Wahnwitzig & wunderbar: Brigitte Winkler über Thierry Mugler

Wahnwitzig & wunderbar: Brigitte Winkler über Thierry Mugler
Mode-Koryphäe Brigitte Winkler lässt ihre Erinnerungen an die legendären Modeschauen von Thierry Mugler Revue passieren, der dank Kim Kardashian wieder in aller Munde ist.

Museum für afrikanische Kunst in Paris. Auf den Stiegen vor dem Eingang drängen sich hunderte Leute. Hinein kommt nur, wer eine Einladung hat. Trotzdem versuchen es etliche auch ohne. Mit List, mit Tücke, mit Gewalt -aber immer vergeblich. Es ist neun Uhr abends am 16. Oktober 1987. 

"Ist noch jemand da für die Sieben-Uhr-Show?" ruft einer der Kontrollore, die den schmalen Eingang in der gläsernen Museumswand bewachen wie das Tor zum Paradies. Ich gehöre zu den Glücklichen. Zu allem ent-schlossen zwänge ich mich weiter durch die dichte, aus Modejournalisten, Fotografen, Promi-Gästen und Adabeis bunt gemischte Menge. Offenbar haben sie die Zeitangabe auf der Einladung - Beginn: 21 Uhr - ernst genommen und sind pünktlich zur zweiten Show gekommen. 

In ständigem lästigen Kontakt mit Handtaschen, Kamerataschen, Minileitern, Ellenbogen und anderen am Vorwärtskommen hinderlichen Körperteilen kämpfe ich mich weiter. Auf den letzten zwei Metern bis zum Erzengel an der Türe zieht man mir dabei fast die Lederjacke aus. Die Einladung schwenkend stolpere ich schließlich ins Innere des Museums. ,,Bon soir, Madame", sagt der Wächter an der nächsten Türe, ignoriert meine derangierte Garderobe und verneigt sich höflich. Sein Helfershelfer weist mich zu meinem Sitzplatz. Da sitzt aber schon jemand.

Ich sage: ,,Excusez moi, das ist mein Platz." Aber die Dame behauptet, das sei ihrer, und außerdem sitze sie schon seit zwei Stunden da. Zu erschöpft von einem langen Tag angefüllt mit Modeschauen und dem kräfteraubenden Endspurt lasse ich das Gewohnheitsrecht gelten und mich selbst direkt am Ende des Laufstegs nieder. Hier, an vorderster Front, sieht man ohnedies am besten und kann halbwegs ungestört fotografieren.
 

Was damals im Musee National des Arts Africains & Oceaniens stattfand? Thieny Muglers Präsentation seiner Frühjahrsmode '88. „Zu einer Modeschau zu gehen mag nach sehr viel Spaß klingen", meint dazu überaus treffend meine Kollegin (damals noch) von der ,Herald Tribune', Suzy Menkes, "aber in Wirklichkeit ist es etwas, daß Dante vergaß in seine Vision des Infernos aufzunehmen."

Doch eine gute Show läßt einen alles wieder vergessen. Und Thierry Muglers Modeschauen gehörten zum Besten, was die internationale Modeszene jemals zu bieten hatte. Brav über den Laufsteg wandelnde Models waren Muglers Sache nicht. Er liebte es verrückt, aufregend, kitschig, witzig, dramatisch, himmlisch und teuflisch. Nur eines nicht: langweilig. Für jede Präsentation überlegte der Turbo-Präsentator sich ein Thema, das er und sein Team dann von den Haarspitzen der Models bis zu den kleinsten Details der Location durchzogen. Keine damals prominente Dame war ihm dafür zu lieb, kein Topmodel zu teuer.

Nichts war ihm zu teuer

Endlich beginnt das Spektakel. Doch das Warten hat sich wieder einmal gelohnt. Nicht zufällig hat Mugler das afrikanische Museum als Rahmen gewählt. Seine Mode ist vom heißen Kontinent inspiriert. Ausgesucht schöne schwarze Models treten auf. An ihrer Spitze Iman, das zu dieser Zeit teuerste Fotomodell der Welt. Umgerechnet 20.000 Euro hat Mugler allein ihr gezahlt, für diesen exklusiven Auftritt während der Pariser Modewoche. Somit konnte sie sie kein anderer Modeschöpfer engagieren. Ausgestattet mit einer Wahnsinnsperücke, wilder als eine Löwenmähne, schiebt sich die laszive Schönheit aus Somalia wie eine träge Wildkatze über den Laufsteg. Im Blick die geballte Erotik, jeder Schritt eine Herausforderung.

Heiß wie die Mode ist auch die Musik. Sie übertönt das hektische Klicken der unzähligen Kameras der Fotografen aus aller Medien-Welt. Wunderschön ein hautenges Lederkleid im Echsenlook. Um den Hals einer dunkelhäutigen Riesin stapeln sich goldene Reifen - dafür ist sie kahlköpfig. Unzählige Armreifen fast bis hinauf zu den nackten Schultern klirren. Die Musik wird noch maßloser. Urwald-Trommeln wirbeln. Mädchen auf aberwitzig hohen, durchsichtigen Plastikschuhen treten auf. Als wären sie bloßfüßig, trippeln sie damit wie auf Zehenspitzen einher. Um die Fußgelenke tragen sie zarte Holzreifen, um die Taille eine Art Lendenschurz, um den Busen gar nichts. Begleitet werden sie von ein paar nicht minder prächtig gebauten Männern, ebenfalls mit nacktem Oberkörper. Die Fotoapparate glühen.

Eine Saison später, im März 1988, spielt Mugler mit dem Feuer. Flammenmuster lodern über seine Kleider, bei Abendmodellen in Form raffinierter Paillettenstickerei auf knappen Bustiers. Es scheint, als züngelten Flammen an zarten Mädchenbrüsten empor. Schlichte lange schwarze Kleider bekommen, wenn man Ärmel und Rock mit einem kräftigen Ruck auseinanderzieht, zackige Schlitze unterlegt mit Schockfarben. Zu knallroten Kostümen tragen die hochbeinigen Geschöpfe überkniehohe Vinylstiefel mit 15-Zentimeter-Stilettos. Dann wiederum zwingt der Scharfmacher den Models die schwarze, elastische Kunsthaut knalleng auf den wohlgeformten Leib. Die Haare stehen ihnen sprayunterstützt in zwei gewellten Hörnern zu Berge - teuflisch sexy das Ganze.

Atlantis

Nach dieser höllischen Show sucht Mugler wieder eine Saison später sein Heil im Wasser. Er spielt Atlantis. Die Bühne am Ende des langen Laufstegs ist dekoriert, als wäre das riesige Zelt im Innenhof des Louvre ein ge-waltiges Aquarium. Einmal zeigt er die Frau als Haifisch: Ratsch! Ein kräftiger Zug am Dekollete - es klafft eine zackig eingefaßte Öffnung, als wären es spitze Stoffzähne. Andere Models wiederum tauchen als halbnackte Nixen oder als zarte Schleierfischchen auf. Irisierende Stoffbahnen schmeicheln ihnen wie vibrierende Flossen um Handgelenke und die endlosen Beine. Ohne Hemmungen zitiert Mugler sich selbst und zieht den fabelhaft gebauten Mädchen zu Plexiglas-Klarsicht-Bustiers wiederum durchsichtige Plastikpumps an.

Zum nächsten Modeschau-Termin im März 1989 lud er zu sich ins Palais auf der Rue Faubourg Saint Honore. Und wieder ging es heiß her. Schon die Namen der einzelnen Modelle seiner Kollektion verrieten, aus welcher Ecke der gelernte Ballett-Tänzer diesmal inspiriert worden war: ,,Dirty Dancing", ,,City Samba", ,,Chiffon-Trashy". Dementsprechend die Klamotten: sexy bis frivol. Aggressiv kombinierte Mugler zur macho-gestylten Lederjacke durchsichtige Chiffonröcke, die hüftabwärts alles zeigen, was die Anatomie zu bieten hat. Noch nicht ganz ausgeklügelt: ein computergeformtes Metall-Bustier, das dem Kühlergrill eines Cadillacs verdammt ähnlich sieht, von seiner Trägerin, dem schwarzen Topmodel Naomi Campbell aber gehalten werden muß, damit sie es nicht verliert.

Schon 1989 geht es ihm um die Umwelt

Im Oktober 1989 geht es Visionär Mugler um die zerstörte Umwelt. Am deutlichsten kommt dies beim traditionellen Schlußbild, dem Brautkleid, zum Ausdruck. Zwar glänzt es im Scheinwerferlicht auf den ersten Blick silbrig. Doch nicht mit Straß und Stickereien hat Mugler diesen Effekt erreicht, sondern mit Flaschenkapseln und Glassplittern, die neben Algen (aus Stoff) und Vogelfedern das Kleid schmücken. Lässig hat sich das Mädchen dazu eine Jeansjacke über die Schulter geworfen. Auch sie ist verziert: mit Ölflecken und Brandlöchern. ,,Maree Noir" (zu Deutsch "Ölpest") heißt die Kreation bezeichnenderweise.

Im März 1990 hat Mugler wieder Lust auf einen größeren Rahmen und lädt ins Palais de Tokio. Wieder spielten sich vor den Toren haargenau die gleichen Szenen ab, wie eingangs geschildert. Um den Showcharakter seiner Modeschau noch mehr zu betonen, hatte Mugler neben Schlangenmenschen, die sich bis zur Verknotung verrenkten, diesmal echte, wenn auch einstige Showgrößen engagiert: Alice und Ellen Kessler sangen und tanzten "That's Entertainment". Amanda Lear und das ehemalige Topmodel Veruschka Gräfin Lehndorf vervollständigten den Überraschungseffekt.

Im Publikum: George Michael und Madonna

Offenbar selbst hingerissen von diesem Erfolg, legte Mugler im Herbst darauf im gleichen Rahmen einen Gang zu, ließ das Ex-Topmodel Lauren Hutton auftreten (was diese tat, obwohl sie sich kurz zuvor den Fuß gebrochen hatte). Sie bewies mit ihren fast 50 Lenzen, daß Muglers Mode zeitlos ist. Mitten unter die ansonsten taufrischen Mannequins - eines von ihnen Jade Jagger, die bildhübsche Tochter des wilden Mike - mischte sich ein ehemaliges Pornostarlet, Tracy Lords. Als Schlußgag trat dann auch noch Soul-Königin Diana Ross auf. Die Konturen ihres Körpers zeichnete ein fleischfarbener Catsuit nach, als wäre sie nackt. Mit einem Gürtel auf ihren Hüften befestigt ein glitzerndes, knallrotes Tüllgepinst, das wie riesige Insektenflügel von ihrem Körper abstand. Im Publikum: die Popidole George Michael und Madonna.

Als höchster Höhepunkt trippelte einst auch die bekannteste Scheidungsmillionärin New Yorks, Ivana Trump, über den Laufsteg   Und bewies mit chirurgisch verformten Lächeln und stelzigem Gang, dass man auch als Ex-Model schlechte Figur machen kann. Doch die Schlussbilder, Megamodels von Naomi Campbell bis Karen Mulder in irrwitzigen lusterartigen Metallgespinsten, die eher enthüllten als bekleideten, ließen den Stargast rasch wieder in Vergessenheit geraten.

Show mit Schneeflocken und Eiscreme

Alle Modeschaugrenzen hatte Thierry Mugler schon im März 1984 gesprengt, als er anläßlich seines 10-jährigen Firmen-Jubiläums bezeichnenderweise ins „Zenith", ein riesiges Theater an der Porte de Pantin, bat. Die Show war für 21 Uhr angesetzt, doch mein Flugzeug hatte Verspätung und landete erst um 21.15 Uhr in Paris. Auf Muglers Gewohnheiten bauend fuhr ich zuerst ins Hotel, fand dort die erhoffte Einladung vor, legte alles überflüssige ab und ließ mich an den Modewallfahrtsort dieses Abends bringen. Ich hatte nicht zu hoch gepokert, das Schauspiel sollte gerade erst beginnen.

Dem massenhaft anwesenden Publikum (erstmals waren für eine Modeschau Kaufkarten um rund 400 Schilling ausgegeben worden. 2.500 Leute hatten davon Gebrauch gemacht, 2.000 weitere kamen auf Einladung) war die Wartezeit recht profan verkürzt worden: mit Hot Dogs, Popcorn, Eiscreme und zwei überdimensionalen Videowänden, auf denen einer der Sponsoren des Abends, Renault, mit Commercials für seine Produkte Werbung machte.

Und dann legte Mugler los. In einer wilden Mischung aus Winter-Olympiade und biblischem Spektakel ließ er auf einem pistenartigen Laufsteg sechzig Mannequins auftreten, Schneeflocken vom Himmel fallen und Engels-Chöre singen. Manche Models ließ er Schlitten fahren, andere wie Nonnen einherschreiten. Dazu spielte eine Mischung aus Disco Music und Gospel Songs  und schließlich erschien die "Madonna" persönlich mit einem echten Baby als Jesuskind im Arm.

Damit nicht genug, schwebte zum Schluß auch noch Erzengel Gabriel mit ausgebreiteten Armen vom Himmel (Starmodel Pat Cleveland) über die Köpfe des verblüfften Publikums hinweg und - begleitet von einem talergroßen Konfettiregen - direkt in die Arme des seligen Thierry. Niemand hätte es gewundert, wäre er mitsamt seinem Engel zu den Sternen entschwebt.

Von Engeln und Sternen

Denn Mugler liebt Sterne. Sind sie doch noch höher, noch himmelstürmender, noch unfaßbarer als jede Architektur und jede Landschaft. Er trug gerne einen Ring, den ein Stern zierte und ließ sich unter anderem einen Stern auf den Arm tätowieren. Auch sein erstes Parfum, ,,Angel" (,,Engel", vorgestellt im Herbst 1992) ist in einen Stern verpackt. Und sollte bald und bis heute zum Bestseller avancieren.

1992 lernte Thierry Mugler auch einen Österreicher in Paris kennen, Gery Keszler. Das Make up, dass sich der junge Stylist für ein damals noch nicht weltbekanntes Model, Eva Herzigova, für Probeaufnahmen einfallen hatte lassen - mit u.a. überlangen aufgemalten Wimpern - fiel Mugler ins Auge und er engagierte Gery für seine Modeschauen. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft und als Keszler ihm von seinen Plänen erzählte, eine Charity-Veranstaltung in Wien veranstalten zu wollen, um Geld für die Bekämpfung von Aids aufzutreiben, war Mugler sofort bereit, dabei eine Modeschau zu veranstalten. Damit wurde gleich der erste Life Ball im Wiener Rathaus zur Weltsensation.

Mugler und der Life Ball

Der KURIER berichtete als erstes Medium und direkt aus Paris von Gery Keszlers Plan und Thierry Muglers geplanten Beitrag zum Life Ball. Doch nie wäre es mir eingefallen, Thierry Mugler auf Deutsch anzusprechen. Auch nicht beim Besuch des Life Balls am 29. Mai 1993. Den leider erfuhr ich erst viele Jahre später - erst als Mugler bereits 2000 seine letzte Modeschau veranstaltet hatte und sein Label dann in andere Hände überging - welchen Bezug Mugler zu Österreich hat. Plötzlich - ab 2017 - nannte er sich ganz offiziell Manfred Thierry Mugler. Manfred? Ein Franzose?

Ja, Manfred Thierry Mugler wurde 1948 in Straßburg im Nordosten Frankreichs geboren. Doch seine Eltern waren in den Nachkriegswirren dorthin gezogen und stammten ursprünglich aus - Linz! Daher nannten der Arzt und seine immer toll angezogene Society Lady aus Niederösterreich den Sohn Manfred. Jetzt heißt er wieder so, nennt sich auch auf Instagram #manfredthierrymugler. Und lebt jetzt in Berlin. Wo er - nach seinem Kabarett-Programm Follies in Paris Ende 2013 bereits 2014 für die Show "The WYLD - Nicht von dieser Welt" im Friedrichstadt-Palast als Autor und Regisseur tätig war. in Paris war ich dabei. In Follies Mugler war Manfred per Video sogar involviert. Als ich ihn über den kostümierten Darstellern auf der Leinwand erscheinen sah, erwartete ich Riesenapplaus vom Publikum. Nichts passierte. Außer ein paar Modeaffinen Leuten wie mir, hatte ihn offenbar niemand erkannt.

Die Show in Berlin habe ich leider versäumt. Mit 10 Millionen Euro Produktionskosten soll sie die teuerste Show außerhalb von Las Vegas gewesen sein

Danke, Manfred Thierry Mugler, für diese einmaligen, sensationellen, wunderbaren, wahnwitzigen Erlebnisse.   

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