Sex in der Freizeit: Der Kuss als Einstiegsdroge
Aus der Reihe „Akute Sehnsüchte“, diesmal: küssen und geküsst werden.
Damit meine ich eher nicht den Langzeit-Partner, dessen rührende Kusstechnik man selbst im Tiefschlaf in wenigen Worten beschreiben könnte. Es geht ums Fremde, Neue. Jemanden zu küssen, den man kaum kennt, gehört zu jenen Dingen, die ein Freund in folgende Wortschöpfung gießt: „Top-of-leider-geil-Momente.“ Und da steht der „erste Kuss“ weit oben. In Zeiten des Ein-Meter-Abstands zu anderen eine Herausforderung: Sag mir quando, sag mir wann. Sag mir quando, quando, quando – ich dich wieder küssen kann. Immerhin existieren Erinnerungen.
Da ist erstaunlich, dass sich die meisten Menschen ein Leben lang ihres allerersten Kusses entsinnen können, unabhängig von seiner Qualität. In langen Nächten mit Musik, Wein und Freunden kann es vorkommen, dass wir darüber reden und viel lachen. Dann ist von schwammig-nassen Zungenküssen die Rede. Von Lippen, die sich anfühlten wie ein altes Grahamweckerl. Von Dränglern und Zögerlichen sowie Menschen, die im Stile des Komikers Chico Marx herumprobiert haben: Ich habe sie nicht geküsst, ich hab nur in ihren Mund geflüstert. Oder solchen, die ihre Zunge in Presslufthammer-Manier einsetzten, wobei sich auch dazu eine schöne Literaturstelle findet, von F. Scott Fitzgerald, dem Schriftsteller: Der Kuss entstand, als das erste männliche Reptil das erste weibliche Reptil ableckte und ihr damit auf sanfte und anerkennende Weise zu verstehen gab, dass sie ebenso saftig sei wie das kleine Reptil, das er am Tag zuvor zum Abendessen verspeiste.
Explodierendes Herz
Bon Appetit. Aber natürlich gab es auch immer jene, die schwärmten – weil der Erste-Kuss-Moment sich angefühlt hat, als würde das Herz explodieren – herrlich, berauschend und atemberaubend. Ich selbst erinnere mich besonders an die Stunden nach meinem ersten Kuss. Ich dachte, alle Menschen würden mir jetzt ansehen, was gerade passiert ist, speziell meine Mutter. Nix da, die sagte nur: Essen ist fertig, räum dein Zimmer auf. Keiner zeigte mit dem Finger und schrie: Die wurde gerade geküsst!
Der Kuss fungiert dabei als ,Türsteher': Ist das Schmusen gut, lässt man den Typen eher rein, als einen, der in diesem Schlüsselmoment elend performt.
Kuss-Biografie
Ich war erleichtert und enttäuscht zugleich. Eines Tages verschwimmen alle Küsse zu einer Kuss-Biografie, in der nicht mehr klar ist, wer King of Kissing wurde und wozu der Kuss geführt hat (im besten Fall zu exzessivem Sex). Der Kuss fungiert dabei als „Türsteher“: Ist das Schmusen gut, lässt man einen Typen eher rein, als jenen, der in diesem Schlüsselmoment elend performt. Der Kuss ist die Einstiegsdroge. So betrachtet, geht er vor allem Singles gerade sehr ab: das küssende Erobern eines Fremden, das Erschnuppern und Erschmecken, das In-den-anderen-Wollen-und-Drängen, das „Einatmen“ eines „neuen“ Gegenübers. In der Mythologie heißt es, der Atem sei der Sitz der Seele. Demnach könnte Küssen als „Akt des Seelentauschs“ verstanden werden (wer mehr dazu wissen möchte, blättert im Buch „Küsse“ aus dem Verlag Sanssouci).
Doch auch wenn man gerade in Beziehung lebt, geht es um Kuss-Fragen. Zum Beispiel, wie man es schafft, dass jeder Kuss wie ein erster Kuss wirkt. Vielleicht hilft da ein Tipp, den ich wo gelesen habe und der mir für immer in Erinnerung bleibt. Angeblich ist er von Marlon Brando, der für Film-Küsse Katzen studiert hat. Die schaffen es, ihr „Objekt der Begierde“ – z. B. einen Wollknäuel – mit voller Aufmerksamkeit zu fixieren. Wer das mit seinem Wollknäuel, also Partner, schafft, wird besser küssen. Möglicherweise schadet es dabei nicht, sich – insgeheim – vorzustellen, man sei im Film und küsse ... Daniel Craig. Oder, umgekehrt – Monica Bellucci.
Fesselnder Trend? „Shibari“ oder „Kinbaku“ wird aktuell vor allem im englischsprachigen Raum als Bondage-Praktik gehypt – und zwar, seit sie in der Netflix-Serie „Too Hot To Handle“ thematisiert wurde. Diese kunstvolle Art, den Partner mit speziellen Seilen zu binden oder zu fesseln, gilt als besonders ästhetisch und körperbetonend. In Wien werden dafür eigene Kurse angeboten – z. B.: kinbaku.at
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