Achleitner hat im Theater unter anderem in „Die letzten Tage der Menschheit“ sein Können gezeigt, er war schon oft im „Tatort“ und anderen Fernsehserien zu sehen, ebenso im Kino, wirklich Angst hatte er nur vor seinem ersten Auftritt vor trauernden Menschen. Auch in Hietzing agiert er heute konzentriert, denn er weiß ganz genau: „Du hast hier nur diese eine Chance, und die darfst du nicht versemmeln.“
Er erzählt vor dem Sarg noch mehr vom Otti, fasst dabei in schöne letzte Worte, was ihm die Witwe und ihre Tochter im Vorgespräch anvertraut haben. Den Otti scheinen alle gemocht zu haben: „Er hat Spuren der Liebe hinterlassen, möge man das von uns auch einmal sagen.“
Die „Spuren der Liebe“ borgt sich Carl Achleitner gerne von Albert Schweitzer aus, dem legendären Arzt, Philosophen und evangelischen Theologen. Sie mögen sich im Alltagsgespräch allzu kitschig anhören, in einem emotionalen Ausnahmezustand treffen sie die Trauernden zielsicher: Jetzt kullert auch der kleinen Enkelin eine erste Träne über ihr Gesicht. Daher sagt der Anti-Trauerredner spontan zu ihr: „Niemand, den man wirklich liebt, ist jemals tot.“
Natürlich ist Carl Achleitner ein guter Schauspieler, er hebt und senkt seine Stimme im genau richtigen Moment, er macht sich mit seiner leicht nach vorne gebeugten Körperhaltung kleiner als er ist, aber er heuchelt nicht, wirkt weder weinerlich noch todtraurig. Er bekundet Respekt vor den Trauernden – und vor den Toten: „Auch wenn ich sie nie kennenlernen durfte, spreche ich über jeden so, als könnte er mich jetzt hören. Es ist mir eine Ehre, an ihn die letzten Worte richten zu dürfen. Dabei möchte ich ihm möglichst gerecht werden.“
Ein Lebensbejaher
Der Otti wäre wohl mit ihm zufrieden gewesen, seine Frau ist es bestimmt. Weil er ein Lebensbejaher ist.
Es mag an dieser Stelle hart klingen, doch es ist schon so: Für den freischaffenden Künstler und Vater von zwei schulpflichtigen Kindern ist die regelmäßige Arbeit nach dem Tod zu einer Art Lebensversicherung für sich und seine Familie geworden. Noch nie in den vergangenen acht Jahren wurde das so klar wie im Jahr eins nach Corona, in dem es so gut wie keine Engagements für die Mehrheit der Schauspieler gibt.
Der Lebensbejaher darf daher von einem Glück im Unglück sprechen, und er gibt auch gerne zu, dass er seine heutige Paraderolle seiner lieben Frau zu verdanken hat: „Sie war es, die mir diese Option nach der Geburt unseres Sohnes vorgeschlagen hat. Ich habe mich zunächst mit Händen und Füßen gewehrt. Warum soll ich auf den Friedhof arbeiten gehen, wo doch das Leben ganz woanders spielt?“ Eine klare Fehleinschätzung, wie Carl Achleitner heute weiß.
"Ich bekomme viel zurück"
Für den Otti fällt jetzt gleich der letzte Vorhang, sein Leichnam soll sodann verbrannt werden, doch für alle anderen Anwesenden geht das Leben weiter. Nach der 45-minütigen Zeremonie treten einige auf den Redner zu, um sich für seine Angemessenheit zu bedanken. Er wird später sagen: „Ich muss auf dem Friedhof einiges von mir geben, bin nach zwei Begräbnissen am Tag wirklich müde, doch ich bekomme von den Leuten viel zurück.“
All die Begegnungen mit dem Leben haben ihn selbst reifen lassen. Dankbar sagt er daher heute: „Ich darf auf den Friedhöfen Sinn für mein eigenes Leben stiften. Und ich kann Menschen nachhaltiger berühren als ich das im Theater oder Film jemals könnte.“
Sagt es, dann steigt er in seinen Wagen und fährt zum nächsten Termin, in Mödling.
Info: Lesen übers Leben
Der Autor
Carl Achleitner wurde 1963 im oö. Grieskirchen geboren. Nach einer Ausbildung zum Koch und Kellner in Linz nahm er Schauspielunterricht in Zürich. Er ist in Theatern in Österreich und Deutschland zu sehen sowie in über 100 Kino- und Fernsehfilmen. Seit 2012 ist er als Trauerredner auf Friedhöfen in Wien und NÖ im Dauereinsatz.
Sein Buch
Carl Achleitner: „Das Geheimnis eines guten Lebens. Erkenntnisse eines Trauerredners“. edition a, 224 Seiten, 22 Euro.
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