Offener Brief: Schüler wollen "einfach nur gehört werden"
Die Situation in der Schule ist für junge Menschen nicht einfach. Besonders diejenigen, die im kommenden Jahr die Matura machen, stellt die Situation vor eine besondere Herausforderung. Schülerinnen und Schüler einer Wiener berufsbildenden höheren Schule haben jetzt einen offenen Brief verfasst, um sich "endlich Gehör zu verschaffen". Adressiert ist er an "Sehr geehrte Damen und Herren! Liebes Österreich!"
Weiter heißt es darin: "Uns ist vollkommen bewusst, dass es momentan größere Probleme auf der Welt gibt als unsere Matura und unser Wohlbefinden, allerdings sind wir der Meinung, dass jeder Sorge von jeder einzelnen Gesellschaftsgruppe Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Wir suchen hier weder nach Mitleid noch nach wesentlichen Erleichterungen unserer Matura. Wir wollen endlich wahrgenommen werden und einen konstanten Informationsfluss sowie durchdachte und angebrachte Maßnahmen erhalten. Da derzeit nichts davon vorhanden ist, nehmen wir nun selbst den Stift in die Hand."
Der neue Schulalltag
Einen Stift haben die Schülerinnen und Schüler derzeit allerdings nur selten in der Hand. "Wir sind zwar sogenannte ,digital natives', aber der virtuelle Unterricht ist nicht unser Idealzustand. Aufzuwachen, nicht zu wissen, welcher Tag ist, und sich vor den Bildschirm zu setzen ist unsere neue Normalität. Koordinationsfähigkeit ist das neue Einmaleins. Wer zwischen der Onlineversion des Buches, der Lernplattform, der Mitschrift der Lehrerkrfat, der eigenen Mitschrift und GeoGebra das Gelernte versteht, ist Rechenkönig. Das Nonplusultra ist es, wenn man es schafft, die virtuelle Hand schnell genug zu heben und mitzuarbeiten - vorausgesetzt, man hat gutes Internet und ist nach der dritten Onlinestunde noch konzentriert genug. Zwischendurch werden die Arbeitsaufträge mit bestmöglich selbsterlerntem Stoff gelöst. Die Bearbeitung geht zeitlich und inhaltlich weit über die Norm hinaus und gleicht demnach eher dem System einer Universität. Das nur, um sich eine Grundlage für die Semesternote zu verschaffen, die in der Neuen Oberstufe, kurz NOST, wichtig ist."
Anregungen angehört
Im Frühling wurden diese Schülerinnen und Schüler von den Pädagogen nach Verbesserungsvorschlägen gefragt. Fazit: "Der Samen unserer Ideen ist auf harten Boden gestoßen, denn offizielle Verordnungen lassen keine Veränderung zu. Die einzig stattgefundene Verbesserung liegt in der Anpassung und dem Engagement von Lehrerkräften und Schülerinnen und Schülern, nicht aber an Veränderungen seitens des Ministeriums. Das Distance-Learning funktioniert mittlerweile besser - ideal ist es aber noch lange nicht. Das wirkliche Ausmaß der Zeit, die der Jugend in der Schule fehlt, dürfte der Öffentlichkeit nicht bewusst sein", stellten die Schüler frustriert fest.
Ein Überblick über die Defizite:
- Im März waren österreichweit Oberstufenschüler der BHS zwei Monate lang im Homeschooling, diesen Herbst fünf Wochen - nicht berücksichtigt sind die Gemeinden, die früher in Quarantäne waren. Einzelne Klassen müssen zusätzlich in Quarantäne. Von 65 Schultagen in diesem Semester waren es in dieser Klasse nur an 23 Tagen Präsenzunterricht.
- Abgesehen von Wissensdefiziten kommen erschwerte Bedingungen hinzu, wie zum Beispiel das Tragen einer Maske während einer dreistündigen Schularbeit. Die Schülerinnen und Schüler mussten dieses Jahr außerordentliche Organisations- und Koordinationsfähigkeiten, technische Fertigkeiten, Durchhaltevermögen, Geduld und Willenskraft beweisen. "Es wäre wünschenswert, dies bei unserem Abschluss angerechnet zu bekommen, anstatt ständig zu hören, dieser wäre weniger wert", meinen die Briefschreiber.
- In der Schule lerne man, wie wichtig Planung und Organisation sind. Deshalb "stellen sich von uns stellen die Frage, was während der Sommermonate geschehen ist?" Eine Möglichkeit wäre es etwa gewesen, Staffelplanungen vorzunehmen.
- Zuletzt wurden Erleichterungen für die Matura erlassen, die aber nur für die AHS einen Vorteil darsellen würden. "Als Schülerinnen und Schüler einer Berufsbildenden Höheren Schule fühlen wir uns im Stich gelassen. Erleichterungen wie die Verschiebung der schriftlichen Matura um zwei Wochen kompensieren keineswegs die Erschwernisse von diesem und letztem Jahr. In 14 Tagen lässt sich schwer der Stoff von 14 Wochen nachholen."
Die jungen Menschen beschreiben ihren Gemütszustand so: "Statt der jugendlichen Euphorie, die normalerweise in unserem Alter verspürt wird, haben wir Angst vor unserer Zukunft. Angst, dass wir im Berufsleben weniger Chancen haben und unsere Bildung als wertlos abgestempelt wird, obwohl die Art, wie wir die Schule abschließen, nie unsere Entscheidung war."
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