Mehr Vielfalt
Mit einer Mischung aus Dialekt und Umgangssprache erzählt Hannes Scheutz, wie die Dokumentation des Dialekt-Wortschatzes funktioniert: "Früher wurden Sprachatlanten mit Hilfe von Fragebüchern erhoben. Dafür wurden "Gewährspersonen" befragt – prototypische Sprecher, die Begriffe so aussprechen, wie sie es immer tun. Das wurde schriftlich in Lautsprache festgehalten. Die Digitalisierung bringt es nun mit sich, dass man das besser konsumierbar gestalten kann." Scheutz begann Begriffe aus dem Alltagswortschatz per Tonaufnahme zu sammeln – anhand von Fragen wie zum Beispiel Wie lautet der ortsübliche Gruß am Abend? Dafür wurden zuletzt je zwei ältere (65+) und zwei jüngere Personen (20–30) interviewt – zunächst an 40 Orten, weitere 100 sollen dazukommen.
Zu Wien sagt Scheutz: "In Städten gibt es keinen einheitlichen Dialekt mehr. Statt einer Grundmundart existiert eine unglaubliche sprachliche Varietäten-Vielfalt." Der Dialekt sei zugunsten einer regional gefärbten Umgangssprache abgebaut, das Urwienerische befinde sich im Rückzug.
Die "Wiener Wanne"
Vom gänzlichen Aussterben mag der Salzburger trotzdem nicht sprechen, weil das Wienerische konstante Eigenheiten hätte. Etwa die "Wiener Wanne" als Beispiel für die typische Sprachmelodie. Die lässt sich anhand eines empörten Oida! schön erklären – ein Wort, das anfangs hoch intoniert wird, absinkt und dann wieder hoch geht. Das funktioniert auch mit Sätzen wie Bist du deppert? oder Bist da siiicher?
Das Wienerische hat übrigens den Westen "erobert": "Im Generationenvergleich zeigt sich, dass sich viele ostösterreichischen Varianten durchgesetzt haben und mittlerweile gang und gäbe sind. Das gab es vor 50 Jahren noch nicht und ist ein gutes Beispiel für verdecktes Prestige." Heißt: Es wird durch Sprache indirekt etwas ausgedrückt, Weltläufigkeit etwa, Modernität, im weitesten Sinne "Norm". Hannes Scheutz nennt ein Beispiel: das Wort "heiß" (und z. B. auch "breit", oder "weiß"). Im Westen wurde es als "hoaß" ausgesprochen, im Osten als "haaß". Längst ist "haaß" auch jenseits von Linz üblich.
Aber nicht nur in Wien sei der traditionelle Dialekt – auf Sicht – dem "Untergang" geweiht, vor allem kleinräumige, lokal gebundene Dialekte im ganzen Land sterben zunehmend aus – und das sogar "rasant". Scheutz ist überzeugt: "Umgangssprache, nicht Standardsprache, wird die Dialekte ersetzen." Veränderte Lebensbedingungen verändern Sprache: "Wobei: Man sagt, Sprache verändert sich, in Wirklichkeit sind es die Sprecher, die sich verändern und mit ihnen ihre zweite Haut, die Sprache und die Sprechweise. Der Sprache selbst ist das völlig wurscht."
Scheutz wird nicht müde zu betonen, wie wichtig Dialekte sind: "Sie sind authentisch, original. Dialekt ist nicht tief oder schlampig, sondern vermittelt Nähe und Identität. Er ist eine Sprache ohne Armee oder Marine, wie ein amerikanischer Linguist einmal gesagt hat. Ihm fehlt lediglich die staatliche Repräsentativität und Normierungsgewalt, aber es ist eine Sprache, die genauso richtig und vollwertig ist und mit der man genauso alles ausdrücken kann wie mit der Standardsprache."
Als Verfechter des Dialekts setzt er sich für sprachliche Artenvielfalt ein: "Damit meine ich eine innere Mehrsprachlichkeit." Kinder sollten Dialekt und Standardsprache, also Hochdeutsch, lernen und beherrschen. Nicht das eine oder andere, sondern beides können. Der Dialektforscher ist sogar überzeugt, dass Kinder, die auch Dialekt können, eine höhere Sprachkompetenz entwickeln.
Anglizismen? Egal!
Das Einsickern von Anglizismen sieht er hingegen gelassen: "Die sind mir ziemlich egal. Sie haben ja letztendlich auch nur mit Prestige zu tun, man verwendet sie, um lässiger, weltgewandter zu erscheinen. Das kann zwar manchmal nerven, für die deutsche Sprache ist das aber völlig unerheblich." Hannes Scheutz zieht dazu Vergleiche zu seiner Kindheit und Jugend heran: "Früher war’s das Französische, meine Mutter hat zum Gehsteig Trottoir gesagt, zum Schirm Parapluie und sie hat das Wasser in ein Lavoir getan."
Jetzt bleibt nur noch die Frage nach dem Lieblingsdialektwort eines Dialektforschers. Hannes Scheutz muss da gar nicht lange nachdenken und lacht: "Pfochtl, ganz klar." Der Begriff bezeichnet die Geschicklichkeit eines Menschen in der Region, in der der Sprachwissenschaftler aufgewachsen ist, nämlich in der Nähe von Bad Ischl. "Wenn einer a pfochtl hat, ist er handwerklich sehr tüchtig. Dem kann man sich anvertrauen."
Info: sprachatlas.at
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