Auf Sardinien gibt es die seltenste Pasta der Welt
Der Starkoch Jamie Oliver ist verzweifelt. Und überrascht. Aber noch immer ehrgeizig: „Ich mache seit zwanzig Jahren Pasta, aber so etwas wie hier, das habe ich noch nicht erlebt“, sagt der britische Starkoch im Youtube-Video. Doch sein stets lausbübisches Gesicht findet keine sichere Mimik mehr. Bloß jetzt nicht zu verkniffen wirken, scheinen seine Augen zu signalisieren. Ja nicht hilflos dreinschauen. Die ältere Dame neben ihm hingegen strahlt: Paola Abrini hat mit flinken Fingern gerade ihre Spezial-Pasta „Su Filindeu“ hergestellt und Jamie dann gebeten, es doch auch zu probieren. „Ein letztes Mal noch“, sagt er nach vielen Fehlversuchen, schon nicht mehr an seinen Erfolg glaubend. Sein Glück: Als ihm wieder der Pasta-Teig zwischen den Händen in Fäden und Fetzen reißt, fliegt irgendwo eine Sicherung raus – Jamie steht im Halbdunkel und ruft: „Ein Wink Gottes!“
Kann es denn wirklich so schwer sein, diese Faden-Nudeln zu ziehen? Im Hotel „Su Gologone“, wunderschön gelegen nahe der nordsardischen Kleinstadt Oliena, kann sich jeder daran versuchen. Raffaella Marongiu klatscht den vorgeformten Hartweizengries-Klumpen auf ein Holzbrett und schaut erwartungsvoll in die Runde der deutschsprachigen Hotelgäste. Sie sind skeptisch, wollen vor dem Selbstversuch erst einmal sehen, wie die eigenartige Bindfaden-Pasta entsteht. Raffaella krempelt die Ärmel hoch, stippt ihre Finger mal in eine Schale mit Salzwasser, mal in eine mit Süßwasser, greift sich kraftvoll ein Stück Teig aus dem Klumpen und rollt daraus mit ihren Handballen eine etwa fünfzig Zentimeter lange Wurst. So weit, so einfach.
Jamie Oliver bis Otto Waalkes: Fäden Gottes
Die beiden Teigwurst-Enden klebt sie sich in die linke Handfläche, so dass ein U aus Teig zwanzig Zentimeter herunterhängt. In diese U-Schlaufe greift Raffaella hinein, zieht sie lang wie ein Gummiband und klebt sich diese zweite Schlaufe ebenfalls in die Hand. Zwei Schlaufen, also hängen nun vier Stränge herunter. Sie ähneln entfernt dicken, karibischen Dreadlock-Haarbündeln.
Raffaella greift wieder in diese Strähnen, zieht sie alle erneut in die Länge und klebt sich weitere Schlaufen in die Hand. So entstehen erst acht, beim nächsten Strecken des Teigs sechzehn und dann zweiunddreißig Teig-Stränge. Keiner davon verklebt mit anderen, keiner reißt – anders als bei Jamie Oliver. Raffaella schaut kurz hoch – erblickt offenbar ausreichend staunende Zuschauer-Gesichter und zieht sofort weitere, jedes Mal dünner werdende Fäden: vierundsechzig, hundertachtundzwanzig, schließlich hängen zweihundertsechsundfünfzig von ihrer linken Hand wie Langhaar-Strähnen an einem Hinterkopf. „Die Frisur von Otto Waalkes“, raunt einer der Zuschauer.
Von ihrer neunzigjährigen Mutter hat Raffaella gelernt, diese Gottes-Fäden zu ziehen. Ihren beiden Schwestern habe La Mamma es ebenfalls beigebracht, ebenso wie ihren Cousinen. „Ach ja, Tante Paola kann es auch – sie sollte es Jamie Oliver beibringen. Aber der kann es immer noch nicht“, sagt Raffaella verschmitzt. Die Teigfäden hängen noch von ihrer linken Hand. Raffaella zieht sie erneut in die Länge und breit auseinander, spannt sie dann über eine kreisrunde Palette aus Bast. Fundu heißt die auf Sardisch, sieht aus wie ein XXL-Tisch-Set mit Saitenbespannung und verursacht einige Fragezeichen bei den Zuschauern.
Kraftnahrung für Pilger
Raffaella gibt Antworten: „Su Filindeu machen wir traditionell zum Franziskus-Fest im Oktober, aber auch im Mai. Für Pilger müssen wir dann mehrere Hundert Kilo herstellen.“
Als sei sie gerade nicht beim entspannten Show-Nudeln, sondern mitten in der Pilgerfest-Massenproduktion, schnappt sie sich den nächsten Teigklumpen, rollt, zieht Schlaufen und Fäden – bis es zweihundertsechsundfünfzig sind. Die legt sie quer über die erste Tranche auf den Fundu. So entsteht ein Gitternetz aus Gottesfäden. Sobald die dritte Lage schräg darüberliegt, kommt die mit Pasta bespannte Bastscheibe in die Sonne – zum Trocknen.
„Darf ich es versuchen?“, fragt die deutsche Annette. Raffaella hat die Teig-Wurst schon vorgerollt, Annette kann gleich beginnen. „Du musst schnell sein“, rät Raffaella, „sonst trocknet der Teig und reißt.“ Die Deutsche legt los, zieht erste Schlaufen, schafft es bis zu dickeren Fäden, reißt diese dann aber einmal zu weit auseinander – und hat links wie rechts jede Menge lose Enden hängen. Alles wieder verkneten, ausrollen, Schlaufen und Fäden ziehen. Weil Annette nun vorsichtiger zieht, hängen die Fäden durch und einige verkleben. Raffaella coacht die Rasta-Pasta-Novizin wie eine Trainerin – gibt Tipps und hält Fäden auseinander. So schafft Annette schließlich zweiunddreißig Teigstränge, ohne dass einer reißt. „Bellissime“, lobt Raffaella und erzählt, sie habe etwa ein Jahr gebraucht, bis La Mamma mit ihren Su Filindeu zufrieden war.
Die sonnengetrockneten Su Filindeu kann man brechen, sie erinnern an überdimensionierte Chips, haben aber deutliche Fadenstruktur. Verarbeitet werden die „Su Filindeu“ zum gleichnamigen Gericht: Dabei verschmelzen sie in einer Brühe aus Schafsknochen und jungem Pecorino-Schafskäse. Sieht aus wie Tapetenkleister, schmeckt aber unvergleichlich.
Info
Die Nudel „Su Filindeu“ stammt vom spanischen „Los Fideos“ (Fadennudeln) oder dem ara- bischen „fidaws“ – wie Haar
Das Erlebnis – Das Experiment, die Gottesfäden selbst zu ziehen, bietet das Restaurant Su Gologone bei Oliena auf Nachfrage an. Anmeldung per Mail an Chefin Giovanna Palimodde: giopalimodde@gmail.com
– Im Herbst findet in vielen Dörfern der Region das Fest „Autunno in Barbagia“ statt – mit Show-Produktion der Su Filindeu und Verkauf
– Man bekommt Su Filindeu nur in wenigen Restaurants, z. B. im „Il Rifugio“ in Nuoro (trattoriarifugio.com) und im Bistro „Latteria Zia Marianna 1936“ am Corso G. Garibaldi
Die Videos – Auf ihrem Youtube-Kanal „Pasta Grannies“ (Pasta-Omas) porträtiert die Britin Vicky Bennison italienische Großmütter und ihre Rezepte: pastagrannies.com
– Jamie Olivers Versuch auf Youtube
Die Reise Von Sardiniens nördlichem Flughafen Olbia braucht man mit dem (Miet-)Wagen zwei Stunden nach Oliena. Gutes Quartier für kombinierten Strandurlaub zum Beispiel: VOI Hotel Colonna Village am Golfo Aranci, voihotels.com. Generelle Info zu Sardinien: sardegnaturismo.it/de
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