In Los Angeles entsteht gerade das erste Museum der Academy of Motion Picture Arts and Science, sprich: das Zentrum des Oscars. Stararchitekt Renzo Piano baut es um 388 Millionen Dollar. Eine Österreicherin ist mitverantwortlich, was dort zu sehen sein wird: Doris Berger.
Es gibt so gut wie nichts, für das es kein Museum gibt. Es gibt Museen für sämtliche Kunstrichtungen, sämtliche Kunstepochen, für Kunst-Handwerkliches und Nicht-Künstlerisches, für Kunstvolles und Gekünsteltes. Für etwas jedoch existierte bis jetzt kein Museum, nix, nada, niente, noch dazu für das Größte in der schon seit Langem größten Kunstform: für die Academy of Motion Picture Arts and Sciences und ihren Goldbuben, den sie jedes Jahr vergibt, den Oscar. Womit wir mitten im Thema wären.
Seit Renzo Piano, der italienische Stararchitekt, der unter anderem mit dem „Oscar“ der Architektur, dem Pritzker-Preis, ausgezeichnet wurde, aus einem ehemaligen Kaufhaus aus den 1930er-Jahren am Wilshire Boulevard in Los Angeles das erste eigene Museum für die Academy macht, mit spektakulärem Zubau, warten Filmliebhaber aus aller Welt auf die Eröffnung. Die soll im kommenden Jahr erfolgen, der genaue Termin wird im Frühjahr veröffentlicht. Hollywood liegt dann fortan südlich von Hollywood, im Stadtteil Mid Wilshire, inmitten der Megalopolis Los Angeles, die ja keine wirkliche Mitte hat, sondern in vielen Gegenden aussieht wie die Brünner Straße mit Palmen.
So weit, so bekannt. Was aber die wenigsten wissen: Eine Österreicherin ist für das, was man im prestigereichsten Filmmuseum der Welt sehen wird, zentral mitverantwortlich. Doris Berger ist „Acting Head of Curatorial Affairs“. Aber was, bitte, genau ist das?
Karriereleiter
„Ich bin derzeit die Leiterin der kuratorischen Abteilung und Ausstellungskuratorin zugleich.“ Das kuratorische Team insgesamt ist überschaubar groß. Wie kommt man zu einem derart begehrenswerten Job? Am Anfang ihrer Karriere war sie Kuratorin und Direktorin des Kunstverein Wolfsburg. Dann untersuchte sie im Rahmen ihrer Dissertation die Darstellung von Künstlerinnen und Künstlern im Spielfilm. „Seither habe ich mich immer intensiver mit Film beschäftigt. Zuerst mehr auf der akademischen Seite, dann auch kuratorisch, also ausstellungstechnisch“, erzählt sie im Interview mit der . Ihre Dissertation wurde 2009 als Buch publiziert – „Projizierte Kunstgeschichte: Images in den Filmbiografien über Jackson Pollock und Jean-Michel Basquiat“. Sie gewann einen Preis dafür und konnte es ins Englische bringen. Danach forschte sie im Rahmen eines postdoktoralen Stipendiums am Getty Research Institut in L. A. über die filmischen und malerischen Arbeiten von Hans Richter in den USA, drehte eine Doku zu kalifornischen Künstlern in Deutschland und realisierte in Kalifornien die Ausstellung „Light & Noir: Exiles and Emigres in Hollywood 1933 – 1950“ im Skirball Cultural Center in Los Angeles ... und nun die Academy.
Eigentlich ist sie in L. A. aber aus einem anderen Grund gelandet. „Der Liebe wegen. Mein Mann ist ein amerikanischer Künstler (Steven Steinman, Anm.), der ursprünglich aus Los Angeles kommt. Ich habe ihn aber in Wien kennengelernt. Wir haben dann einige Jahre in Berlin gewohnt, bevor er wieder zurück in die Staaten wollte.“
Wie schwierig ist es für Österreicherinnen und Österreicher, dort beruflich Fuß zu fassen? „Als Europäerin ist es bestimmt einfacher, als wenn ich zum Beispiel aus Mexiko oder dem Irak käme. Aber dennoch ist es nicht einfach. Zuerst sind die Visa-Formalitäten zu regeln, das dauert einige Jahre und ist teuer. Dann geht es darum, sich sozial zu integrieren. Auch wenn wir denken, wir kennen Amerika gut aus Filmen oder über Freunde, es ist dennoch ein anderer Kulturkreis. Und Los Angeles ist wiederum ganz anders als New York, New Orleans oder Chicago.“ Durch die enorme Ausdehnung der Stadt dauere alles viel länger als etwa in Wien oder Berlin. „Da läuft man Leuten immer wieder einfach über den Weg. Das kommt in Los Angeles seltener vor. Hier muss man alles planen. Aber wenn’s dann mal läuft, ist es sehr schön.“ Kulinarisch, topografisch, klimatisch. „Außer im Herbst und Winter, wenn es Brände gibt. Das ist gruselig und scheint auch immer mehr zu werden. Der Klimawandel macht sich auch hier bemerkbar.“
Schuhe und Raumschiff
Die Idee zu einem Filmmuseum gibt es übrigens seit einer halben Ewigkeit. „Schon Mary Pickford, die einzige Frau bei der Gründung der Academy, hat einmal gesagt: Ein eigenes Museum wäre toll.“ Hat halt ein paar Jahrzehnte gedauert. Und was wird nun dort zu sehen sein? „Wir haben so wunderbare Schätze, die wir nun endlich in Ausstellungen vorstellen können, zum Beispiel die Ruby Slippers aus dem ,Zauberer von Oz’ oder das Raumschiff-Modell Aries 1 B von ,2001 – Odysee im Weltall’.“
Mehrere Stockwerke werden mit Ausstellungen bespielt, die sich mit verschiedenen Aspekten von Film, Filmgeschichte, Filmemachen und Filmkulturen beschäftigen. Zudem wird es Vermittlungsräume für Workshops, ein Restaurant, einen Shop geben. Und zwei Kinos, eines mit 1.000 und eines mit 288 Sitzen. Doris Berger: „Es wird hier genauso Retrospektiven und Filmreihen von eher unbekannten, auch internationalen Filmen geben, wie auch Hollywood-Filmpremieren.“ Schon im ersten Jahr ist eine Reihe zum Thema „Vienna in Hollywood“ geplant.
Eine Dauerausstellung thematisiert die Geschichte des Films und des Filmemachens. Dazu gibt es regelmäßig Wechselausstellungen. Doris Berger: „Die erste ist eine Retrospektive über Hayao Miyazaki, die meine Kollegin Jessica Niebel kuratiert. Dieser Ausstellung folgt ein Projekt, an dem ich mit einer Kollegin aus Washington DC arbeite. Es wird eine große Überblicksausstellung über afroamerikanisches Filmschaffen in den USA sein, die von der Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts bis über die Bürgerrechtsbewegungen hinausreicht.“ Titel der Ausstellung: „Regeneration: Black Cinema 1900 – 1970“.
Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences wurde 1927 als gemeinnützige Vereinigung gegründet. Sie ist vor allem durch die Verleihung der Academy Awards, also der Oscars, weltberühmt. Ihr eigentlicher Fokus liegt aber auf dem Fortschritt in der Filmwirtschaft generell, auf Forschung sowie Förderung des kulturellen, pädagogischen und technologischen Fortschritts.
Es gab 36 Gründungsmitglieder, darunter zahlreiche Besitzer von Filmstudios und berühmte Schauspieler. Die Idee zur Gründung der Academy stammte von Louis B. Mayer, der damals Chef von Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) war. Erster Präsident der Academy war der Schauspieler, Regisseur, Autor und Produzent Douglas Fairbanks sen. Er moderierte im Jahr 1929 auch die Verleihung der ersten Oscars, gemeinsam mit dem Autor und Regisseur William Churchill de Mille.
Die Gala, die damals noch ziemlich unspektakulär war, fand im Roosevelt Hotel am Hollywood Boulevard statt. Danach gab es die unterschiedlichsten Orte für die Veranstaltung. Seit 2002 werden die Preise im Dolby Theatre (ehemals Kodak Theatre) vergeben.
Vor drei Jahren gab es heftige Kritik an der Academy, weil als Schauspieler ausschließlich Weiße nominiert waren. Danach gab es Statutenänderungen.
Vor drei Jahren hatte es Kritik an der Academy gegeben, weil ausschließlich weiße Schauspieler für den Oscar nominiert waren. „Es ist uns ein Anliegen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es in den USA eine parallele Filmgeschichte von unabhängigen Filmproduktionen abseits von Hollywood gab, die sich aufgrund der Segregation sowie der Diskriminierung von afroamerikanischen Talenten entwickelt hat“, sagte Doris Berger. Das Ziel dieser Ausstellung sei es, „Filme wieder zu entdecken und Filmgeschichte aus afroamerikanischer Perspektive neu zu denken. Es ist ein riesiges Forschungsprojekt, für das wir bereits mehrere Stipendien bekommen haben sowie auch den Sotheby’s Preis 2018.“
#MeToo und Rassismus
Das Thema Gender- und Rassendiskriminierung ist ihr überhaupt besonders wichtig. „In den letzten Jahren sind dank der #MeToo-Bewegung viele Verhaltensweisen in Frage gestellt worden. USA gilt ja als das Land der ethnischen Vielfalt, und das ist auch an der Oberfläche so. Aber die versprochene Vielfalt ist leider noch immer nicht in alle Gesellschaftsbereiche vorgedrungen. Vor allem die Hautfarbe spielt in den USA leider noch immer eine Rolle, die in die Machtverhältnisse eingeschrieben ist.“ Es werde immer mehr von einem strukturellen Rassismus gesprochen, den es aufzubrechen gelte. „Das sind meiner Meinung nach auch Nachwirkungen von einer zu einseitig erzählten Geschichte: Die Geschichte der Ureinwohner Amerikas wird nicht wirklich vielfältig gelehrt, auch die Geschichte der Sklaverei viel zu wenig, was zur Folge hat, dass es bis heute Diskriminierungen gibt und etwa afroamerikanische Bürgerinnen und Bürger im Alltag noch immer nicht gleich behandelt werden, auch wenn das Gesetz Gleichbehandlung vorschreibt.“ Sie ist überzeugt: „Wenn Amerikas Geschichte von der Perspektive eines indianisch abstammenden Mannes erzählt wird, wird sie anders aussehen als wenn sie von einem schwarzen Mann erzählt wird, und sie wird auch anders aussehen, wenn sie von einer weißen Frau erzählt wird. Bis jetzt war halt der weiße Mann an der Macht, nun wird sich das in Zukunft auf verschiedene Gender- und ethnische Gruppen ausweiten.“
Hofft sie. Auf eine offenere und vielfältigere Gesellschaft. Viel Arbeit auch im neuen Museum.
(kurier.at, Text: Gert Korentschnig, Fotos: Elena Zaucke)
Kommentare