Miss Platnums Auferstehung als R'n'B-Ikone
Freizeit: „Die Luft schmeckt nach Glück und Benzin“ heißt es auf deinem neuen Album. Was assoziierst du eigentlich mit Benzin?
Miss Platnum: Für mich steht Benzin natürlich für Feuer, einfach für Leidenschaft. Dass man für irgendetwas oder irgendjemanden brennt.
Im Video dazu sieht man einen Kopftuch tragenden Frauenkult. Gibt es da einen religiösen Bezug?
Minimal schon, es ist auch wie eine Art Kult oder Sekte aufgebaut. Ich bin sozusagen die Anführerin, die aber auch schon im Jenseits ist. Dann wird dieses Mädchen eingeführt und dabei kriegt sie einen Schleier auf. Klar nimmt das Bezug zu bestimmten religiösen Handlungen. Die Religion, die vorschreibt, dass man etwas tragen muss, damit man zu etwas gehört. Das hat auf jeden Fall Parallelen.
In einem Interview sagtest du, dass du nichts dagegen hättest, wenn Frauen die Weltherrschaft an sich nehmen würden. Dann gibt es aber den Song „Come marry me“ von dir und Peter Fox, in dem er sagt: „Ich brauch 'ne Frau, die gut kochen und nähen kann.“ Wie passt das zusammen?
Das ist doch super, wenn eine Frau nähen und kochen kann. Ich finde das eine schließt das andere nicht aus. Ich finde es auch gut, wenn Männer mehr Power haben und ein Auto in die Luft heben können. Und Frauen ihre Qualitäten haben. Ich finde, Gleichberechtigung heißt nicht, dass Frauen und Männer die gleichen Sachen machen sollen. Es ist immer noch so, dass Frauen Frauen sind und Männer Männer. Das soll meiner Meinung nach auch bitte so bleiben. Wenn jemand ein Gentleman ist und mir die Tür aufhält oder die Rechnung bezahlt – darüber freue ich mich als Frau. Es ist nicht, dass ich dann denke: „Oh nein, jetzt muss ich aber ganz emanzipiert sein, das mach ich selber.“ Ich finde man kann’s auch echt übertreiben. Die Gleichberechtigung besteht eben darin, dass Mann und Frau sich ergänzen. Und dass man diese Ergänzung respektiert. Ich finde diese Diskussion, bei der man sich über alles aufregt, nur weil man sagt eine Frau kann bestimmte Dinge vielleicht besser, übertrieben.
Du bist in einem deutschsprachigen Gebiet in Rumänien aufgewachsen, das vor dem Ersten Weltkrieg zur Monarchie Österreich-Ungarn gehört hat. Wie hast du diese Vielfalt an Kulturen in deiner Kindheit erlebt?
Also das war eigentlich ein friedliches Nebeneinanderherleben. Ich bin ja auch zur deutsch-rumänischen Schule gegangen, das war die Lenau-Schule in Timișoara. Da habe ich auch Deutsch gelernt. Es gab viele Ungarn in dem Gebiet, es ist auch nicht weit von Serbien entfernt. Ich glaub nur 150 km weiter weg. Serben gab es auch viele, es war aber irgendwie ganz normal. Meine Mutter hat mir immer erzählt, dass sie als Kind irgendwelche ungarischen Wörter aufgeschnappt hat, ich kenn auch so Begriffe wie Palatschinken oder Mehlspeisen. Die Deutschen, die in Rumänien waren, haben ein wenig so gesprochen wie die Leute hier in Österreich. Das war aber eigentlich alles ganz normal und friedlich. Ich leb jetzt in Berlin und da ist es auch so, dass viele Kulturen zusammenkommen.
„Vor allem die ostdeutsche!“, wirft der aus Rostock stammende Rapper Marteria ein, der just in dem Moment den Raum betritt.
Ja, sehr prägnant. Ich finde das etwas sehr Positives, das ist immer eine Bereicherung. Alle beschweren sich in Berlin immer, dass so viele Leute von außen kommen und sich deswegen alles verändert – ich finde das positiv und begrüßenswert. Nur so kann sich etwas entwickeln und eine Stadt sich verändern. Natürlich ist es auch schön, wenn die Eigenheiten bleiben, aber das tun sie auch. Die Berliner sind noch immer die Berliner, ein bisschen grummlig und leicht unfreundlich, obwohl sie es eigentlich gar nicht sind. Das wird ja auch bleiben, das geht dadurch nicht wirklich verloren.
Dein Video zu „99 Probleme“ hast du in Bukarest gedreht. Unter anderem auf einer Geburtenstation, bei boxenden Frauen und Polizistinnen. Wie war es, in so viele verschiedene Bereiche Einblicke zu gewinnen?
Das war total spannend. Wir waren eine ganze Woche da und haben die auch fast durchgedreht, um viel Material einfangen zu können. Teilweise waren es sehr spontane Sachen, dass wir einfach wo rumgefahren sind und gefilmt haben. Oder natürlich auch Sachen, die wir vorbereitet haben, wie auf der Geburtenstation, da kann man ja nicht einfach mit der Kamera reinlaufen. Es war auf jeden Fall sehr spannend und sehr schön, auch zu sehen wie unterschiedlich die Bereiche sind, in denen Frauen arbeiten. Wie Frauen anders wirken, die beiden Köchinnen, die da mit diesen riesigen Messern stehen – solche Bilder sind einfach ikonenhaft, würde ich sagen.
Warum hast du dich dafür entschieden, das erste Video deines deutschsprachigen Albums in Rumänien zu drehen?
Ich wollte auch irgendwie Zugang schaffen, zu dem, was ich vorher gemacht habe. Auch wenn ich sage: „Miss Platnum ist tot, es lebe Miss Platnum“, wird darin klar: Miss Platnum gibt es immer noch. Ich möchte auch das, was ich vorher gemacht habe, nicht über Bord werfen, sondern es irgendwie mitnehmen. Deswegen war es auch schön, wieder zurückzugehen. Und natürlich wollte ich ein Video machen, das möglichst international aussieht. Ich finde, dass diese Gesichter der Frauen in Rumänien die Geschichten intensiver erzählen als die in Westeuropa. In Deutschland ist der Wohlstand schon in vielen Bereichen angekommen, in Rumänien ist das noch sehr unterschiedlich, die Verhältnisse sind weit auseinander und das sieht man auch.
Ist das für dich auch dieser Wohlstand und Überfluss, wenn du singst: „Alles ist Walt Disney“?
Nein. „Alles ist Walt Disney“ bedeutet, dass alles wahnsinnig bunt und oft auch unbegreiflich ist. Einfach die Tatsache, dass wir auf einem Planeten in einem riesigen Weltall sind. Oder Sternschnuppen. Das ist Walt Disney. Alles ist viel zu krass und groß und auch zu schön, um es wirklich zu begreifen. Aber es ist halt da und man sollte es auch genießen.
Du bezeichnest deinen Sound als „Future Gipsy R’n’B“. Was magst du an deutschsprachigem R’n’B nicht?
Die Art und Weise, wie mit der Sprache umgegangen wird. Also das oft die sprachlichen Schemen wie mit einer Blaupause aus dem Englischen ins Deutsche übertragen werden. Wenn diese funktionieren, dann vielleicht auf Englisch, aber auf Deutsch sicherlich nicht. Das turnt mich dann nicht so an.
Wie kann man sich das vorstellen?
Es ist zu platt. Wenn man über ein Thema wie die Liebe singt, kann man da auch viel facettenreicher und tiefer reingehen und nicht nur so „Ich liebe dich Baby und du hast mich verletzt und jetzt bin ich voll einsam und es tut voll weh …“ und Rumgeheule ohne Ende. Man kann das auch anders ausdrücken, manchmal ist da einfach wenig Poesie in den Texten. Nicht nur bei R’n’B, sondern bei Popmusik im Allgemeinen.
„Frau Berg“ hat sehr viel Poesie und grenzt sich auch ein wenig von den anderen Songs auf dem Album ab. Wie bist du auf die Geschichte gekommen?
Ich hab die Texte nicht alleine geschrieben, das sag ich auch immer, dass ich zusammen mit Textern arbeite. Die haben natürlich auch ihre Ideen in das Album reingebracht. Da war es tatsächlich so, dass es die Idee von Marten, also Marteria, und Marlo war, das traurigste Lied der Welt zu schreiben. Als ich es gehört habe, meinte ich so: Frau Berg würde doch zu mir viel besser passen, weil ich aus den Bergen komme, weil ich in den Karparten geboren bin, und dann hab ich mir den Text nochmal angeguckt und drübergeguckt und so entstehen dann eben die Texte. Ich glaube, der Song ist deswegen auch anders, weil es eine sehr klare, fiktive Geschichte ist. Und weil er auch diesen klaren Chanson-Bezug hat. Den haben „Nur die Liebe“ und „Kleiner Schmerz“ auch, aber bei „Frau Berg“ ist es am deutlichsten zu hören.
Du bist gerade mit Marteria auf Tour. Er war bereits 2009 bei deinem Video zu „Babooshka“ dabei. Wie hast du Marteria überhaupt kennengelernt?
Über The Krauts. Das war die Zeit, wo er angefangen hat, mit ihnen zu arbeiten. Damals hatte ich auch schon bei „Tamara“ gesungen, seitdem arbeiten wir ständig zusammen. Ich hab auch schon bei seiner „Zum Glück in die Zukunft I“ Platte ganz viel gesungen. Seitdem sind wir einfach Kollegen und vor allem Freunde und tauschen uns aus.
Wenn du sagst, dass sich die Kunstfigur Miss Platnum gewandelt hat: Würdest du jetzt noch Songs wie „Give me the food“ machen?
Ne. Einfach weil ich über dieses Thema gar nichts mehr sagen muss. Ich sag ja bei „99 Probleme“ es ist alles gesagt, dazu muss ich mich wirklich nicht mehr äußern.
In „99 Probleme“ sagst du auch, dass du keine Musik für kleine Mädchen und Jungs, generell für keine Zielgruppen machst. Wie lässt sich das mit einem Majorlabel vereinbaren?
Naja, ich setz mich nicht hin und sage: Okay, heute schreib ich einen Song für die Kinder von 12 bis 15. Ich mach im Grunde auch Musik für Zielgruppen, weil ich ganz oft an Leute wie mich denke und ich möchte mir meine Platten auch selber anhören können. Wenn aber jemand 15 ist oder 8 Jahre alt oder 85 und das auch hören kann, dann ist das doch super. Ich geh nur nicht so ran, dass ich sage: „Okay, heute schreibe ich einen Hit und der soll bitte von dem und dem gekauft werden.“ Das ist nicht meine Aufgabe. Da ist es vielleicht Aufgabe der Plattenfirma, zu sagen, welches Lied wo hineinpasst. Deswegen positionieren wir das so und so. Mein Beruf ist Sängerin zu sein. Aber das ist nicht nur ein Beruf, es ist ein Muss, ein Verlangen und hat etwas Triebhaftes. Ich muss einfach Musik machen. Es hat nichts mit ergebnisorientiertem Arbeiten im Sinne von Zielgruppen zu tun. Ich glaube, das hört man dann auch. Das hält sich vielleicht über eine bestimmte Zeit, aber es hat keinen wahren, liebevollen, emotionalen Kern. So eine Musik möchte ich aber machen, ich möchte wahrhaftig sein als Künstlerin und auch so gesehen werden.
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