Frische Bärenspuren hat Sebastian Schmid das erste Mal nach zwei Monaten gesehen. Er hatte „Respekt“, aber keine Angst. Dass ihm das 180 Kilo schwere Tier noch gehörig in die Quere kommen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Allein im Yukon Territory
Der 33-jährige Tiroler ließ sich am 12. April 2019 für 139 Tage im kanadischen Yukon Territory aussetzen. Hundert Kilometer entfernt von jeglicher Zivilisation, dafür umgeben von unberührter Natur – und wilden Tieren. Das Gebiet beheimatet Bären, Elche, Otter, Adler und Eichhörnchen – bei Temperaturen von bis zu minus 30 Grad.
Wozu das alles?
„Ich musste mich nicht selbst finden und mir auch nichts beweisen“, sagt Schmid. Er wollte wissen, wie es sich anfühlt, Teil der Natur zu sein und auch, wie es ihm geht, wenn er so lange alleine ist – ohne Notruftaste.
Vorbereitung in Skandinavien
Dafür bereitete sich der Physiotherapeut neben Arbeit und Studium vier Jahre lang vor. Er reiste vier Mal in die bärenreichen Regionen in Skandinavien und lernte Bogenschießen. Neben Messern und Angel waren also auch Pfeil und Bogen sowie zwei Paar Schuhe, ein Baum- sowie Bodenzelt und ein paar Säcke Reis im Gepäck. Sie sollten ihm die tägliche Nahrungszufuhr von 1.000 Kalorien sichern.
Es kam anders
Bereits nach wenigen Wochen hatte Schmid mit Schwindel und zu niedrigem Energiehaushalt zu kämpfen. Der Tiroler verlor insgesamt 30 Kilo. Das Problem: Die Tagesration war falsch bemessen. Die Waage, die er sich noch in Yukon gekauft hatte, war falsch kalibriert. Über Wochen hinweg nahm er statt 1.000 Kalorien (300 Gramm Reis) lediglich 600 Kalorien zu sich.
Das Resultat: Schwindel bei jeder Bewegung, Eisen- und Proteinmangel. „Neben dem Gewichtsverlust hat sich bis Ende Juni ein kleiner Wasserbauch gebildet“, erzählt Schmid. Er begann mehr Tierfleisch zu essen und vor allem Eichhörnchen zu schießen. „Der Eisenmangel wurde geringer, als ich die Organe der Eichhörnchen mitgegessen habe, denn da war Blut drin.“
"Zu langes Minusmanagement"
Ganz davon erholen konnte er sich aber nicht: „Das Problem war ein zu langes Minusmanagement.“ Holzhacken und -sammeln, Baumstämme ziehen für ein Floß und Erkundungstouren von insgesamt 700 Kilometern haben „zu einem täglichen Verbrauch von bis zu 4.000 Kalorien geführt“.
Zu viel Bewegung hat dann im Juni dazu geführt, dass er nicht nur hungrig war, sondern auch depressiv. „Das war das erste Mal in meinem Leben und eine neue Erfahrung, für die ich dankbar bin“, sagt er. Drei Tage hat seine erste Depression gedauert, bis er sich wieder „im Griff hatte“. Die Nachwirkungen zogen sich aber bis zum Schluss und sogar darüber hinaus.
Begegnung mit Bären
Brenzlig wurde es für den Tiroler rund einen Monat vor seiner Abreise. Ein Bär hat einen Teil seiner Vorräte gefunden und gefressen. Dabei hat er aggressiv geatmet und starken Speichelfluss (ein Zeichen von Stress) gezeigt. Schmid hatte mehrfach Blickkontakt mit dem Tier. „Ich habe mich auf 20 Meter genähert und versucht ihn zu vertreiben.“ Schlussendlich musste sich der Tiroler aber zurückziehen – und zwölf Tagesrationen Reis aufgeben.
Rückkehr mit Verletzung
Ein neuer Plan musste her: Schmid wollte den Fluss entlang bis zur Zivilisation zurückpaddeln. Kurz bevor er sich auf den Weg machen wollte, ist der Buschflieger gelandet. Der Pilot hat ihn besucht und den Tiroler überredet, sein Lager zwölf Tage früher als geplant zu verlassen.
Am 24. September ist Sebastian Schmid – zur großen Erleichterung von Familie und Freunden – in München gelandet. Doch erst Mitte Dezember hatte er wieder Freude daran, sich zu bewegen. „Davor war ich zu schwach.“
Der 33-Jährige ist mit einem kaputten Knie (Meniskus und Kreuzband gerissen) und einem Parasiten im Darm zurückgekehrt. Die Behandlung hat mehrere Wochen in Anspruch genommen und ihn bereits während seines Trips stark eingeschränkt. „Ich wollte auf den Knien Holzhacken, weil mir durch den Nahrungsmangel so schwindlig war. Beim Niederknien habe ich mir das Knie verdreht.“
Er musste sich bereits in der Wildnis schonen. Doch das hatte Konsequenzen: „Durch die wenige Bewegung hat der erste Kopfkrieg begonnen. Es hat circa zwei Stunden gedauert, bis ich mich beruhigt habe.“ Er konnte seine Gedanken nicht ordnen, war schlecht drauf. Schmid: „Das kenne ich von mir nicht.“
Härteste Hürde
Wie im Alltag, war auch während seines Trips „nicht immer alles wunderschön“. Es waren Momente und später auch ganze Tage dabei, die ihm nicht „leicht von der Hand gegangen sind“. Konstante Kälte (im Frühjahr und Herbst bis zu minus 30 Grad) und Nässe (starke Regenfälle im Juli) waren „zäh, aber Einsamkeit war die größte Hürde“.
Trotz aller Widrigkeiten, möchte er die Erfahrung nicht missen: „Der Trip war sehr gut, aber ein Leben lang brauche ich es nicht.“ Das Zitat „Glück ist nur wahrhaftig, wenn man es teilt“ unterschreibt er trotzdem nicht: „Momente können auch allein vollkommen sein.“
Wien, 15. April 2020, Sofiensäle, Marxergasse 17, 1030 Wien
Kufstein, 16. April 2020, Stadtsaal, Georg Pirmoserstraße 8
Innsbruck, 23. April 2020, Metropol Kino, Innstraße 5
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