Schatten über dem Regenbogen: J.K. Rowling und die Genderdebatte
Es ist ein turbulenter "Pride Month" für die LGBTIQ-Community. Wegen der Corona-Bestimmungen konnten die Regenbogenparaden – ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt – nicht wie gewohnt stattfinden, dafür rückte ihr Anliegen anderweitig in den Fokus. Just am Jahrestag des Attentats auf einen Schwulenklub in Orlando 2017 hatte die Trump-Regierung eine Regelung aus der Ära Obama gestrichen, die Transgender-Personen vor Diskriminierung im Gesundheitswesen schützt – man werde zur Interpretation des Wortes "Geschlecht" als "männlich oder weiblich und wie von der Biologie bestimmt" zurückkehren.
Doch mit der Reduktion auf die biologischen Geschlechtsmerkmale ist es heute oft nicht mehr getan: Eine wachsende Gruppe von Menschen hat das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, oder will sich weder als Mann noch als Frau definieren. Verbildlicht wurde dies jüngst von einem Transgender-Pärchen auf Instagram: Er, ein Transmann ohne geschlechtsangleichende Operation, trägt das gemeinsame Kind aus, seine Frau war früher mal ein Mann.
Selbstbestimmt
Was macht eine Frau zur Frau, einen Mann zum Mann? Wie komplex die Beantwortung ist, zeigte ein Tweet der bekennenden Feministin Joanne K. Rowling, der die Genderdebatte erneut anheizte: Mit beißendem Sarkasmus hatte die "Harry-Potter"-Autorin einen Artikel kritisiert, in dem von "Menschen, die menstruieren" statt von Frauen die Rede war (konkret ging es darum, die Rechte von Transfrauen zu stärken).
"Man kann das Geschlecht auf verschiedene Arten definieren", sagt Johannes Wahala, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften und Leiter der Beratungsstellen Courage. "Es geht nicht darum, das biologische Geschlecht zu zerstören. Laut EuGH haben transidente Personen ein Recht darauf, in ihrer selbstbestimmten Geschlechtsidentität anerkannt zu werden."
Nach dem Shitstorm erklärte sich Rowling in einem Essay: Sie unterstütze die LGBTIQ-Community, das biologische Geschlecht sei aber ein Faktum, das sich nicht wegleugnen ließe. Unter anderem argumentierte sie mit Gewaltschutz: "Wenn man die Tür zu Toiletten und Umkleiden für jeden Mann aufreißt, der glaubt, eine Frau zu sein, öffnet man die Tür für alle Männer, die hineinkommen wollen", schrieb sie.
Kein Grund, einer ganzen Gruppe Menschenrechte zu verwehren, konterten Feministinnen. Wahala berichtet, dass es Transfrauen (vom Mann zur Frau) schwieriger hätten: "Da geht es um das Bild von Weiblichkeit in unserer Gesellschaft. Transfrauen leiden öfter unter psychischen Belastungen und sozialer Ausgrenzung, weil sie mehr um Anerkennung kämpfen müssen als Transmänner."
Sichtbarkeit
Transidentitäten gab es immer, zuletzt wurden sie sichtbarer: durch prominente Outings wie das des Ex-Olympioniken und Kardashian-Stiefvaters Bruce Jenner (nunmal Caitlyn), Transgendermodels in Castingshows, Serien-Hits à la "Transparent" oder Stars wie Charlize Theron oder Angelina Jolie, die ihre Kinder im anderen Geschlecht erziehen.
Auch bei Courage wächst der Beratungsbedarf, vor allem bei den 15- bis 19-Jährigen. "Wir haben eine ganze Reihe Kinder und Jugendlicher, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen", berichtet Wahala. In Großbritannien stieg die Zahl der Jugendlichen, die sich zwischen 2009 und 2017 einer Transgender-Behandlung unterzogen, gar von 97 auf 2.519. Die US-Soziologin Lisa Littmann sorgte 2018 für Aufsehen, als sie einen Zusammenhang zwischen Gruppendruck in den sozialen Medien und dem Wunsch nach einem Genderwechsel konstatierte.
Modediagnose?
"Wir haben heute ein offeneres Klima", nennt Wahala einen Grund für den Anstieg von Genderdysphorie. Es gebe aber Fragen, die man stellen müsse, etwa: Ist es Mode geworden, Transgender zu sein? "Ich wünsche keinem, dass er in der Pubertät auch noch eine Transition bewältigen muss", betont der Therapeut. "Es kann sein, dass äußere Einflüsse mitspielen. Daher braucht es Fachleute, die Junge bei der Identitätsfindung begleiten."
LGBTIQ+
Sammelbegriff für alle Personen und Orientierungen, die von der zweigeschlechtlichen und heterosexuellen Norm abweichen (lesbisch, schwul, bi-, trans-, intersexuell, queer usw.)
Transgender
Überbegriff für alle, deren gefühltes Geschlecht nicht mit dem angeborenen übereinstimmt. Die psychologische Diagnose heißt Genderdysphorie und ist unabhängig von der sexuellen Orientierung
Lage in Österreich
Ausgegangen wird von einem "Kontinuum zwischen männlich und weiblich", also einer Vielfalt von Geschlechtspositionen
x/inter/divers
Seit 2018 können intersexuelle Personen (die biologisch nicht eindeutlich männlich oder weiblich sind) das "dritte Geschlecht" eintragen lassen
1.000 Menschen
in Österreich identifizieren sich Schätzungen zufolge nicht mit ihrem angeborenen Geschlecht
Hilfe und Beratung
Zum Beispiel bei den Sexual- und Familienberatungsstellen, fünfmal in Österreich: www.courage-beratung.at
In Österreich reicht eine Experten-Stellungnahme, um Vorname und Personenstand zu ändern. Die Zahl der "Regretter", jene, die die Transition bereuen, sei sehr gering – in der Regel überwiege die Erleichterung, die gefühlte Identität endlich offen leben können. Groß war auch die Freude, als der Oberste Gerichtshof in den USA die Diskriminierung von Homosexuellen und Trans-Menschen diese Woche für rechtswidrig erklärte. Kein Grund zum Fürchten, sagt Wahala: "Die Gesellschaft löst sich nicht auf, weil eine größere Vielfalt sichtbar wird."
Kommentare