Hygge: Das dänische Geheimnis für mehr Gemütlichkeit zu Hause
Jetzt werden Wohnungen zu Wohlfühlinseln. Mit Kuscheldecken, Wollteppichen, knisterndem Holz im Kamin und viel Licht. Hyggelig eben.
Karin Lehner
Auch Gerüche sind eng mit Emotionen verknüpft. Sie aktivieren Erinnerungen und beeinflussen unmittelbar das Wohlbefinden, zum Beispiel in Form von Duftkerzen und Diffusern mit natürlichen Aromen. „Für eine Wohlfühlstimmung eignen sich warme Noten wie Sandel- und Zedernholz, Vanille oder Tonkabohne“, erklärt Meindl-Cavar.
„Auch erdige Kräuter wie Rosmarin und Salbei verströmen Ruhe und Geborgenheit.“ Im Winter dürfen ruhig intensivere Nuancen gewählt werden, zum Beispiel die Kombination aus Holz, Gewürz und einer süßen Note. „Wichtig ist, dass der Duft dezent bleibt und sich natürlich in den Raum einfügt, anstatt aufdringlich zu wirken.“
Schließlich haben die hyggeligen Dänen eine feine (Trend-)Nase.
Lampen auf dem Fensterbrett zur Erhellung der abendlichen Dunkelheit, flackernde Kerzen auf dem Beistelltisch, die Kuscheldecke auf dem Fernsehsessel und das wärmende Flammenspiel im Kaminofen.
Dänen wissen, wie Gemütlichkeit in den eigenen vier Wänden geht, wenn die Außenwelt im (Wetter-)Chaos versinkt und mit Regen, Schnee, eisigem Nordwind sowie schlechten Nachrichten die kalte Schulter zeigt. Sie sind die Erfinder eines Lebensstils nach dem Motto Hygge. Übersetzt bedeutet das Behaglichkeit, Heimeligkeit und Wohlbefinden.
Mit einer heißen Tasse Tee in der Hand und in die Kuscheldecke gehüllt, werden Sturm, Eis und Kälte hyggelig überstanden.
©JyskDie Sehnsucht nach warmem Licht, dekorativen Vasen mit Zweigen oder getrockneten Blüten und natürlichen Materialien schwappte längst auch nach Österreich. Schließlich verbringen 98 Prozent die entspanntesten Momente zu Hause. 61 Prozent schaffen sich einen fixen Rückzugsort, oft im Wohnzimmer. Und für 91 Prozent ist die Couch der wichtigste Platz zum Abschalten.
So die Ergebnisse einer aktuellen MARKET-Studie in puncto Hygge-Boom in Rot-Weiß-Rot, beauftragt durch das nach der dänischen Halbinsel Jütland benannte Möbelhaus JYSK.
Gekommen, um zu bleiben
Im World Happiness Report 2025 findet sich Dänemark auf Platz zwei hinter Finnland. Zuvor hielt das Land jahrelang Platz eins. Das hat mit dem Vertrauen in die Regierung, einem guten Gesundheitssystem und dem mittlerweile weltberühmten Lifestyle zu tun.
Letzterer umfasst skandinavisches Design (für ein schönes Heim), Gemeinschaft (alle mögen sich) und Gelassenheit, also bei miesem Wetter nicht mehr vor die Türe zu müssen, weil es innen so einladend ist. Hygge ist die gemütliche Schwester des Scandi-Styles und gekommen, um zu bleiben.
Immer mehr Österreicher machen sich den nordischen Stil zu eigen und interpretieren ihn auf Österreichisch, beispielsweise mit Pölstern und Decken mit Hirschmotiven. Dabei haben beim behaglichen Wohnen ausgerechnet unsere Lieblingsnachbarn die Nase vorn. „The German gemutlichkeit“ war sogar Amerikanern ein Begriff und wurde im Feuilleton der New York Times gefeiert.
Erst der Siegeszug von Hygge stieß die d(eutsch-)englische Wortkreation vom Thron. Auch andere Völker kleiden ihr Wohlgefühl mittlerweile in schöne Worte. Waliser streben nach „hwyl“ (spricht huu-il.), Schotten nach „coorie“, Iren nach „craic“, Japaner nach „ikigai“, die Inuit nach „iktsuarpok“ und Schweden nach „lagom“. Frei übersetzt steht das alles für Ausgeglichenheit, Wärme, Entschleunigung und Balance.
„Weniger Perfektion, mehr Gefühl“
Für Yvonne Meindl-Cavar, Geschäftsführerin von Meindl Cavar Concepts, zieht der Hygge-Boom in der tristen Jahreszeit so verlässlich ein wie der Wiener Winternebel. Auch sie bestätigt: „In der dunklen Jahreszeit suchen wir intuitiv nach Geborgenheit und Ruhe. Wenn draußen Kälte, Hektik und graues Licht dominieren, wird das Zuhause zum emotionalen Rückzugsort und zur Energietankstelle.“
Wobei für die Innenarchitektin Hygge mehr Stil denn Haltung bedeutet. „Ein bewusster Gegenentwurf zur ständigen Reizüberflutung. Hier werden die eigenen vier Wände so gestaltet, dass sie Sicherheit und Vertrautheit vermitteln.“
Die perfekte Inszenierung gelingt mit dem Mix aus Tradition und Moderne. „Etwa klassische Wollstoffe in Kombination mit klaren Linien, oder Vintage-Objekte, die mit modernen Leuchten kombiniert werden.“
Gemütlich: Vasen für Deko-Zweige (11,50 €) und Teelichthalter (à 3 €) von JYSK
©JyskDieses Jahr zeigt sich der Hygge-Boom zudem besonders authentisch. Materialien dürfen wieder sichtbare (Gebrauchs-)Spuren tragen.
So hat zum Beispiel Holz Astlöcher, und bei Keramik sind kleine Unregelmäßigkeiten sogar erwünscht, da sie die Herstellung von Hand bezeugen. Auch Textilien müssen nicht mehr in Perfektion glänzen, Woll-Fussel machen sie lebendig.
Meindl-Cavar ist ein Fan des „soften Minimalismus“ nach dem Motto „weniger Perfektion, mehr Gefühl“.
Statt vieler Dekorationsobjekte, die Bewohner sowie den Raum erdrücken, lieber ausgewählte Lieblingsstücke präsentieren, die spannende Geschichten erzählen und positive Emotionen wecken.
Goldlöckchen-Gemütlichkeit
Im Zentrum des Lebensgefühls der Marke Hygge steht eine angenehme Haptik. „Es geht um Materialien, die man spüren und erleben möchte“, weiß die Innenarchitektin aus der Praxis. Ideal zum Darüberstreichen und Hineinkuscheln sind Wolle, Bouclé und Baumwollsamt. „Sie alle fühlen sich weich an, wirken wärmend und bringen Struktur in den Raum.“
Besonders gefragt sind aktuell auch Mischungen, zum Beispiel von Leinen und Wolle. „Sie sind nicht nur optisch spannend, sondern wirken auch klimaregulierend.“ Teppiche aus Naturfasern wie Jute oder Schurwolle sorgen für warme Füße sowie die nötige Erdung.
In puncto Farbe hat sich das hyggelige Spektrum weiterentwickelt. Dominierten früher vor allem helle Naturtöne, punkten heute tiefere, erdigere Nuancen.
Warme Sandfarben sowie Ton-in-Ton-Abstufungen von Greige über Taupe bis zu gedeckten Rottönen wie Terrakotta oder Rost symbolisieren Geborgenheit. „Auch dunklere Töne wie Moosgrün oder ein tiefes Nachtblau wirken einladend“, erklärt Meindl-Cavar. „Sie hüllen Räume ein und erzeugen Intimität.“
Essenziell sei jedoch ihre Kombination. „Mit matten, pudrigen Tönen verbinden und starke Kontraste vermeiden.“
Das nordische Farbkonzept beruht auf dem sogenannten Goldlöckchen-Prinzip aus dem Märchen „Goldlöckchen und die drei Bären“. Im Buch und in den eigenen vier Wänden ist das richtige Maß gefragt. Nicht zu viel, nicht zu wenig, sondern genau richtig. Für ein räumliches Gleichgewicht sollten die Nuancen fließend von einem Raum in den nächsten übergehen.
Holz, Vanille & Tonkabohne
Licht ist die Seele eines hyggeligen Zuhauses. Es sollte warm, variabel und idealerweise in mehreren Ebenen geplant sein. Steh- und Tischlampen, Wandleuchten und Kerzen schaffen laut der Innenarchitektin „unterschiedliche Lichtinseln, die gemeinsam ein stimmungsvolles Gesamtbild ergeben“.
Besonders beliebt sind derzeit Leuchten mit textilen Schirmen oder aus Milchglas, die das Licht sanft streuen. Dimmbare LED-Leuchten im warm-weißem Spektrum (2.700 Kelvin) passen sich wiederum den Licht-Verhältnissen im Tagesverlauf an. „Doch nichts geht über echtes Kerzenlicht. Es bringt Leben, Bewegung und Wärme in den Raum.“
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