Am 9. September 2020 ist Shere Hite im Alter von 77 gestorben.
"Hohelied auf die Masturbation"
Die Frau war eine Pionierin der feministischen Sexualforschung: 1976 schuf sie mit ihrem „Hite Report“ (deutscher Untertitel: „Das sexuelle Erleben der Frau“) einen revolutionären Blick auf die weibliche Sexualität. Der Report basierte auf 100.000 Fragebögen mit je 57 Fragen, die von mehr als 3.000 Frauen beantwortet wurden. Ein Weltbestseller, der mehr als 50 Millionen Mal verkauft wurde und dem der Spiegel eine Story mit dem Titel „Ein Hohelied auf Masturbation und Zärtlichkeit“ widmete. Nicht ohne Ironie, denn Hites Werk wurde vielfach verrissen und skandalisiert, Forscher warfen Hite „methodische Mängel“ vor und sprachen gar von „soziologischer Science-Fiction“, Männer fühlten sich von ihr angegriffen, sie bekam sogar Morddrohungen. Das änderte nichts an ihrem Erfolg. Aus Gründen. Shere Hite haben wir zu verdanken, dass die weibliche Sexualität endlich als etwas Eigenständiges, Lebendiges und Komplexes betrachtet wurde – losgelöst vom sexuellen Tun und Erleben des Mannes.
„Die Frauen selbst sind nie gefragt worden, wie sie über Sexualität denken, was sie dabei empfinden“, schrieb Hite im Vorwort ihres Reports. Dabei räumte sie mit zentralen Orgasmus-Mythen auf, etwa mit dem des „vaginalen Orgasmus“ nach Freud’scher Manier. Und sie legte den Finger auf den „Wunder-Punkt“, die Klitoris. Damit wies sie Frauen einen wichtigen Weg zu erfüllter Sexualität – weg vom reinen „Glück der Penetration“ hin zur Vielfalt. Aber auch zum wahren Epizentrum der Lust – Hite: „Im großen Ganzen stimmen alle diese Untersuchungen darin überein, dass die meisten Frauen nicht automatisch während des Geschlechtsverkehrs einen Orgasmus haben – wenn es beim einfachen Stoßen ohne zusätzliche Stimulierung bleibt.“ Lange genug wurden Frauen wie Männer so sozialisiert, dass sie unter „Sex“ ausschließlich Eindringen mit anschließender Ejakulation verstanden. So hatten Frauen das Vögeln zu lieben, demnach handelten die Männer. Im „Hite Report“ dann viele Coming-outs, etwa: … ich war wirklich stinksauer, dass ich wieder mal keinen Orgasmus hatte, so mit ihm in mir drin, und dann habe ich irgendwie meine Klitoris berührt und ein bisschen gerieben und dann habe ich festgestellt, dass ich – bei Gott – kommen kann.
Eine Passage, die ich in dem Buch besonders mag, sind Antworten auf die Frage „Wie sähe die Sexualität in der besten aller möglichen Welten aus?“: Sex würde bekömmlicher. Ich mit mir, ich mit anderen – viel Wärme, Anteilnahme, Liebe und Berührung in allen Lebenslagen als natürlicher Ausdruck der Gefühle.; Es gäbe öffentlich Jubel über die Freude an der Liebe und am menschlichen Körper.; Und: Die Sexualität würde zu einem integralen Bestandteil des Seins, verschiedenartig individualisiert, ein Teil des Lebens als einer Ganzheit. Danke, Shere!
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