#Pleasure is ageless: Reden wir endlich über Sex

Manche Momente erzeugen Sprachlosigkeit, zum Beispiel, wenn dieses Wesen mit Zahnlücke an der Seite ihrer Freundin folgende Frage in den Raum kräht: „Mama, Papa, habt Ihr eigentlich noch Sex miteinander?“ Was darauf antworten? Klar, exzessiv, jeden Tag. Oder: Hm, seit du und dein kleiner Bruder auf der Welt sind, leider auch nicht mehr so viel wie früher. Wie viel Wahrheit darf es also sein – und wie wird diese ehrlich, authentisch, vor allem aber kindgerecht transportiert? Und geht Kinder das elterliche Intimleben überhaupt etwas an?
Jahre später kehrt sich dann sowieso alles um: Die Sexualität der Eltern gerät zum Bäh-Thema: „Too much information“, gerne auch mit dem Kürzel „TMI“ versehen. Ein klares „Stopp!“ also: Nur keine Bilder dazu, bitte, bitte! Dann gerät man schon ins Peinlichkeits-Trudeln, wenn beim gemeinsamen Familien-Heimkino irgendwas mit Schnackseln auf dem Bildschirm auftaucht, wie bereits in dieser Kolumne ausführlich behandelt. Auf einmal räuspert sich der Vater, steht auf und kramt im Keller sehr lange nach einem Bier, während der Rest der Truppe vor sich hintranspiriert und hofft, dass das Zeugs rasch wieder vergeht. Und wieder einmal stellt sich die Frage, wie sehr es angebracht ist, dass Eltern mit ihren (heranwachsenden) Kindern offen über Intimität plauschen. Eine Grenzerfahrung – und ja, dabei gilt es tatsächlich Grenzen auszuloten und zu definieren, zumal Sex ja keinesfalls tabuisiert werden soll. Daher: Wenn reden, dann eher fachlich-sachlich und nicht aus dem eigenen erotischen Nähkästchen, im Stile von: Du, wenn dein Papa nicht daheim ist, hole ich mir mitunter diesen hübschen, pinken Vibrator aus dem Nachtkastl und habe dabei allein Spaß. Oder: Uns macht ja Doggy-Style immer noch so viel Spaß wie früher. Etwas, das Töchter und Söhne fix nicht wissen wollen und nicht sollen. Man will sich die eigenen Eltern nicht als sexuelle Wesen vorstellen – und aus.
Umso spannender scheint mir das Projekt „Let’s start the Conversation“ des erotischen Versandhändlers Amorelie, das zum generationenübergreifenden Gespräch animieren möchte. In den dazu gedrehten Imagefilmen mit dem Hashtag #Pleasure is ageless sind drei Mütter-Töchter-Paare zu sehen, echte Menschen, die vor der Kamera erstmals miteinander über Sex sprechen. Ein Experiment, das auch heikle Fragen beleuchtet: Wie wichtig Masturbation ist, welchen Stellenwert Sex für die eigene Mutter hat oder wie sie einst aufgeklärt wurde. Dabei geht es dann sogar auch um Sexspielzeug im mütterlichen Schlafgemach.
Prinzipiell ist das zu begrüßen, aber nur, wenn dabei behutsam vorgegangen wird, auf dem schmalen Grat zwischen Tabu, Scham und zu großer Offenheit. Man sollte achtsam sein, mit leicht-persönlichem Touch, aber ohne „TMI“-Details. Wesentlich ist jedoch folgende Botschaft: Dass Sexualität wichtig ist, um lebendig zu bleiben, egal, welchen Alters. Denn tatsächlich wird gerade älteren Menschen automatisch der Mythos vermeintlicher Sex- und Spaßlosigkeit umgehängt – so als wäre lustvolles Vögeln ausschließlich mit Jugend, Fitness und Fortpflanzungsfähigkeit verbunden. Die Botschaft muss also lauten, dass sich Sexualität im Laufe der Jahre immer und immer weiterentwickeln kann, sogar muss, und dass selbst Omas und Opas noch unglaubliche Freude dabei empfinden, wenn sie einander küssen, berühren und Liebe machen. Ist das nicht tröstlich und schön? Und natürlich geht’s auch darum, sich zu lösen: von Tabus und Zwängen – und der Unfreiheit weiblicher Lust.
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