„Corona-bedingt“, „in Zeiten der Pandemie“, „zweite Welle“: Haben Sie sich an diesen Floskeln auch sattgehört? Nach einem halben Jahr SARS-CoV-2 und medialer Dauer-Berichterstattung hat das Virus endgültig unsere Sprache durchdrungen, neue Begriffe kreiert (Corona-Party) und alte in einen neuen Kontext gestellt (Babyelefant). Ständig kommen neue dazu (Contact Tracing), während andere aus heutiger Sicht nur noch eine nostalgische Reminiszenz an frühe Lockdown-Tage darstellen (Hamsterkauf). Auch in der kürzlich um 3.000 Wörter erweiterten Auflage des Duden schlug sich die Pandemie nieder, mit Neuzugängen wie „Covid-19“, „Reproduktionszahl“ oder „Atemschutzmaske“.
Rudolf Muhr von der Gesellschaft für Österreichisches Deutsch (GSÖD) rechnet damit, dass das C-Wort auch die Wahl zum österreichischen Wort des Jahres 2020 dominieren wird: Zum 21. Mal organisiert der Grazer den Bewerb, der zur Sensibilisierung des Sprachgebrauchs beitragen und brisante gesellschaftspolitische Ereignisse des vergangenen Jahres widerspiegeln soll. Aktuell läuft die Nominierungsphase, Kandidaten für Wort und Unwort können online von allen Österreichern vorgeschlagen werden, ehe es zur Abstimmung kommt (siehe unten).
Nicht auf den Punkt gebracht
Der Juryvorsitzende möchte keine Beispiele nennen („das wäre Wahlbeeinflussung“), aber seinem Ärger über so manches – von den Regierenden kommunizierte – Corona-Vokabel Luft machen: „Es wurden Anglizismen übernommen, ohne nachzudenken, ob die Leute das überhaupt verstehen“, sagt Muhr zum KURIER, „Beispiel ,Lockdown’: Warum hat man nicht einfach ,Ausgangssperre’ gesagt? Das Gleiche gilt für den ,Babyelefanten’: Das ist ein Sicherheitsabstand. Es gab Dutzende Beispiele, die die Sache nicht auf den Punkt brachten, sondern euphemistisch und umschreibend wirkten“, kritisiert er.
Globale Krisen prägen unseren Sprachgebrauch, weiß die Germanistin Barbara Soukup von der Uni Wien: „Wir brauchen sprachliche Mittel, um neue Lebensumstände auszudrücken.“ Am schnellsten ändert sich der Wortschatz (das Institut für deutsche Sprache listet auf seiner Website alle neuen Corona-Wörter), dann die „Pragmatik“, die kontextbezogenen Sprachhandlungen: „Noch nie habe ich so viele eMails geschrieben und erhalten, in denen in der Schlussformel gute Gesundheit gewünscht wird. Am Höhepunkt der ersten Welle gab’s das auch bei Telefonverabschiedungen – das scheint wieder nachgelassen zu haben, während wir uns in dieser neuen Normalität einrichten“, sagt die Linguistin.
Auch in der Sprachlandschaft im öffentlichen Raum seien die Veränderungen sichtbar – von Hinweisschildern zur Maskenpflicht bis zu Werbekampagnen: „In Wien hat die MA48 einige Mistkübel mit ,Alte Masken g’hörn ’kübelt’ beschriftet. Vor einem Jahr noch hätten wir uns das alles nicht vorstellen können.“
Über die sozialen Medien verbreiten sich Neologismen heute rasanter als ein Virus. Wie lang sie tatsächlich im Wortschatz bleiben, bestimmen die Umstände. „Sprache folgt nur der Logik des Gebrauchs – was nützlich ist und häufig gebraucht wird, bleibt. Wenn sich das ändert, ändert sich auch die Sprache wieder. Kaum jemand weiß heutzutage noch, was ein ,Viertelanschluss’ ist“, erklärt Soukup.
Schon öfter haben Krisen Wörter hervorgebracht, die sich im Sprachgebrauch verankert haben, sagt Muhr und nennt einige vergangene „Wörter des Jahres“ – etwa die „Hacklerregelung“ 2003 oder der „Penthousesozialismus“ als Folge des Bawag-Skandals 2006. Könnte sein, dass wir nicht nur mit dem Virus leben lernen müssen – sondern auch mit ein paar neuen Vokabeln.
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