt die Venen und hilft gegen Krampfadern. 
 

Die Fußreflexzonen sind geweckt, die Lebensgeister auch, jetzt rufen die Berge. Virgen (das V spricht man übrigens als F, wer Virgen mit W sagt, ist bei den Osttirolern schon unten durch) liegt auf 1.200 Meter Seehöhe. Seinen Namen hat Virgen vermutlich von den früheren slawischen Siedlern, übersetzt bedeutet er so viel wie „ein sonniges Plätzchen“. Heute wird Virgen gerne das „Meran Osttirols“ genannt. Denn die für Meran typischen kleinen Gässchen, verzierten Häuschen und Jahrhunderte alten Kirchen und Kapellen findet man auch hier – zwischen den höchsten Gipfeln, die Österreich zu bieten hat.

Agnes Oppeneigner empfiehlt den Natur-Kraft-Weg entlang der Umbalfälle, wo man die geballte Kraft der Isel, einem der letzten freifließenden Gletscherflüsse der Alpen, hautnah erleben kann. „Hautnah“ im wahrsten Sinn des Wortes – denn die Isel rauscht so stark, dass einem die Gischt schon mal ins Gesicht spritzen kann. Die Naturdusche ist auf der Wanderung also bereits inkludiert.

Ein Bergsee mit einer Hütte auf einer Anhöhe und schneebedeckten Bergen im Hintergrund.

Aufstieg zum Zupalsee auf 2.350 Meter Höhe: Hinter der Hütte warten die Venedigergruppe und die Virger Nordkette auf mit Österreichs fünfthöchstem Berg, dem Großvenediger.

Eine braun-weiße Kuh steht auf einer Bergwiese vor einer Bergkulisse mit Wolken.

Sie gehören zur Landschaft dazu: Die Kühe sind den ganzen Sommer über auf der Alm.

Am Ufer eines Flusses stehen mehrere Steintürme.

Der Natur-Kraft-Weg entlang der Umbalfälle: Hier spürt man die geballte Kraft der Isel, einem der letzten freifließenden Gletscherflüsse der Alpen, hautnah.

Eine Murmeltierfamilie sitzt auf einer grünen Wiese.

Das Murmeltier: Es ist eines der „Big Five“, die im Nationalpark Hohe Tauern zu Hause sind – neben Bartgeier, Steinadler, Steinbock und Gams.

Zum Kneippen lädt auf jeden Fall auch der Zupalsee auf 2.350 Meter Höhe ein, er ist das Ziel des Lasörling Höhenwegs. Für ein Eisbad zahlt man im Wellnessressort sonst teures Geld, hier ist der Sprung ins zehn Grad kalte, klare Wasser kostenlos. Dazu bekommt man ein gratis Gletscherschliffpeeling: Der dunkle Sand im Flussbett ist ganz fein – eine Wohltat für die von dicken Wanderschuhen gequälten Füße. Wer ganz genau schaut, entdeckt kleine Quarz-, Granit-, Marmor- und Serpentinen-Splitter im Sand. All das vor der atemberaubenden Kulisse des fünfthöchsten Berges Österreichs, dem Großvenediger (3.657 Meter) – welches Wellnessressort kann damit aufwarten?

Privater Wanderguide

Die Wanderungen lassen sich problemlos alleine bewältigen, zu empfehlen ist allerdings die Begleitung durch einen Nationalpark-Ranger. Vor allem für jene, die auf der Suche nach den „Big Five“ sind.

Ein lächelnder Mann in einer grünen Jacke vor einer Bergkulisse.

Matthias Mühlburger ist einer der Ranger des Naturparks Hohe Tauern.

Es wird langsam spät. Der Tag neigt sich dem Ende zu, Agnes Oppeneigner wartet schon mit dem Abendessen. Typische Osttiroler Schlipfkrapfen wird es geben – gefüllte Teigtaschen mit Kartoffeln, Kräutern und Gewürzen – und eine warme Kräutersuppe davor. Als Nachspeise ist hoffentlich noch etwas vom selbst gemacht Zwetschkenstrudel vom Frühstück übrig geblieben.

Zur inneren Reinigung des Körpers – oder zumindest für die Verdauung, das ist ja schließlich ein Wellness-Urlaub – bietet sich ein Schnaps von Elke Obkircher an, sie brennt seit zwanzig Jahren selbst. Rund dreißig Sorten, acht Liköre und einen eigenen Gin hat sie im Sortiment, probieren kann man diese im Rahmen einer Schnapsverkostung. Viertausend Liter Brand und Geist produziert sie im Jahr. Ihr Williamsbirnenbrand wurde 2010 von Gault& Millau sogar zum Schnaps des Jahres gewählt.

Auf dem Heimweg ist es bereits stockdunkel. Städtische Lichtverschmutzung kennt man hier in den fernen Bergen nicht, im Wald gibt es keine Straßenlaternen. Stattdessen leuchtet die Milchstraße den Weg nach Hause. Vor lauter Sternen sieht man den Himmel nicht mehr. Wer braucht da schon Sterne-Hotels?

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