Atemlos durch das Reich der Inkas

Atemlos durch das Reich der Inkas
Wer nach Peru reist, ins Herz des ehemaligen Reiches der Inkas, erlebt nicht nur Südamerikas größte Touristenattraktion und allerlei Rätselhaftes, sondern braucht ob der dünnen Höhenluft eine gute Kondition. - Von Karl Riffert

La Cuenta, por favor!“, ruft ein Gast im Cordano, Limas ältester Bar, die nur einen Steinwurf vom quirligen Zentrum der Stadt, der Plaza del Armas, liegt, sozusagen in „Riechweite“. Die Rechnung wird dann mit Sonnen beglichen. Ja ganz recht, mit Sonnen, spanisch „soles“. Mal sehen, wieviel eine peruanische Sonne so wert ist. Hector, der Oberkellner im Cordano, serviert den Stolz des Hauses, die „buttifarra“, eine Riesensemmel mit feinstem peruanischen Schinken und allerlei Zugaben. Gleich in Begleitung kommt das zweitbeliebteste peruanische Getränk, die „chicha morada“, ein seltsames Gebräu aus lilafarbenem Mais, das mit allerlei Gewürzen gekocht und mit Zucker und Limettensaft verfeinert wird. Dieser alkoholfreie Drink war schon bei den alten Inkas überaus beliebt und schmeckt auch ganz gut. Im Gegensatz zu dem in Peru allgegenwärtigen, extrasüßen, giftgelben Inka-Cola, das der Europäer umgehend als eine der übelsten Limonaden auf dem Planeten identifiziert hat. Wahrscheinlich bekommt man schon beim bloßen Gedanken an diese Limonade akute Karies. Und doch: „Die Amerikaner wollten Inka-Cola mit Coca-Cola besiegen“, erzählt Oberkellner Hector, „aber das ist ihnen nicht gelungen. Am Ende haben sie die Firma gekauft und Inka-Cola ist jetzt amerikanisch.“ Willkommen in Peru! Aber wer weiß, vielleicht wird Inka-Cola ja bald chinesisch. China verdrängt nämlich in dem boomenden Andenland, dessen Wirtschaft zuletzt um über fünf Prozent pro Jahr wuchs, gerade die Yankees als wichtigsten Handelspartner. The times, they are changing.

Das Cordano hingegen, gegründet 1905 von einem italienischen Einwanderer, ist immer noch original peruanisch und ganz wunderbar, eine Mischung aus Café Hawelka in Wien und Harry’s Bar in Venedig. Hier verkehren einfache Leute genauso wie eine Menge Politiker, denn der Präsidentenpalast liegt gleich ums Eck. Man sagt, jeder peruanische Präsident in den vergangenen hundert Jahren habe hier schon mal „tacu tacu“ genossen, Reis und Bohnen in der Pfanne, oder zumindest einen köstlichen „Pisco Sour“ getrunken, Perus populären Cocktail aus Traubenschnaps, Zuckersirup, Limettensaft und frisch gesprudeltem Eiklar. Das Cordano liegt im Herzen dieser erstaunlichen, ja verwirrenden 8,5-Millionen-Metropole, in der man moderne Viertel wie in Europa mit erstklassigen „Hauben“-Restaurants und hippen Lokalen findet (in den Stadtteilen Barranco zum Beispiel oder in Miraflores), aber auch bitterarme Slums am Stadtrand und eine beeindruckende koloniale Architektur. Lima, umgeben von Wüste, ist die zweittrockenste Hauptstadt der Welt, und liegt doch direkt am Meer. Und obwohl der Wohlstand beeindruckend gestiegen ist, nimmt die Zahl der Armen in Lima nicht ab, denn ein unablässiger Strom von unqualifizierten Arbeitssuchenden aus den Anden kommt hierher in der Hoffnung auf ein besseres Leben, hier in diese einst reichste Stadt des Kontinents. Von Lima aus wurde knapp 300 Jahre lang das gesamte spanische Kolonialreich in Lateinamerika verwaltet. Francisco Pizarro, ein ehemaliger Schweinehirte und Analphabet, der mit nur 168 Soldaten, einer Kanone und 27 Pferden das Inka-Reich erobert hatte, kam im Januar 1535 hierher und machte Lima zu seinem Regierungssitz. Das Inka-Reich erstreckte sich zu jener Zeit über 4.500 Kilometer von der Wüste Atacama bis zu 4.300 Meter hohen Bergpässen, das Wegenetz der Inka war 40.000 Kilometer lang. Und doch war das größte Indio-Reich der Geschichte in der Bronzezeit stecken geblieben, es kannte weder Schrift, noch Rad, noch Feuerwaffen. Als die Spanier auftauchten, war das Inkareich zudem geschwächt durch einen mörderischen Bürgerkrieg und eine Pockenepidemie. Zehn Millionen Inkas und Angehörige anderer Völker lebten bei der Ankunft der spanischen Eroberer in den Anden. 50 Jahre später war die Bevölkerung – dezimiert vor allem durch Krankheiten aus Europa – auf ein Zehntel geschrumpft.

Aber auch Francisco Pizarro brachte der unglaubliche Sieg über das Inka-Imperium, das damals rund drei Mal so groß wie Deutschland war, und all das geraubte Gold kein Glück. Sechs Jahre nachdem Pizarro nach Lima gekommen war, wurde er von seinen Landsleuten geköpft. Auch seine gesamte Führungsmannschaft brachte sich nach dem Sieg über die Inkas aus Gier nach Macht und Gold gegenseitig um – mit einer Ausnahme. Einer der Conquistadoren nahm schlauerweise seinen Goldanteil und fuhr mit dem nächsten Schiff zurück nach Spanien. Wir lernen daraus: Take the money and run ist keine schlechte Überlebensstrategie. Über solche fundamentale Weisheiten kann man bei einem Pisco Sour im Cordano sehr gut lustvoll philosophieren. Pizarros Knochen liegen derweil gleich nebenan in einer Seitenkapelle der Kathedrale. Wir verlassen Lima und machen uns mit dem Flugzeug auf in das Hochland der Anden, in das so genannte Altiplano, genauer in die mehr als 1.000 Kilometer entfernte und 3.400 Meter hoch gelegene mythische Stadt Cusco mit ihrem Heiligen Tal. Was für die Christen Rom und für die Moslems Mekka ist, war für die Inkas Cusco. Hier befand sich nicht nur der Regierungssitz und das Verwaltungszentrum der Inkas, sondern auch der geheimnisvolle Sonnentempel, der heiligste Ort im eine Million Quadratkilometer großen Inkareich. Als die spanischen Eroberer erstmals durch diesen dem Sonnengott Inti gewidmeten Inka-Bau schritten, sollen sie aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen sein, denn Wände, Decken und Böden waren vollständig mit mehr als 700 großen Platten aus solidem Gold verkleidet. An den Wänden standen Mumien früherer Könige. Es muss ein beeindruckender Anblick gewesen sein.

Den heutigen, durch sorglosen Genuss von Inka-Cola geschwächten Touristen bleibt der Goldrausch der Conquistadoren von damals natürlich verwehrt. Das Gold ist alles futsch und vom alten Inka-Palast haben nur vier Räume überlebt, denn die spanischen Eroberer rissen nieder, was sie nur konnten, und bauten ein mächtiges katholisches Kloster auf den Sonnentempel, den Convento de Santo Domingo. Aber obwohl die Spanier die Inka-Hauptstadt dem Erdboden gleich machten und dafür prachtvolle Kolonialbauten errichteten, zeugen die verbliebenen alten Mauern von der Baukunst der Inka-Ingenieure, die ganz ohne Mörtel fugendichte und perfekte Wände errichten konnten. Ihren Reichtum verdankte die alte Inkastadt vor Einzug der Spanier dem fruchtbaren Heiligen Tal des nahen Flusses Urubamba, aber auch der Kunst der „vertikalen“ Landwirtschaft auf zahllosen Terrassen. Den schönsten Blick auf den Hauptplatz von Cusco mit seinen Kolonialbauten und der goldenen Statue des Inka-Königs Pachacútec hat man übrigens vom ersten Stock des lokalen „Kentucky Fried Chicken“-Ablegers. Aber wir steigen jetzt lieber in den Zug und fahren entlang des Urubamba-Tales zur berühmtesten Ruine Südamerikas, wenn nicht der Welt: nach Machu Picchu. Es gibt übrigens mehrere Touristenzüge dorthin: Man kann sich mit Peru Rail auf die Reise begeben (um 77 Dollar) oder mit dem Fünfsterne-Express „Hiram Bingham“ (397 Dollar). Wir entscheiden uns für die günstigere Variante und bald gleiten wir in einem modernen Zug durch das heilige Urubamba-Tal zu Perus größter Attraktion. Während das Zug-Personal Kaffee und Kuchen serviert und draußen der Urubamba rauscht, wollen wir uns ein wenig mit dem Mann beschäftigen, der als das reale Vorbild von Indiana Jones gilt ... Man schrieb den 24. Juli 1911, als der amerikanische Abenteurer Hiram Bingham hoch in den Anden auf eine unglaubliche Sensation stieß: Da lag eine geheimnisvolle Inka-Festung: zwar verlassen und verfallen, aber unentdeckt und unzerstört. Die letzte Bastion des versunkenen Inka-Reichs. So stand es jedenfalls in den Geschichten, die der an der renommierten Yale-Universität lehrende Historiker und Archäologe Bingham ab 1913 in der Zeitschrift National Geographic veröffentlichte und die weltweit Furore machten. In Wahrheit war Machu Picchu schon längst entdeckt worden, unter anderem von dem Deutschen Augusto Berns fast fünfzig Jahre zuvor. Doch zur Sensation wurde die Inkastadt erst durch Bingham, der übrigens vom sechsjährigen Sohn einer Indio-Familie auf den Berg geführt wurde. Dank seiner Eloquenz, seines Medientalents und seines enormen Vermögens (er hatte mit der Enkelin des Tiffany-Gründers eine der reichsten Frauen Amerikas geheiratet) weckte Bingham eine weltweite Faszination, die bis heute anhält. Machu Picchu wurde zuletzt von unglaublichen 1,2 Millionen Menschen pro Jahr besucht.

So ist man erst einmal enttäuscht, wenn man aus dem Zug aussteigt und in einer riesigen Touristenfalle mit unzähligen Souvenirshops landet, in Aguas Calientes. Von hier aus führen einfache Busse über Serpentinen hinauf nach Machu Picchu, dem Ort, „an dem die Sonne festgebunden ist“, wie die Inka die Festung am Fuße des zuckerhutförmigen Berggipfels Huayna Picchu nannten. Dann folgt man irgendwelchen Guides oder setzt sich einfach auf einen grünen Hang und staunt. Die Landschaft, in die die Inka-Ruine einst kunstvoll eingebettet wurde, ist von unglaublicher Schönheit. Man kann sich an Machu Picchu kaum satt sehen. Die „Jungfrauen der Sonne“ sollen in dieser königlichen Zufluchtsstätte vor einem halben Jahrtausend magische Zeremonien veranstaltet haben. Der Zauber wirkt immer noch. Aber ganz Peru ist voller Wunder, und während in Machu Picchu „die Sonne festgebunden ist“, wurde diese an unserer nächsten Station – glaubt man den alten Inkas – geboren. Zurück in Cusco, schlängelt man sich von hier aus zehn Stunden lang mit einer der höchstgelegenen Bahnen der Welt, der Andean Explorer, durch die peruanisch-bolivianische Anden-Hochebene, das Altiplano. Es ist eine Welt auf rund 3.800 Meter Höhe, wo die Luft schon dünn wird und der Himmel unwirklich blau. Wenn der Zug am höchsten Punkt der Reise anhält, am La Reya-Pass, befindet man sich auf 4.300 Metern Höhe. Einen Hügel zu erklimmen wird hier zur anstrengenden Übung. Aber am Ende der zehnstündigen Reise, wenn man den hässlichen Industrieort Puno vergessen hat, blickt man auf Südamerikas größtes Gewässer, den Titicaca-See. Dieser Bergsee, fünfzehn Mal so groß wie der Bodensee, und das unwirtlich schöne Altiplano sind so etwas wie das Herz Südamerikas. Von hier stammt die Kartoffel, hier findet man Coca-Schmuggler, Indio-Frauen mit fantasiereichen Hüten, Priester, die Taxis weihen und Anwälte, die Lamas opfern. Für die Inkas war der Titicaca-See jener magische Ort, an dem, wie erwähnt, „die Sonne geboren wurde“. Heute fasziniert die Touristen vor allem das alte Volk der Uros, die nach wie vor auf schwimmenden Schilf-Inseln leben. Aber auch der blaue Riesensee selbst macht staunen. 25 Flüsse strömen in den Titicaca, aber nur zehn Prozent dieser Wassermassen fließen auch ab, der Rest verdunstet. Und mittendrin gelangt man auf die idyllische Isla del Sol, die Sonneninsel. An diesem romantischen Ort, an dem heute junge Rucksacktouristen eine Spur griechisches Inselfeeling mitten in Südamerika finden, hat nach dem Glauben der Inkas der große Schöpfergott Viracocha sein größtes Werk vollbracht: Manco Capac, den ersten Menschen, natürlich ein Inka, und seine Schwesterfrau Mama Huaca. Den heiligen Felsen, an dem der erste Inka die Welt betrat, kann man ehrfürchtig bestaunen. Er hat die Form einer Raubkatze, die in der Inka-Sprache Quechua auf den Namen „titicaca“ hört. Unsereiner trinkt erst einmal ein kühles Cola, unter Vermeidung der Vorsilbe Inka-, und denkt an eine andere Legende: Die Inkas hätten hier, vor der Isla del Sol, Teile ihres Goldschatzes versenkt und so vor den Spaniern gerettet. 1968 suchte sogar der berühmte Ozeanograph Jacques Cousteau danach. Gefunden hat er ihn nicht. Aber vielleicht taucht er in ein paar Jahrhunderten auf, wer weiß.

Das Ticket zu den Inkas

Flüge nach Peru gibt es ab 850 €, beispielsweise von Wien mit KLM über Amsterdam oder mit Air France via Paris. Die Reisedauer beträgt ab knapp 16 Stunden.

Essen

Restaurant Central in Lima. Virgilio Martinez ist der Shooting-Star der peruanischen Haubenküche. centralrestaurante.com.pe

► Astrid y GastÓn in Lima. Astrid und Gastón Acurios Lokal in der Casa Moreyra zählt heute zu den 50 besten Restaurants weltweit. www.astridygaston.com

Rundreise

Eine wirklich umfassende Peru-Reise, begleitet von einer hochqualifizierten Reiseleitung aus Deutschland, bietet der Studienreise- Spezialist „studiosus“ an. In 19 Tagen geht es von Wüsten zu schneebedeckten Gipfeln, und u.a. nach Lima, Nazca, Cusco und den Titicaca-See. Preis inkl. Flügen ab 4.690 €. 7 Termine 2015. Info: 00800/24022402, www.studiosus.com

► Country Club Lima Hotel: 5-Sterne-Luxus im englischen Herrenhaus www.hotelcountry.com

Hotel Belmond Monasterio Cusco: Eleganz im ehemaligen Kloster aus dem Jahr 1592 www.belmond.com/hotel-monasterio-cusco

► Sanctuary Lodge Machu Picchu: Das einzige Hotel direkt an der Inka-Zitadelle mit großartigem Blumengarten und Traumblick www.belmond.com www.www.sanctuarylodgehotel.com

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