Virtuos zwischen allen Stühlen

Virtuos zwischen allen Stühlen
„Casanova Variations“ kommt am 23. Jänner ins Kino. Die veroperten „Geschichten aus dem Wienerwald“ gibt’s im März im Theater an der Wien. In Perchtoldsdorf inszeniert der Intendant Shakespeares „Sturm“. Opern international. Fantasievoll. Froh. Flugtauglich. Doch. Manchmal wünscht sich auch Regisseur Michael Sturminger Kontinuität.
Von Ro Raftl

Arbeiten. Nicht lang reden. Keine Befindlichkeiten.“ Das mag Michael Sturminger. „Nicht zu arbeiten ist mir keine schöne Vorstellung.“ Er kommt aus Taiwan, wo er Strauss’ Ariadne auf Naxos inszeniert hat. Premiere war knapp vor Weihnachten. Gleich wird er seine Frau zum Flieger nach Schanghai bringen. Renate Martin stattet dort einen VW-Spot aus. Dass sie an seinem 52. Geburtstag am 8. Jänner nicht da ist? Kein Thema. Sie war sechs Wochen zu Haus. Krankenschwester bei Jakob, dem Dreizehnjährigen: Pfeiffer’sches Drüsenfieber. Der Vater übernimmt den Laden. War von Anfang an so. Paul, der Älteste, ist 24, Tochter Marie 21. Die Kinder kamen früh. Paul studiert Bühnenarchitektur auf der „Bildenden“, Marie Kostümbild auf der „Angewandten“, beide den Beruf der Mutter. „Renate hatte immer ihre eigenen Projekte. Anfangs haben wir nicht zusammengearbeitet, damit es sich zeitlich ausgeht.“ Jetzt aber. Seinen Film Casanova Variations haben Martin & Co Andreas Donhauser ausgestattet. Die Kurzformel zur Premiere am 19. Jänner im Gartenbaukino: Mozart meets Malkovich meets Casanova. Hollywoods Charakterstar John Malkovich als alternd schwächelnd wütend sich zu letzten Charmeoffensiven aufraffender Verführer. Das Musiktheaterstück The Giacomo Variations 2011 im Ronacher weitergetrieben. Zu einem traumhaft irrlichterndem, hochästhetischem Hybrid verschmolzen, in dem Zeitebenen, Szenarien, Figuren, selbst verschiedene Genres verschwimmen. Malkovich: „Schauspieler müssen wiederholen. Ich hab nie zwei Mal das Gleiche tun können. Ich brauche Variationen.“ Schnitt: „Ich fordere Variationen. Ich bin Signore Giacomo Casanova.“ Denn. Da ist sein Schloss in Böhmen, der Besuch einer früheren Geliebten, die seine Memoiren ergaunern will. Elisa von Recke, eine Aufdecker-Journalistin des 18. Jahrhunderts. Elisa, gespielt von Veronica Ferres, hat schon den dubiosen Lebenskünstler Cagliostro durch ein Buch ruiniert. Signore Giacomo fürchtet sie, sucht ihre Nähe, spiegelt dennoch sein Leben durch sie – als Mann, als Narziss, als Experte für Wollust, Triebtäter & Trophäe zugleich. Elisa: „Wie machst du das? Du liebst tief und aufrichtig. Dann drehst du dich um und vergisst. Und liebst wieder tief und aufrichtig, bis du dich umdrehst ...“ Schnitt.

- Michael Sturminger

Die Geschichte geht in der Oper von Lissabon heutig weiter. Wo sich endlich noch Malkovich, der große Star, in einer Art Doku rund um die Oper selbst interpretiert. Der betörende Klebstoff ist die Musik aus Da Pontes Mozart-Trias über die Fragwürdigkeiten der Liebe, Figaro, Don Giovanni, Cosí fan tutte. Mit Superstars, die wie Malkovich nahezu geschenkt mitgespielt haben, weil sie Ungewöhnliches fasziniert: Tenor Jonas Kaufmann, der im Terzett den Bariton gibt, die hinreißende Blonde Miah Persson und ... Sie singen live. Gab es so noch nie in einem Film. Ein Luxusprojekt. Aller Anfang lag in Hollywood. 2008. Martin Haselböck war der Aufreißer. „Bei einem Dinner stritt er mit seinem Tischnachbarn Malkovich den ganzen Abend über Politik. Um ihn, endlich versöhnt, gleich zu fragen, ob man nicht ein Projekt miteinander machen wolle“, schildert Sturminger: „Ich hätte den Mund nicht zu solcher Frage aufgebracht.“ Nun, es ging hin und her. Bis John Leakes Roman über Jack Unterweger als denkbares Sujet für Malkovich erschien. Sturminger schrieb es als Libretto für ein Musiktheaterstück. Flog vor sieben Jahren zwischen zwei Operninszenierungen für 12 Stunden nach L.A. – und war fassungslos: Malkovich hatte sich seinen Text Wort für Wort abgeschrieben, minimalst Worte verändert, eine Passage ein bisschen nach vorn gezogen. Und. Zeigte sich sehr besorgt, ob Sturminger damit einverstanden sei. Respekt. Das Stück funktionierte ... Das Weitere ist bekannt. Die ermordeten Huren sangen Barockes und John als Jack schnürte ihnen den Hals mit ihren BHs zu: The infernal Comedy feierte mit Pomp im Ronacher Premiere und ging auf Tournee um Welt. So geschah’s auch mit The Giacomo Variations. Bis sich der renommierte portugiesische Produzent Paulo Branco in den Kopf setzte, das Stück verfilmt zu sehen. Also. Nicht nur die Vertrauen wieder eng zusammengeschweißt. Veronica Ferres, von Malkovich gebracht „als Kumpel zum Pferdestehlen“ entdeckt.

Florian Boesch, eine alte Liebe seit 2005, glücklichst integriert: „In Klagenfurt haben wir Mozarts Cosí fan tutte geprobt und in der Küche unserer Wohnung das (Mozart-Jahr-)Konzept für I hate Mozart entworfen. Drei erfolgreiche Aufführungen gab’s im Theater an der Wien. Danach nichts mehr. Kleiner Katzenjammer: „Immer, wenn ich glaub, ich hab was Besonderes zustand gebracht, folgert nichts daraus. Ich sitz immer zwischen allen Stühlen. Klar, in Wien sowieso. Dort, wo man herkommt, zählt man nichts. Und wichtig machen kann ich mich nicht.“ Der Daddy sagt es seinen Kindern: „Man muss sich immer selber umschauen, seine Welt selber bauen und erfinden. Wo was geht, wer was brauchen könnte. I need variations, meint Malkovich. Mir geht es ähnlich. Täglich woanders. Obwohl.“ Der 52-Jährige lacht: „Don Giovanni an der Pariser Oper würde ich schon gerne auch noch inszenieren.“ Nun, sein Film läuft ab 23. in den Kinos. Klar. Lampenfieber, wie er ankommt. Kurzer Wunsch, wer anderer woanders zu sein. Trotzdem schnurrt der Intendant der Perchtoldsdorfer Sommerspiele, wenn er erzählt, dass er diesen Sommer selbst inszenieren wird: Shakespeares Altersstück „Der Sturm“, Andreas Patton spielt den Prospero. Oder. Wenn er von Cecilia Bartoli schwärmt: „Ein unfassbarer Profi.“ Zwei Jahre ist er mit ihr für zwei Dokumentarfilme durch Europa gereist. Auf den Spuren der ersten veritablen Operndiva Maria Malibran. Und über sie selbst bei einem Konzert in Barcelona. Lächelt, fast verliebt: „Hab so tolle Sachen mit ihr gedreht und dann archiviert, aber versteh ihre Skrupel: „So lange meine Eltern leben, kann man das nicht im Film zeigen. Man ist verantwortlich für das, was man erzählt. Auch Casanovas Memoiren erschienen erst 25 Jahre nach seinem Tod.“ Respekt. Liebe. Neugier. Offenheit. Bleiben die häufigst gesagten Wörter in drei Stunden. Abfällige fallen kaum. Ein Roman über die Stabilität in Beziehungen. Über Vertrauen, Fantasie, Weite des Denkens, Großzügigkeit. Mit gar nicht so vielen Hauptfiguren. Sturminger arbeitet am liebsten mit denselben Menschen. Du schwimmst mit ihm in einer Aura von Geborgenheit. Geglückte Vernetzungen beglücken ihn. Ja, Geschichten aus dem Wienerwald. Am 8. März im Theater an der Wien. David Pountneys Bregenzer Produktion. Entstanden durch sein Beharren, HK „Nali“ Gruber nach dem ersten gemeinsamen Wurf Der Herr Nordwind, einem nicht besonders bühnentauglichen Artmann-Text, Horváths abgründig bittersüßen Wiener Hit nachdrücklich schmackhaft zu machen. Umso mehr als Horváth „Musik von Weill“ auf sein Manuskript geschrieben hatte. Die Uraufführung war ein Erfolg, und: „Barrie Kosky will sie 2016 in Berlin als Eigenproduktion herausbringen. Es scheint zu funktionieren. Das Schönste, was passieren kann.“ Als Vierjährigen hat ihn seine Tante in die Oper und ins Theater geschleppt. Eva Sturminger, Kostümbildnerin. Er sieht Attila Hörbiger als Nathan der Weise in dem schönen Gewand, das sie ihm aus einem jüdischen Gebetsschal gemacht hat, vor sich. Ja, die Tante hat er geliebt. Zufall, dass er eine Bühnenarchitektin geheiratet hat? Allerdings im U4 aufgegabelt. Und natürlich kein Gedanke mehr an die Operntexte von Zauberflöte bis Fidelio, die er als Kind auswendig konnte. Erst bei der Inszenierung von Mozarts Entführung – da war er 30 – fiel ihm der komplette Text wieder ein. Doch. Mit 16 hatte er Schluss gemacht mit der Oper: „Bitte zusperren“ gewütet nach einer Staatsopern-Salome: „Statt der Diva simulierte die Primaballerina den Schleiertanz, und auch keiner der anderen Anachronismen hat mir etwas über mein Leben erzählt. Mit 14 war ich natürlich Rockstar! An der Gitarre und dem Bass.“ Klar, auch mit klassischen Klavierstunden. „Aber um Musiker zu werden, viel zu wenig diszipliniert.“

Die Klaviere standen im Salon der Großmama mütterlicherseits. Relikte einer seltsam dunklen Geschichte: Die Großeltern, getaufte Juden, besaßen eine Pelzfirma, J. Z Schütz. Wohlhabend aber lang nicht so reich wie die Ephrussis, so dass niemand wusste: reiche Juden. Ihre Arierausweise lagen die ganze Nazizeit über ,in Bearbeitung“ in einer Schublade: „Da ist wohl viel Geld geflossen, doch gesprochen wurde nie darüber. Auch in der Familie nicht. Nur über Musik, Kunst, Literatur.“ Darin traf sich seine Mutter mit seinem Vater, Unternehmer mit kleiner Handelsfirma, „um Geld zu verdienen. Hauptsächlich schien er jedoch Präsident von Jeunesse Musicale und Konzerthaus zu sein. Als die beiden Söhne – mein Bruder ist Ausstellungsarchitekt – dann aber künstlerische Berufe wählten, war die Verwunderung interessanterweise groß.“ Geld? „Na, hab ich keines. Doch wir leben so wunderschön in einem Hinterhof im 12. Bezirk.“ Ja? „In einem Wohnschlösschen von Hellmer & Fellner und wir stecken unser ganzes Geld in die Miete, aber welches Idyll. Eine überdachte Terrasse, Gärten dahinter, ein Igel kommt gekrochen, ein Buntspecht pickt ... Meine Frau und ich? Wir teilen das Projekt, drei Kinder miteinander zu haben, und arbeiten rund um die Uhr an der familiären und künstlerischen Innenwelt. Sie hat Spielfilme von Ulrich Seidl, Michael Glawogger, Florian Flicker ausgestattet. Ist sehr ruhig, sehr zurückhaltend, aber genauso detailverrückt wie ich. Renate Zwilling, ich Steinbock, beide Fisch im Aszendent. Ihr Co Andreas Donhauser ist ein großer Astrologe. Weiß immer, warum gut ist, was passiert. Selbst bei der grauenvollsten Konstellation. Ich betreibe Astrologie so nicht, und bin auch nicht wahnsinnig religiös, aber wenn ich einen Priester brauche, dann Andreas. Ich bin vielleicht leichtsinniger und leichtlebiger, Renate vorsichtiger, bissl vernünftiger als ich. Doch. „Ganz leicht war’s oft nicht. Da beide unabhängig sein, beide ein eigenes Leben haben wollen, einander das einräumen, kämpft man schon, wie weit das gehen kann ... Manchmal war’s doch so, dass wir uns nur die Türe in die Hand gegeben haben.

Da braucht’s Grundvertrauen. Und keinerlei Neigung zu Eifersucht, zu Hysterie. Das geht nur, wenn man eine große Liebe und einen großen Respekt hat.“ Darin wurzeln Träume von Kontinuität. „Ich fang immer bei null an. Routine hab ich selten erlebt. Dafür das Privileg, die Stühle auszusuchen, auf denen man sitzen möchte.“ 2017 stellt er sie unter die große Orgel von Martin Haselböck. „Call me God“ nach dem berüchtigten Sager von Idi Amin, verwebt für John Malkovich die großer Diktatoren von Napoleon bis Gadaffi: Wie sie sich präsentieren, stilisieren, auch Marken begründen. Sidestep: „Was heute ja ganz bewusst gemacht wird, wo’s ums Berühmtsein geht, losgelöst von jeglichem Talent.“ Sturminger lacht: Tja, die Kleiderordnung. John hat ja auch eine Modelinie. In den Wartezeiten bei den großen Hollywoodfilmen sitzt er in seinem Wohnwagen und zeichnet Mode. Versucht uns alle zu stylen. Gelegentlich schickt er Kisten mit coolem Gwand ...“ Im Sinne überholter Männerklischees wird Sturminger sich nimmer neu erfinden. „Nur einmal, bei einem ostdeutschen Chor, der mich nicht ernstnahm, weil ich damals jung war und noch jünger ausgeschaut hab, wie der Assi, nicht wie der Regisseur, hab ich beschlossen: Ich werde schreien müssen! War aber sehr aufgeregt bei dieser Selbstinszenierung: So kam das Schreien total authentisch rüber.“

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