Drei Wochen Vietnam, elf Kilo Gepäck? Kein Problem. Wenn Kinder aus dem Alter heraußen sind, in dem es peinlich ist, mit Eltern zu verreisen, kann man sich ihnen getrost anschließen. Sie sind Reise-Profis. Nur "Trampen" darf man nicht sagen. Es heißt "Backpacking".
Das Datum auf den Bootstickets war einprägsam: 20.02.20. Vor genau einem Jahr waren meine Kinder und ich im Mekongdelta, auf dem Schwimmenden Markt von Cai Rang, nahe Can Tho. Es ist erst sechs Uhr früh, aber nirgendwo scheint die Welt wacher zu sein. Hier wird gehandelt. Mit Mais und Reis, Obst und Gemüse. Zwischen all den schwimmenden Kartoffeln und Kürbissen, Zwiebeln und Zitronen bahnt sich eine Blutorange ihren Weg. Es ist die aufgehende Sonne.
Mit uns im Boot sitzt Vui. Sie übersetzt, erzählt, erklärt – und lässt nicht zu, dass frühmorgendliche Einsilbigkeit aufkommt. Der Name Vui bedeutet "glücklich", und das sind wir. Auf Vuis Wunsch frühstücken wir eine Ananas, die so süß und so gut ist, dass sich, trotz der Uhrzeit, niemand lang ziert, ein zweites Stück zu nehmen. Unser Bootsmann lenkt das kleine Boot geschickt zwischen schwimmenden Marktständen hindurch. Als wir beinahe mit einem hölzernen Hausboot kollidieren, auf dem Süßkartoffeln angeboten werden, ruft Vui: "Seht, an der Seite, die Bootsregistrierung! Die Familie kommt aus dem Norden. Wenn sie ihre Produkte verkaufen, sind sie zwei Monate unterwegs. So lang leben da alle Generationen auf engstem Raum." Kinder winken uns an der Reling. Ich gerate ins Grübeln. Zwei Monate?
Seit zwei Wochen bin ich nun mit meinem Sohn, 21, und meiner Tochter, 19, unterwegs. Immer zu dritt im Zimmer. Wir machen das ganz gut, obwohl wir ungeübt sind. Aus anfänglichem Zusammenraufen wurde ein Zusammenleben, das sein Ablaufdatum eine Woche später haben würde. Nach dem Heimflug von Ho-Chi-Minh-City nach Wien würden die Kinder, die beide mit 18 daheim ausgezogen waren, wieder in ihren Studenten-WGs wohnen.
Wie hätte ich an diesem 20.02.20 ahnen können, dass exakt drei Wochen später beide Kinder in ihre alten Kinderzimmer einziehen würden, um gemeinsam, als Familie, eine neue Reise auf unbekanntes Terrain namens "Lockdown" zu unternehmen? Dass wir froh sein würden, das Zusammenleben in Vietnam trainiert zu haben? Dass wir nur noch auf dem Ravensburger-Brett unseres Lieblingsspiels „Weltreise“ verreisen würden? Dass wir dabei ein Reiseziel namens Wuhan entdecken würden, das uns bisher bei dem Spiel noch nie aufgefallen war? – Aber all das ist eine andere Geschichte.
Es ist Februar, noch spielen wir Weltreise in echt. Drei Wochen durch Vietnam, in Bussen, Zügen, Flugzeugen. Von Hanoi kommend, waren wir bis in den Süden, auf die Tropeninsel Phu Quoc, gereist und von dort schließlich mit Fähre, Bus (und, als dieser streikte, einem weiteren Bus), Taxi und zu Fuß zum versteckten Bamboo Eco Village an einem Flussseitenarm bei Can Tho gelangt.
Das Erstaunliche war, dass wir auf den letzten Kilometern, die wir auf einem schlammigen Uferpfad zu Fuß zurücklegen mussten, kein Problem hatten, unser Gepäck zu tragen. Wer mich kennt, weiß, dass ich mit 20-Kilo-Koffer auf einen Wochenendtrip gehe. Doch das hier war anders. Wir reisten mit Rucksack. Ich nannte das am Beginn der Reise „Trampen“, die Kinder bekamen einen Lachkrampf und riefen: "Mama, bitte, das klingt, als wärst du 100! Man sagt jetzt ,Backpacken’!" Ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen und passte mich sprachlich an. Denn sie nahmen mich mit und nicht mehr ich sie.
Stets hatte ich ihnen vermittelt, dass man die Welt, die es für die Nachkommen zu schützen gilt, aus der Nähe betrachten soll, hatte sie zu Vulkanen von Island bis Oregon geschleppt, zum Sprechstein des Homer, zur Liberty Bell der US-Amerikaner ... Und der Samen schien aufzugehen. Die Tochter war nach der Matura drei Monate durch Asien gereist, der Sohn allein durch Südafrika. Ihre Fotos und Schilderungen waren so überwältigend, dass ich mich entschloss, meinen 20-Kilo-Koffer gegen einen 11-Kilo-Rucksack zu tauschen und die Kinder bat, mir ihre Art des Reisens zu zeigen.
Dahinter steckt Freiklettern über Wasser, das tief genug ist, um die Kletterer sicher aufzufangen. Die überhängenden Kalkwände der zahllosen Inseln in der Lan Ha-Bucht, südlich der berühmten Ha Long-Bucht, sind dafür perfekt geeignet. Ein guter Kletterguide und ein sicherer Bootsführer sind unerlässlich. Halbtagestouren von Cat Ba aus mit catbaclimbing.com
Obwohl ganz Vietnam auf motorisierten Zweirädern unterwegs zu sein scheint, werden in den meisten Hotels und Hostels Fahrräder, oft auch geführte Radtouren, angeboten. Etwa durch die Reisfelder von Ninh Binh oder im üppigen Mekongdelta zu Drachenfruchtobstgärten, Kakaoplantagen und Reisnudelfabriken, zum Beispiel mit „Hieu’s Tour“
Wer gern selber paddelt, findet dafür in ganz Vietnam ausreichend Gelegenheit und traumhafte Kulissen. Etwa im Norden in der Ha Long- und in der Lan Ha-Bucht zwischen unbewohnten Steininseln und dicht besiedelten schwimmenden Fischerkolonien. Im Süden in den malerischen Kanälen und Seitenarmen des Mekong
Urlaub im Urlaub – der Zauber Hoi Ans
Nur elf Kilo Gepäck für dreieinhalb Wochen, die uns in Klimazonen von vier bis vierzig Grad führten, in Kriegsmuseen zwischen Hanoi und Ho-Chi-Minh-City, in die Kaiserpaläste von Hue, in Höhlentempel, Kochkurse und schicke Lokale, zum Klettern, Radfahren, Paddeln, Schwimmen – und zwei Tage auf eine schwimmende Fischerhütte mit Familienanschluss. Zu meinem Erstaunen war ich – mit nur zwei Mal Wäsche waschen – stets passend und ausreichend gekleidet. Und als die Kinder in der pittoresken Altstadt von Hoi An Lampions, Gewürze, Hosen und Bücher einkauften, hatte ausgerechnet mein Rucksack noch genügend Hohlraum, um all das zu transportieren.
Hoi An war für uns wie Urlaub vom Urlaub. Eine Tankstelle für Leib und Seele. Nach dem Dauerregen von Hanoi, einer Klettertour in Cat Ba und dem authentisch-kargen Leben mit einer Fischerfamilie und deren Hunden in der Bucht von Lan Ha, nahmen wir uns einfach drei Tage Zeit. Im 17. Jahrhundert war Hoi An der größte Hafen Südostasiens, heute ist es das touristische Aushängeschild eines mitunter schroffen, schmucklosen Landes, dessen Bewohner über Jahrhunderte ständiger Angriffe und ausländischer Zugriffe eher gelernt haben zu funktionieren als zu zelebrieren. Charme tritt, wenn überhaupt, nur gut versteckt auf. Wenn uns aber ein Taxi um punkt sieben abholen sollte, war klar, dass wir spätestens fünf vor sieben bereit sein mussten. Wenn ein Bus den Geist aufgab, wurde sofort ein neuer organisiert. Wenn unsere Reise über Wasser führte, wurden wir mit Händen und Füßen, Schildern und Tafeln, die man uns um den Hals hing, stets richtig verschifft. Ein Lächeln oder gar Lachen war nie dabei.
Und so staunten wir, als wir in Hoi An in eine Inszenierung der Schönheit und Gastlichkeit gerieten. Selbst die Barockmusikbeschallung der motorradfreien Altstadt ließen wir uns gefallen. Motorradfrei ist in dem Land, in dem ähnlich viele Zweiräder wie Zweibeiner registriert sind, beinahe unvorstellbar.
Wir tranken scharfen Robusta-Kaffee aus der Gegend, lernten viel über die Geschichte der Stadt, aßen im legendären "Morning Glory" den gegrillten Schweinebauch "Thit heo quai" und im stets an der Warteschlange erkennbaren "Banh mi" die gleichnamigen Sandwiches, die man dort mit französischer Baguettekunst geschmacklich auf die Spitze treibt.
Wir schmökerten uns durch "Randy’s Book Exchange", einen zweistöckigen Second-Hand-Buchladen, den ein Brite in der Nähe unseres Hotels am Fluss betrieb. Wir fanden plötzlich Zeit, miteinander zu reden. Zeit, die wir daheim selten haben. Wir tranken vietnamesisches Bier und bemerkten, dass unsere unterschiedlichen Interessen und Ansichten, wie auf all unseren Reisen, wieder einmal dazu führten, dass jeder von uns viel mehr sah und erlebte, als wir uns jeweils allein angeschaut hätten. Wir gewöhnten uns wieder aneinander. Und beinahe hätte ich mich auch noch an meinen Rucksack gewöhnt.
Als ich aber im Sommer für vier Tage nach Florenz reiste, nahm ich doch wieder den Koffer, wenn auch wehmütig. Dann kam eine Nachricht von meiner Tochter. Sie schrieb: "Hab heute geträumt, dass wir nach Vietnam fliegen. Würdest du irgendwann wieder mit mir ein Backpacking machen?" In der Sekunde antwortete ich: "Ja!"
Fortbewegung im Land
Vietnams Küste zieht sich über 3.400 km. Und nicht jede Bus- oder Zugfahrt verspricht Panorama, daher empfiehlt sich ein Inlandsflug mit VietJet, Vietnam Airlines oder Jetstar für längere Strecken (auch kurzfristig buchbar, preislich günstiger im Vorfeld). Bequem, auch für Nachtfahrten, sind die günstigen Schlafbusse mit zum Teil komfortablen Kojen. Fährt man die Strecke Hue – Hoi An, nimmt man besser den Zug, um den Hai Van-Pass nicht zu verpassen (Busse fahren durch den Tunnel). Die Weiterreise, egal ob mit Fähre, Fahrer, Bus oder Bahn, wird auch in jedem Quartier verlässlich organisiert
Ökotourismus
Wer auf der Trauminsel Phu Quoc Traumstrände erwartet, wird vom angeschwemmten Müll enttäuscht sein, ähnlich ist es etwa beim Wandern im Mekongdelta. Doch es gibt mittlerweile Hotels, die auf Nachhaltigkeit setzen, auf Phu Quoc etwa das Mango Bay Eco Resort, im Mekongdelta z. B. das Bamboo Eco Village
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