Stars im Schatten

Stars im Schatten
Man kennt ihre Stimmen. Aber nicht ihre Namen. Die oscargekrönte Musikdoku „20 Feet From Stardom“ rückt Background-Sängerinnen von Welthits ins Licht.

Was wäre das explosive Duo Ike & Tina Turner ohne sie gewesen? Wie würden sich die Stones-Hymne „Gimme Shelter“ und Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ ohne sie anhören? Und was erst wären Ray Charles, David Bowie, Leonard Cohen und auch Bruce Springsteen ohne Background-Sängerinnen? Sie würden anders klingen, irgendwie leerer und ärmer. Der Sound wäre zumindest hörbar schaler. Unerhört, man müsste große Teile der Pop-Historie neu schreiben. Aber wie nennt man diesen Abschnitt der Musikgeschichte dann? Und wie heißen sie überhaupt, diese Sängerinnen aus dem Hintergrund?

Merry Clayton ist eine davon. Sie war Teil der „Raelettes“, dem Chor von Ray Charles, sang auch für Bobby Darin, Burt Bacharach und Neil Young. Wirklich Gehör aber fand die damals 21-jährige Merry Clayton aus New Orleans erst, nachdem sie in einer Nacht des Jahres 1969 überstürzt in ein Aufnahmestudio in Los Angeles beordert worden war, um „Rolling irgendwas aus England“ zu unterstützen. Die damals gerade schwangere Sängerin rückte im Pyjama und mit Lockenwicklern im Haar aus. Der Rest ist bekannt, denn Ergebnis dieses Einsatzes war ihr berauschender Beitrag für „Gimme Shelter“, für viele Stones-Fans der eindringlichste Song der Stones.

Im fabelhaften und heuer ganz zu Recht mit einem Oscar ausgezeichneten Musikfilm „20 Feet From Stardom“ (Kinostart: 1. Mai) sehen sie einander wieder: Mick Jagger und Merry Clayton, der Star und die Stimme aus dem Hintergrund. Alt sind sie geworden, beide. Der Stones-Boss erinnert sich, wie sich das vor 45 Jahren angefühlt hat, als Mrs. Claytons Beitrag aufgenommen worden war. „Man hört das am nächsten Tag und denkt: Verdammt, ist das gut!“

Stimmgewaltig und tanzfreudig: „The Ikettes“ waren eine der ersten Girlbands der Pop-Geschichte. Ihr Gesangsstil war eine ganz große Show.

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Die weitere Karriere der Rockband war fast im Wochentakt für Schlagzeilen gut, jene von Merry Clayton spielte sich eher im Kleingedruckten ab. Aber sie hält es damit so wie viele ihrer Kolleginnen. Lisa Fischer, die jahrelang mit den Stones auf Tour war, meint dazu lapidar: „Manche Leute tun alles dafür, bekannt zu werden, andere wollen einfach nur singen“, sagt sie. Lisa Fischer hat mit ihrem Soloalbum „So Intense“ sogar einen Grammy gewonnen und Sting sagt über die Amazone mit dem atemberaubenden Stimmumfang, sie sei ein echter Star. Der echte Durchbruch blieb ihr trotzdem verwehrt. „20 Feet From Stardom“-Regisseur Morgan Neville hat sie genau so befragt wie Darlene Love, die Leadstimme des Oldies „He’s A Rebel“.


Die mittlerweile 72-jährige Darlene Love erlebt dank der Musikdoku jetzt überhaupt so etwas wie ihren dritten Frühling. Als Lead-Sängerin der Girl-Group The Blossoms beeindruckte sie in den frühen 1960er-Jahren Produzentenlegende Phil Spector, lebte aber dennoch eine Schattenexistenz. „Mit ihm konnte es keinen anderen Star im selben Raum geben, also packte er Darlene in einen Käfig. Ihre besten Leistungen wurden nicht einmal unter ihrem Namen veröffentlicht“, kommentiert im Film jemand.

Mit dem Erfolg von „20 Feet From Stardom“ wurde die Sängerin nicht nur zum begehrten Gast in TV-Talkshows. Im Juni kommt mit „My Name Is Love“ die Biografie der Darlene Love heraus und ihre bewegte Gesangskarriere soll nun verfilmt werden. Toni Braxton wird sie spielen. Und die ist immerhin sechs Grammys und 40 Millionen verkaufte Tonträger schwer.

Sie können mehr als nur „Aaaah“ und „Oohhh“ summen, „Background-Sängerinnen übertreffen mit ihren Fähigkeiten viele Lead-Sänger“, so Regisseur Morgan Neville nach Abschluss der Dreharbeiten zu „20 Feet From Stardom“. Die Fähigkeiten von Soul-Diva Claudia Lennear waren so ausgeprägt, dass sie gleich von mehreren Sängern begehrt wurde, unter anderem von David Bowie, Joe Cocker und Mick Jagger. Im Jahr 1973 nahm sie mit „Phew!“ ein erstes Solo-Album auf. Und erst jüngst gab sie bekannt, dass Bowie sie wegen eines neuen Projekts angerufen habe.

Was für US-Soulstars zutrifft, die ihre Kinderzeit hauptsächlich in Gospelchören verbrachten, stimmt mitunter auch für Europa. Dido, die britische Pop-Sängerin, unterstützte erst lange Jahre Faithless, die Trip-Hop-Band ihres Bruders Rollo, bevor sie 1999 mit „No Angel“ ihren ersten Solo-Hit landete. Oder Sam Brown, die Londonerin, die 1988 mit „Stop!“ die Charts stürmte. Vielen britischen Musikfans war die 1964 geborene Musikerin schon als Background-Sängerin der Small Faces, Pink Floyd, Spandau Ballet, Deep Purple, Gary Moore und George Harrison bekannt, bevor sie solo große Erfolge feierte. Auch Mariah Carey und Madonna versuchten sich einige Jahre lang mehr oder weniger erfolgreich als Background- Sängerinnen bei diversen kurzlebigen Musikformationen, bevor in den späten 1980er- Jahren ihr Stern als Solo-Künstlerin aufging. Leonard Cohens Lieblings-Background- Sängerin Sharon Robinson schrieb sogar an zwei seiner Songs mit, an „Everybody Knows“ und „Waiting For The Miracle“.

In Österreich ist es mit Birgit Denk eine Sängerin an der Seite von Kurt Ostbahn, die im Jahr 2001 als Frontfrau unter dem pragmatischen Namen Denk ihr eigenes, nach wie vor erfolgreiches Projekt durchgezogen hat.

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