Erlesen: Wie aus alten Büchern Taschen werden
Frauen, die lesen, sind gefährlich“, ist der Titel eines Bestsellers, der vor einigen Jahren für Furore sorgte. Gut möglich, dass er demnächst auch die eine oder andere Tasche der Upcycling-Künstlerin Bernadette Hartl ziert. In der Kollektion ausgefallener Buchhandtaschen, die im charmanten, historischen Ambiente ihres Ateliers in Steyr entstehen, wäre sie jedenfalls ein weiterer Blickfang – und würde, wie alle anderen Unikate der Oberösterreicherin, Gesprächsstoff ohne Ende bieten. Also, lasst uns plaudern – wir sind neugierig. Grundsätzliche Frage: Was sind Buchhandtaschen?
Bernadette Hartl: „Ich gestalte Taschen aus den Einbänden alter Bücher und kombiniere dazu ausrangierte Herrenkrawatten. Sie dienen als Henkel oder als Schulterriemen.“ Ungewöhnlich. Und so sehen sie auch aus. Dabei wirken die Bags mit dem Charme historischer Buchkultur so gar nicht antiquiert, sondern einzigartig, manchmal auch komisch. Ein It-Piece, wie man heute sagt. Wer also ein solches aus der Werkstatt von Bernadette Hartl hat, kann gewiss sein, dass er darauf angesprochen wird.
Und was trägt die Frau von heute literarisch? Novellen von Goethe, Gedichte von Schiller, Berührendes von Dickens, die Erinnerungen von Theodor Körner. Auch in der „Taschen-Bibliothek“ zu finden: die Erzählungen von „Lust und Leid der Backfischzeit“ oder der Bauernkalender anno 1934; ein Bravo-Cover aus den 1950er-Jahren macht sich nicht minder gut. Ganz zu schweigen von Nöstlingers „Feuerrote Friederike“. Und immer wieder fantasievolle Jugendstileinbände von Märchenbüchern, Titelblätter alter Modezeitschriften oder – für Fans des geschriebenen Wortes – „Die Regeln der deutschen Rechtschreibung“ aus dem Jahr 1880. Das wäre doch etwas für Germanistinnen oder Autorinnen?
„Das wäre doch etwas für den oder die ...“ Diesen Satz hört Bernadette Hartl häufig, wenn Kunden in ihrem Atelier oder auf Märkten, wo sie präsent ist, auf der Suche nach einem passenden Geschenk sind. Unter der Vielfalt an Buchhandtaschen ist immer ein Modell, das – so scheint es – für eine ganz bestimmte Person regelrecht maßgeschneidert scheint. Das Modell mit dem Bauernkalender aus dem Jahr 1934 war so eines. „Das habe ich mit einer ulkigen Krawatte mit Kuhmotiven kombiniert. Die Tasche wurde vielfach bewundert, aber nicht gekauft. Ich hatte schon Angst, sie würde ein Ladenhüter.“ Erstanden hat die Tasche dann doch jemand für eine Jungbäuerin aus Alberndorf, die viele Kühe im Stall hat. „Die Tasche hat einfach auf die richtige Trägerin gewartet.“
Taschen, Taschen, Taschen
Bestseller
Geschichten wie diese hat die Mutter von drei kleinen Kindern viele auf Lager. Und es werden von Tag zu Tag mehr. So wie ihre Fangemeinde wächst. Denn ihre Taschen gefallen aus zweierlei Gründen. Zum einen, weil sie originell sind, zum anderen weil Hartl damit ausrangierten Büchern und Krawatten zu einem zweiten Leben verhilft – produziert in Eigenregie in ihrem Atelier. Einst war das ein Wirtshaus. Vor Kurzem hat sie es umgebaut und damit nach Jahren in einer beengten Wohnung endlich einen fixen Standort mit viel Platz zum Zuschneiden, Nähen und Kleben jener Bestandteile, die es für eine Tasche braucht. Eine – auch schon in die Jahre gekommene – Bernina-Nähmaschine leistet da gute Dienste, seit Kurzem auch eine nicht minder betagte Schusternähmaschine. „Beides ist Gold wert“, sagt die Handwerkerin und verarbeitet damit – und mit der Erfahrung vieler Jahre – Leder, Stoffe, Reißverschlüsse und schmückendes Beiwerk.
An ihre erste Buchtasche erinnert sich Hartl noch genau. „Eines Tages ist mir ein wunderschönes Buch in die Hände gefallen. Die Seiten waren zerlesen, doch der Einband noch schön und viel zu schade zum Wegwerfen. Es war ein Hardcover mit dem Titel ,An heiligen Wassern’ von Jakob Christoph Heer. Dieses Buch kann ich nur empfehlen“, sagt die Künstlerin. Spontan hätte sie dann aus dem Buch eine Tasche gebastelt. Auf der Suche nach dem passenden Stoff für das Taschenfutter und die Henkel stieß sie auf jene alten Krawatten, die sie einmal zu einem Rock verarbeiten wollte. Dieser Versuch war gescheitert. Bei der Tasche war das anders. „Die Krawatte harmonierte perfekt mit Stoff und Buchdeckeln. Auch die Ausführung funktionierte.“ Damit war der Pilotversuch Buchhandtasche im Jahr 2012 geglückt – es war der Beginn von „Bernanderl Upcycling“.
Erlesen
Das Grundmaterial, die Bücher und damit die Bucheinbände, sucht und findet Hartl großteils auf Flohmärkten, auch die Caritas ist eine gute Quelle. Manchmal legen ihr Leute, die von ihrer Arbeit wissen, auch spontan Bücher vor die Türe. Das Angebot an „alter Lektüre“, die niemand mehr (lesen) will, sei groß. Bei der Auswahl ist Hartl dennoch kritisch. Ja, die Optik sei wichtig, aber nicht nur. „Wesentlich sind auch Beschaffenheit und Zustand der Buchdeckel. Nicht jedes alte Buch eignet sich für eine Tasche“, weiß Hartl aus langjähriger Tüftelei. Nähen beherrscht sie seit ihrer Kindheit, den Umgang mit Papier hat sie sich nach dem Studium der Betriebswirtschaft in Japan und Korea angeeignet. Dort hat sie etliche Jahre gelebt und die hohe Kunst des Papiermachens und die koreanische Lampenkunst kennengelernt. All das kommt ihr nun bei der Fertigung ihrer „erlesenen“ Taschen zugute.
Auf ins Taschen-Universum
Wer sich für Taschen jeglicher Art bis hin zu Reisegepäck interessiert, muss unbedingt das Taschenmuseum in Amsterdam besuchen. Anhand Abertausender Exponate wird die Geschichte dieses Accessoires erzählt und mit Mode, Trends und bedeutenden Herstellern aus aller Welt verknüpft. Empfehlenswert: Bis 20. März 2020 ist die Sonderausstellung "Trunk: a magical selection" mit wunderbaren Reise- und Schrankkoffern" zu sehen.
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