Unter dem T-Shirt keine Unterwäsche zu tragen, also „braless“ zu gehen, ist jedenfalls nicht erst seit Corona ein Thema. Promis wie Rihanna, Lena Dunham oder Miley Cyrus ließen den BH in den vergangenen Jahren bei öffentlichen Auftritten häufig bewusst zu Hause und wurden zu den Aushängeschildern des NoBra-Trends. Verbunden mit diesem ist der bare Busen zum Symbol eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins geworden; in dem Sinne, dass Frauen immer weniger bereit sind, ihren Körper in eine vorgegebene unbequeme Form zu pressen.
Trendwende
Eine Entwicklung, die auch Astrid Bleier, Medienwissenschafterin und Chefin des Unterwäschegeschäfts amour fou in Wien, seit einigen Jahren beobachtet. Dass diese das Ende des Büstenhalters einläutet, glaubt Bleier nicht, jedenfalls gebe es im Wäschebereich aber eine Trendwende: „Lange Zeit sollte Wäsche hauptsächlich schön für den Mann sein. Heute kaufen Frauen diese aber vor allem für sich selbst“, sagt Bleier. Auch sie habe früher unbequeme BHs getragen, die „ich mir sofort runtergerissen habe, wenn ich nach Hause gekommen bin. Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, dass es BHs gibt, die schön und bequem sind.“ Ausschließlich solche verkauft Bleier heute in ihrem Geschäft, alle fair und nachhaltig produziert. Bleier verkauft außerdem nur Labels, die von Frauen geführt werden, die sie selbst kennt: „Früher standen ältere Männer bei Unterwäscheherstellern an der Spitze, die glaubten zu wissen, was Frauen wollen – nämlich das, was Männer anturnt“, sagt Bleier. „Das wollen sich Frauen nicht mehr gefallen lassen.“
Angesichts dieses Zeitgeists ist es wenig verwunderlich, dass der Dessous-Hersteller Victoria’s Secret – einst für seine üppigen Push-ups gefeiert – mittlerweile tief in den roten Zahlen steckt. Hoch im Kurs stehen hingegen bügellose Bralettes, die Brüste in ihrer natürlichen Form halten.
Dass ein solches Modell oder gänzlich auf den BH zu verzichten nicht für jede Frau in Frage kommt, weiß der Plastische Chirurg Wolfgang Rohrbacher mit Ordination in Wien und Niederösterreich. Frauen, die zu ihm kommen, tragen in der Regel BHs – gerne auch Push-ups – und wollen das auch weiterhin tun. Das hat nicht nur optische Gründe: „Gerade für Frauen, die eine sehr schwere Brust haben, kann ein BH eine Stütze sein, um das Gewebe zu entlasten und der Schwerkraft entgegenzuwirken“, sagt der Arzt. Auch nach einer Schwangerschaft sei der BH oft das geeignete Hilfsmittel der Wahl, um einen Formverlust auszugleichen. Ungesund sei das Tragen jedenfalls nicht.
Die in der amerikanischen Harper’s Bazaar aufgeworfene Frage: „Werden wir überhaupt je wieder einen BH tragen?“ lässt sich also in etwa folgendermaßen beantworten: Ja, 2020 vermutlich aber seltener.
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