Mit 30 auf Partys plötzlich nicht mehr der Hingucker: Nein, danke!
Henriette Hell lebte ein glückliches Single-Leben – bis sie 30 wurde und plötzlich viele in ihrem Umfeld glaubten, mitreden zu müssen. „Eben warst du noch gemütlich 22, konntest Auslandserfahrungen sammeln und im Job herumexperimentieren“, schreibt sie in ihrem neuen, sehr persönlichen Buch.
„Mit 30 bist du auf Partys plötzlich nicht mehr der Hingucker, sondern ein schwer vermittelbarer Ü-30-Härtefall.“ Mit ihrem Buch will die 35-Jährige eine Debatte darüber anstoßen, wie die vermeintlich ideale Frau aus Sicht der Gesellschaft zu sein hat.
KURIER: „Bridget Jones“ wurde heuer 25 Jahre alt. Hat sich das Bild der Single-Frau über 30 seitdem verändert?
Henriette Hell: Bridget Jones hat ihr Lebensglück davon abhängig gemacht, ob sie es „schafft“, einen adäquaten Mann für eine Beziehung zu finden. Selbstbewusste, moderne Single-Frauen sehen sich nicht erst als vollwertige Frau, wenn sie verheiratet oder Mutter sind. Es dreht sich nicht mehr nur alles um das Erreichen dieses vermeintlichen Happy Ends, sondern um eine Happy Existence. Unser Leben endet ja nicht, wenn wir in einer Beziehung sind. Was, wenn du nach der Hochzeit merkst, dass du in deinem Job unterfordert bist? Das Suchen und Finden geht immer weiter – weil sich unsere Definition von Glück ständig verändert.
Die Gesellschaft sieht das oft anders, wie Sie im Buch beschreiben. Was änderte sich, als Sie 30 wurden?
Irgendwann begannen diese Bewertungen von außen: „Findest du nicht, dass es Zeit wäre, ein seriöses Erwachsenenleben anzustreben? Willst du nicht mal daran denken, deine Eizellen einfrieren zu lassen?“ Ab 30 wirst du als Frau auf deine Fortpflanzung reduziert, es gibt quasi nur noch einen Plot: Du musst zusehen, dass du einen Mann bekommst, Kinder, ein Eigenheim. Sonst bist du ein bemitleidenswerter Sonderling. Mit 37 wäre dann auch mal eine Beförderung ganz nett. Diese toxischen Checklisten haben viele in ihren Köpfen: Ab Alter X muss ich das und das erreicht haben, sonst habe ich versagt. Ich wünsche mir, dass wir Frauen uns nicht mehr dafür rechtfertigen müssen, wer wir sind und wie wir leben. Hört auf, euch Druck zu machen!
Woher kommen denn diese Erwartungen? Wir bekommen von allen Seiten dieses kitschige Happy End aufs Brot geschmiert, das ultimative Endziel, das du erreichen sollst. Selbst Carrie Bradshaw kriegt am Ende Mr. Big. Jennifer Aniston wird trotz ihres Erfolgs immer wieder darauf reduziert, dass sie keinen Mann und kein Baby hat. Die Darstellung von Frauen in den Medien spielt eine große Rolle: Sie müssen „geil“ aussehen und gleichzeitig das perfekte Familienideal verkörpern. Mein Rat an alle wäre, dass sie ihre Begehrlichkeiten auf den Prüfstand stellen: Kommt der Wunsch, zu heiraten oder Karriere zu machen, aus mir selbst oder ist er fremdbestimmt?
Sie waren selbst länger Single. Wie ändert sich Dating, wenn man über 30 ist? Ich habe erlebt, dass Männer einem als Frau Ü30 unterstellen, dass man nur auf der Suche nach einem Erzeuger ist. Bei einigen ist das wirklich so: Sie daten verkrampft wie am Fließband. Andere haben durch das Überangebot an Möglichkeiten verlernt, sich auf jemanden einzulassen. Oft habe ich das Gefühl, viele haben die Freude am Verknallen verloren. Niemand gibt sich mit dem Durchschnitt zufrieden, jeder denkt, er verdient das Allerbeste. Auch bei der Partnersuche. Sobald ein Problemchen auftaucht, sieht man sich nach einem neuen Modell um.
Auf Instagram werden diese „Happy Endings“ – Verlobung, Hochzeit, Babyparty – frenetisch zelebriert. Machen die sozialen Medien alles noch schlimmer?
Das Meiste ist doch eine lächerliche Inszenierung. In der Rushhour des Lebens stehen wir unter dem Druck, ständig aus allem das Beste herausholen zu müssen. Sogar Urlaub wird unter sozialem Zwang gebucht, à la: „Die waren auf Barbados? Dann fliegen wir dieses Jahr nach Hawaii!“ Statt sich zu entspannen, wird die ganze Zeit nach dem perfekten Foto für Instagram gesucht. Doch wir dürfen uns von solchen Oberflächlichkeiten nicht blenden lassen. Die, die in der tollsten Wohnung mit den süßesten Kindern wohnen, hatten vielleicht zwei Jahre keinen Sex mehr. Niemand hat alles.
Sie sind nun mit Ihrem Freund zusammengezogen. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?
Das war eine spontane Entscheidung, von allen Seiten kamen Sätze wie: „Ach wie schön, wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht.“ Das ärgert mich, weil ich in der Zwischenzeit beruflich viel erreicht und meine Träume verwirklicht habe. Trotzdem sind alle am meisten ausgeflippt, als mein Freund zu mir zog. Aber im Ernst: Du bist auch kein schlechterer Mensch, wenn du mit 40 immer noch allein in deinem WG-Zimmer hockst. Hauptsache glücklich.
Buch-Tipp: Henriette Hell, Ihr könnt mich mal so nehmen wie ich bin, Gräfe und Unzer, 14,99 Euro
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