Chicago: Vom Ganoven-Hotspot zur grünsten Stadt Amerikas
Schon in den 1950ern sang Frank Sinatra in einer Hymne auf die Stadt: You’ll lose the blues in Chicago. Auch heute ist die Stadt am Lake Michigan für viele die bessere Alternative zu New York – anders gesagt: das New York des Mittleren Westens. Dass sich Chicago zu einer Metropole mit derartiger Lebensqualität mausern würde, war in den 1920ern noch nicht ersichtlich, als der berüchtigte Gangsterboss Alphonse Gabriel „Al“ Capone die Unterwelt beherrschte und ihr den Ruf der Gesetzlosigkeit einbrachte. Bis heute hat sie mit einigen weniger schmeichelhaften Beinamen zu kämpfen: The Second City (nach New York City), The Windy City (wegen des eisigen Winterwindes) oder Meatpacking City – Stadt der Fleischverpackung, weil Chicago ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Zentrum der amerikanischen Fleischverarbeitungsindustrie war. Man nannte die Bewohner hog butcher for the world („Schweineschlächter für die Welt“). Mit der Industrialisierung wurde in Chicagos Schlachthöfen das Fließband erfunden und die Lohndrückerei perfektioniert – Kapitalismus, wie er leibt und lebt.
Impressionen
Ein normaler Fluss war der Chicago River nie: Der Mensch hat es geschafft, das saubere, fließende Gewässer in eine stinkende Kloake zu verwandeln – und später zum Glück auch wieder zurück.
Das „Cloud Gate“ (Wolkentor) des britischen Künstlers Anish Kapoor gehört zu den meistfotografierten Skulpturen Chicagos. Wegen ihrer Form heißt sie auch „Bean“ (Bohne).
Weit und breit kein Meer, aber auch der Lake Michigan hat einen Sandstrand.
Mittlerweile werden die alten Schlachthäuser saniert und umfunktioniert. In eine der ehemaligen Fabriken ist 2011 „Plant Chicago“ eingezogen. Die von John Edel gegründete, gemeinnützige Organisation vereint diverse Umweltprojekte, unter anderem eine Fischfarm, einen Hydrokultur-Garten und die Whiner Beer Company. Alles beruht auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft (Netto-Null-Energiesystem), in dem auch Abfälle eine wertvolle Aufgabe haben. Anstatt sie auf Deponien verkommen zu lassen, werden sie erneut als Rohstoff verwendet. „Das in der Brauerei verbrauchte Getreide wird mithilfe einer speziellen Anlage in Strom umgewandelt, der wieder dem Fabrikgebäude zugeführt wird“, berichtet Brauereimeister Brian Taylor. Die besten natürlichen Ressourcen seien diejenigen, die bereits extrahiert wurden. Kein Wunder also, dass im Plant Do-it-yourself- und Upcycling-Workshops auf der Tagesordnung stehen. „Wer etwas über Aquaponik und die Doppelnutzung von Wasser lernen will, ist in meinem Workshop genau richtig“, erklärt Plant-Mitarbeiter Eric Weber. Das Verfahren vereint die Aufzucht von Fischen in einer kreislaufbasierten Aquakultureinheit und die hydroponische Kultivierung von Nutzpflanzen – in Europa auch unter dem Begriff „Tomatenfisch“ bekannt. Dass der Betrieb von Aquaponiksystemen noch immer in den Startlöchern steckt, obwohl er umweltverträglicher und nachhaltiger nicht sein könnte, will Plant Chicago ändern. Man müsse den Menschen ein Vorbild sein.
Klimafreundliche Anreise
Die touristische Einreise in die USA soll bald wieder möglich sein. Die CO2-Kompensation ab Wien beträgt (hin/retour) via climateaustria.at 56,33 €
Reisezeit
Im Spätfrühling und Frühherbst sind die Tage warm-trocken (Nächte kühl)
Aktivitäten
Die Architektur von Downtown Chicago sieht man bei einer Fahrt mit der Hochbahn „L“ (transitchicago.com). Aussicht auf das Häusermeer hat man vom Skydeck auf dem Willis Tower, theskydeck.com. Stadttour: Einheimische führen kostenlos durch ihre Viertel und zu Attraktionen (2- bis 4-stündig, chicagogreeter.com)
Genau das wird sich auch Ex-Bürgermeister Richard M. Daley (bis 2011 im Dienst) gedacht haben, als er 1989 den ersten Baum der „Tree Planting Campaign“ pflanzte und damit den Startschuss zu „Green Chicago“ gab. Über dreißig Jahre und eine halbe Million Bäume später haben alle Schnellstraßen der Stadt bepflanzte Mittelstreifen, der städtische Fuhrpark größtenteils umweltfreundliche Hybridfahrzeuge und die City Hall, das Rathaus, ein grünes Dach. Die Inspiration dazu soll Richard M. Daley bei einem Besuch der deutschen Partnerstadt Hamburg gefunden haben. Nachdem das aufwendig und kostspielig begrünte Dach das Rathauses im Sommer nachweislich abkühlte, Regenwasser zurückhielt und letztlich die Energiekosten senkte, wurde den Hamburgern ganz herzlich gedankt und viele weitere Gebäude mit Dachgärten versehen. Mittlerweile verschönern über vierhundert Grünflächen die Dächer von Chicago, mehr als in allen anderen amerikanischen Städten zusammen.
Nichtsdestotrotz ist das grüne Herz von Chicago der zehn Hektar große Millennium Park, der sich seit 2004 über zwei Parkgaragen und den Bahnhof für Vorortzüge erstreckt und damit das größte grüne Dach der Stadt ist. Man könnte tadelnd sagen, dass sich die Bauherren der Hamburger Elbphilharmonie vice versa ein Beispiel am Bau des Millennium Parks genommen haben – auch der hat Hunderte Millionen Dollar mehr gekostet und vier Jahre länger gedauert als geplant. Der fertige Millennium Park ist eine Mischung aus Naherholungsgebiet, Kunstausstellung und kulturellem Veranstaltungsort.
Vegane Lokale - drei Tipps
Kāl’ish
Die Gründer sehen Veganismus pragmatisch: „Fakt ist, dass tierische Zutaten einen größeren Effekt auf unseren Körper und den Planeten haben als pflanzliche Inhaltsstoffe.“ Ihre Antwort auf den Klimawan- del: ein veganes Restaurant, das auf Burger, Texmex und amerikanisches Frühstück spezialisiert ist. Der Himmel für Brunchliebhaber – mit veganem Rührei. kalishvegan.com
Alice & Friends’ Vegan Kitchen
Die Karte enthält hauptsächlich asiatische Gerichte wie Chow Mein, Miso Ramen und Thai Curry, doch auch ein veganer Cheeseburger ist zu finden. Besonders verlockend ist die Kuchentheke mit rohem Limetten-Cheesecake und Schokoladenmousse-Pie. Alles ist hausgemacht, die Zutaten stammen aus dem Umland. aliceandfriendsvegankitchen.com
The Chicago Diner
Als Mickey Hornick und seine Partnerin „Chef Jo“ Kaucher 1983 den vegetarischen Diner eröffneten, wurden sie von der Familie verspottet. 27 Jahre später gibt es sogar zwei Restaurants, in denen veganes „American Diner“-Essen serviert wird: Elf Milchshakes, Seitan-Chorizo, veganer Ceasar Salad, Sand- wich mit Seitan anstelle von Corned Beef. veggiediner.com
Dachterrassenhonig
Mit den Dachgärten kehrten auch die Bienen in die Stadt zurück. Auf dem Chicago Cultural Center und der City Hall sind Bienenstöcke beheimatet, deren Bewohner im Sommer die Blüten zahlreicher Parkanlagen und Gärten bestäuben. Mit dem speziellen „Rooftop Honey“, den es sogar zu kaufen gibt, kann man Mun Wong allerdings nicht locken. In ihrem kleinen asiatischen Restaurant im Stadtteil Edgewater geht nur rein pflanzliche Kost über die Theke. Ursprünglich hatte die in Macau geborene Chinesin rein gar nichts mit Gastronomie am Hut. Seit siebzehn Jahren leitet sie mit ihrem Mann erfolgreich ein Unternehmen für Sicherheitssysteme und wurde 2016 vom Chicago Business Journal unter die fünfzig einflussreichsten Frauen Chicagos gewählt. Dass sie das Restaurant, in dem sie davor selbst immer wieder zu Gast gewesen war, übernehmen würde, hätte sie sich nicht träumen lassen. Es war Schicksal – und eine Herzensangelegenheit. „Ich habe mir für Chicago schon immer ein größeres veganes Angebot gewünscht. So wie in L.A. oder New York“, schildert Mun. „Dann bot sich mir die Gelegenheit, selbst für diese Veränderung zu sorgen, und ich dachte mir: Let’s do it.“
Seit der Übernahme des Alice & Friends’ Vegan Kitchen kreiert sie mit ihrem multikulturellen Team neue Desserts und asiatisch inspirierte vegane Speisen. Die Zutaten stammen größtenteils von lokalen Produzenten, im Sommer gibt es Kräuter aus Eigenanbau. Der vegane Käse wird hausgemacht. Muns Ziel ist es, – ähnlich wie bei Alice im Wunderland – ein unbeschwertes Reich für Veganer und Pflanzenbewusste zu schaffen und ihnen das Vegansein so schmackhaft und einfach wie möglich zu machen. Dafür nimmt sie auch eine Hundertstundenwoche in Kauf, die sie durch die Doppelbelastung mit ihrem Job bei VinTech Security Systems hat. „Chicago ist eine dynamische und fortschrittliche Stadt mit sehr hoher Lebensqualität und wichtiger Vorbildfunktion“, findet die Unternehmerin. Das bedeute aber nicht, dass Amerikas grünste Stadt nichts mehr verbessern könnte. „Besser geht es ja immer, wie man so schön sagt.“ Mit der Weiterführung des Restaurants hat die Asiatin bereits einen bedeutenden Beitrag geleistet: Chicagos Gastro-Landschaft zählt ein grünes Restaurant mehr. Ihr Motto: „Sei selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest.“
Unterkunft
– Cambria Hotel & Suites im Oriental Theatre, nahe der berühmten Einkaufsstraße State Street und zahlreichen Theatern: choicehotels.com
– The Drake liegt perfekt für Spaziergänge am Oak Street Beach, thedrakehotel.com
– Für Kunstliebhaber: Palmer House Hilton, Lobby von Louis Comfort Tiffany designt, palmerhousehiltonhotel.com
Essen
Eine Chicago-Style „Deep Dish“-Pizza muss sein, zwei gute Adressen sind Giordano’s und Pizano’s. Für Gourmets: Hallenmarkt French Market, frenchmarketchicago.com Bar-Szene: Tiki-Bars im Groß- format (z. B. Three Dots and a Dash, threedotschicago.com) bis zu kleinen Hipster-Bars wie Lost Lake, lostlaketiki.com
Auskunft
Chicago Tourismusverband: choosechicago.com
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