In Stratford heißt es Shakespeare versus Justin Bieber

Das Stratford Perth Museum beherbergt die wichtigsten Männer der Stadt: Rechts geht’s zu William Shakespeare, links zu Justin Biebers Schlagzeug-Set.
Im südkanadischen Stratford dreht sich fast alles um Shakespeare und um Justin Bieber, der in dem beschaulichen Städtchen geboren wurde

Stratford heißt so wie der britische Geburtsort des Großdichters und ehrt ihn mit einem Theaterfestival. Aber da ist noch jemand, den weltweit mehr Leute kennen als Shakespeare: Justin Bieber. Der 25-jährige Popstar plant für 2020 sein Comeback – auf der Bühne und an manchen Tagen sogar in seiner Geburtsstadt.

Nichts, aber rein gar nichts hat hier den Anschein von Rock ’n’ Roll, kreischenden, in Ohnmacht fallenden Teenagern und monumentalen Bühnenshows. Auf Stratfords Flüsschen Avon, benannt nach dem Vorbild in Großbritannien, ziehen Schwäne beschaulich ihre Kreise im Schatten von Trauerweiden. Flaneure bestaunen an der Uferstraße die ebenfalls britisch geprägten Landhäuser und bummeln an der Ontario Street durch Vintage- und Antiquitäten-Läden.

Überall dazwischen sind die feinen, meist leisen Künste zu Hause: Bei „Art in the Park“ präsentieren Holzschnitzer, Steinmetze, Fotografen und Maler seit mehr als 50 Jahren ihre Werke im Grünen. Galerien laden zu „Open door“-Tagen ein. Zwei, bald wieder drei Theater hat die Stadt, sobald der Nachfolger des Tom Patterson Theatres fertig ist – benannt nach dem Journalisten, der Shakespeare hier quasi zu einem Zweitwohnsitz verhalf.

Überlebensgroß

Da steht er – fast wie ein Ritter. William Shakespeare, Großdichter-Fürst der Angelsachsen – von einem Künstler lebensgroß aus poliertem Edelstahl modelliert. Von einem Podest aus scheint er mit gütigem Blick die Rosen und Sonnenblumen in den akkurat gepflegten Blumenrabatten vorm Festival-Theater zu bewachen. Dessen Dach mutet an wie ein riesiges Zirkuszelt und erinnert damit an den Gründungsmythos des Shakespeare-Festivals in dieser gut 30.000 Einwohner zählenden Stadt: Nach dem Zweiten Weltkrieg machten die hier lange für Arbeit sorgenden Lokomotiv-Reparaturwerkstätten dicht. Rezession drohte, und die wollte der Journalist Tom Patterson nicht hinnehmen, setzte ganz auf Stratfords Marketing-Optionen und initiierte ein Theaterfestival.

Tom Patterson brauchte ein, zwei Jahre, bis er den Stadtrat und Geldgeber überzeugt hatte. Mit 150.000 Euro musste er auskommen. Es reichte für den Bau der Bühne, einen mehrwöchigen Spielbetrieb, aber nicht für ein Theater. Also ließ Patterson ein riesiges Zelt über der Bühne aufbauen.

Drinnen, im heutigen, dann 1956 erbauten Theater, bestehen Teile der Bühne noch aus Originalplanken aus dem Gründungsjahr 1953, erklärt Stephen Francom, der Guide, bei seiner Führung „behind the scenes“. Arbeiter mit Helmen bauen gerade in knapp zwei Stunden das mit künstlichem Wald, einer Art Hochsitz und mehreren Ebenen gestaltete Bühnenbild der Aufführung von Shakespeares „Der Sturm“ ab. Wie die meisten Inszenierungen ist auch diese ein besonderes Erlebnis, weil die maximal 1.833 Zuschauer – wie zu Lebzeiten Shakespeares – an drei Seiten um die Bühne herumsitzen und so jedes Stück intensiv erleben. In der „Sturm“-Inszenierung hingen Planeten am Theaterhimmel.

In den Werkstätten gibt es sie zum Angreifen: Der Planet Jupiter besteht aus einer durchsichtigen Plastik-Salatschale mit umgekehrt aufgeklebten Plastik-Sektgläsern, Plastik-Eiswürfeln und Goldfolie. Unser Guide zeigt auf die Falltür im Bühnenboden mit Fahrstuhl darunter. „Tolles Teil, nicht nur weil es die Schauspieler ruckzuck auf die Bühne befördert, sondern auch, weil ich in meinem ersten Theaterjob als Putzmann vor 40 Jahren häufig ein Nickerchen darin gemacht habe, wenn ich vor Schichtende fertig war.“

Beginn einer Karriere

Draußen, vorm Theater, warnen Schilder auf den welligen Rasenflächen vor herabfallenden Walnüssen. Sie sind quasi das Berufsrisiko all jener Musiker, die vor den Eingangstüren der Theater stehen und die größten Hits der Achtziger, Neunziger und das Beste von heute klampfen, in der Hoffnung, dass zur Vorstellung schlendernde Zuschauer ein paar Münzen in die Instrumentenkästen fallen lassen.

Vor dem Avon-Theater, mitten in der Stadt, saß zwischen 2002 und 2007 ein Junge in Jeans und rotem Pulli, konnte seine Akustik-Gitarre kaum umfassen und sang so gut und inbrünstig er konnte: Justin Bieber. Seine Mutter filmte einige dieser Treppen-Konzerte und lud sie bei YouTube hoch, damit Verwandte sie sehen konnten. Tausende, bald Zehntausende Menschen sahen sich die Clips auch an, darunter Scooter Braun, ein Party-Veranstalter und Musik-Manager. Er brachte Bieber nach Atlanta, wo der damals 14-Jährige seine erste Single aufnahm und 2008 einen Plattenvertrag erhielt. Der Auftakt zu Nummer-1-Hits und Stadiontourneen – kurz: eine der ersten Weltkarrieren, die auf Social-Media-Kanälen begann und bis heute dort gesteuert wird. Justin Bieber folgen mehr als 100 Millionen Fans bei Twitter, ebenso viele bei Instagram und fast 80 Millionen bei Facebook.

In Stratford heißt es Shakespeare versus Justin Bieber

Als Bieber noch ein Bieberchen war: In den Nullerjahren machte der Blondschopf  auf den Straßen Stratfords mit seinem Rhythmusgefühl auf sich aufmerksam.

All das ist nachzuerleben in Stratfords städtischem Museum. Im Eingang geht’s rechts zur Stadtgeschichte und zu Shakespeare, die meisten jüngeren Besucher biegen gleich links ab zu einem kleinen Schlagzeug-Set. Es ist das Ergebnis eines Benefizkonzerts lokaler Bands im Jahre 2002. Schon damals fiel Justin Bieber in Stratford musikalisch auf: Der Achtjährige bearbeitete rhythmisch alle Gegenstände, mit denen sich irgendwie Musik erzeugen ließ. Auf dem geschenkten Benefiz-Schlagzeug spielte er dann an Straßenecken der Stadt.

An Vitrinen und Bilderrahmen vorbei wandeln Besucher im Zeitraffer am rasanten Aufstieg des einstigen Teenie-Stars entlang: Im Jahr 2010 erstes Nummer-1-Album, erste Welttournee mit 127 Konzerten und ein Termin bei den Obamas im Weißen Haus – fürs Ostereiersuchen und ein paar Songs. Michelle Obama bedankte sich überschwänglich mit persönlichem Brief, ebenfalls nachzulesen im Museum.

Wer will, kann im Museum oder bei der Tourist-Info den kostenlosen Stadtplan „Justin’s Stratford“ mitnehmen und zu Stätten seiner Jugend pilgern – der Lieblingseisdiele „Scoopers“ etwa oder dem ohnehin sehenswerten Rotklinker-Rathaus und dem Avon Theatre: Gut möglich, dass Bieber hier plötzlich auftaucht und noch einmal seine Coverversionen von einst singt.

2012 hat er es plötzlich getan, und 2018 schneite er überraschend ins Museum, um dort „seine“ Ausstellung anzuschauen.

In Stratford heißt es Shakespeare versus Justin Bieber

Anreise Aircanada.com und austrian.com fliegen von Wien aus direkt nach Toronto, Swiss mit einem Zwischenstopp. Bei den Direktflügen kann die CO2-Kompensation via climateaustria.com mit 42,41 € abgegolten werden. Beim Flug mit Swiss sind es 38,65 €

Event Das Stratford Festival dauert meist von April bis Oktober, die Ticketpreise variieren je nach Vorstellung und Tag zwischen zwölf und hundert Dollar.

Museum Das Stratford Perth Museum mit Bieber- Ausstellung hat täglich geöffnet: 10 bis 16 Uhr (Oktober bis 11. Mai), 9 bis 17 Uhr (12. Mai bis Thanksgiving).

Übernachten Das Festival Inn ist ein gutes, preiswertes Mittelklassehotel im Motel-Stil etwas außerhalb von Stratford. Von hier sind es etwa zehn Minuten mit dem Auto in die Stadt. DZ/F ab 77 €.
festivalinnstratford.com

Kulinarischer Spaziergang Gut entdecken kann man die Stadt zu Fuß beim „Bacon & Ale Trail“, einem Rundgang, bei dem man mit Gutscheinen in fünf von vierzehn Restaurants, Bistros und Pubs jeweils eine Spezialität von der Karte gereicht bekommt – darunter auch „Madelyn’s Diner“, ein Lieblingslokal von Justin Bieber.

Bar und Bier Um abends gemütlich zu essen und ein paar lokale Biersorten zu probieren, ist man in der Mercer Beer Hall richtig. mercerhall.ca

Auskunft
visitstratford.ca
strafordfestival.ca
stratfordperthmuseum.ca

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