Sie sei zwar die Erste, aber sicher nicht die Letzte: Mit diesem Zitat – die 56-jährige Kalifornierin spielte damit auf ihren Status als erste weibliche Vizepräsidentin der USA sowie als erste Woman of Colour in dieser Position an – ging Kamala Harris kurz nach dem Wahlsieg Joe Bidens am Samstag in die Geschichte ein.
Ihre Siegesrede bestätigte, was bereits im Wahlkampf spürbar war: Mit Harris und der designierten First Lady Jill Biden hält ein neuer, moderner Frauentyp Einzug in das Weiße Haus, der im krassen Gegensatz zu dem steht, was die Trump-Frauen in den vergangenen vier Jahren vorgelebt haben.
Und: Harris’ Ehemann Douglas Emhoff verkörpert erstmals den „starken Mann im Hintergrund“, der seiner Frau den Rücken freihält und auf Instagram den stolzen Gatten gibt. Eine Rollenaufteilung, die man eigentlich umgekehrt gewöhnt ist.
Auch die 69-jährige Jill Biden brach bereits mit der traditionellen Rolle der First Lady, indem sie ankündigte, nach der Amtseinführung im Jänner weiterhin ihrem Beruf als Englischprofessorin nachgehen zu wollen.
Ein Novum, weiß die Politikwissenschafterin Birgit Sauer, die auf Politik und Geschlechterrollen spezialisiert ist. „Damit signalisiert sie, dass die Frau an der Seite eines mächtigen Mannes – so ist ja der Part der First Lady gedacht – nicht nur Tische decken und Blumen arrangieren muss, sondern eine selbstständige Frau mit eigenem Beruf sein kann.“
Selbstbewusst, energisch, ambitioniert, authentisch – so präsentierte sich Kamala Harris als weitgehend unbekannte Kandidatin der US-Demokraten während des Wahlkampfs. Statt Edel-Pumps und Etuikleidern absolvierte sie ihre Termine mit Vorliebe in Chucks, Jeans oder Hosenanzügen. Auch für ihren Einstand als Vizepräsidentin wählte sie ein besonderes Outfit mit feministischem Hintergrund (siehe unten).
„Harris definiert sich weder extrem über ihre Weiblichkeit, noch versucht sie, ein maskulines Politikerbild zu kopieren“, sagt Sauer. „Sie ist frisch, kommt nicht aus dem Polit-Establishment und signalisiert: Als Frau in der Politik werde ich meinen eigenen Stil gestalten.“ Als Demokratin tritt sie zudem für das Recht auf Abtreibung ein und unterstützt die LGBTQ-Community.
Noch etwas eint die neuen „Superwomen“ in Washingtons Machtzentrale: Beide sind Stiefmütter, haben – nach Tod und Scheidung – die Kinder ihrer Ehemänner mit-erzogen (Jill und Joe Biden haben zudem eine gemeinsame Tochter, Ashley). In einem berührenden Essay in der Elle zeichnete Harris im August den Alltag einer modernen amerikanischen Familie, schwärmte von ihrer Rolle als „Momala“ und wie sehr ihr Cole und Ella, die inzwischen erwachsenen Kinder ihres Mannes, ans Herz gewachsen seien: „Sie sind mein endloser Quell der Liebe und Freude“, auch die Beziehung zur leiblichen Mutter der beiden sei hervorragend.
Hintergrund
Geboren 1964 in Oakland, Kalifornien. Ihre Mutter, eine Biomedizinerin, emigrierte 1958 aus Indien in die USA, ihr Vater, ein Wirtschaftsprofessor, ist gebürtiger Jamaikaner
Ausbildung
Harris studierte Politik und Wirtschaft an der Howard University sowie Rechtswissenschaften an der University of California
Familie
2014 heiratete sie den geschiedenen Anwalt Douglas Emhoff (56) und wurde Stiefmutter seiner Kinder Cole (25) und Ella (21). Sie nennen sie „Momala“
„Das ist schon bemerkenswert und ein Gegenkonzept zu den traditionellen amerikanischen family values, in denen die Frau als biologische Mutter eine ganz zentrale Rolle einnimmt“, sagt Politologin Sauer. Dennoch: Mit ihren Familienverhältnissen bildet die künftige Vizepräsidentin eine Realität ab, die schon lange in der amerikanischen Gesellschaft angekommen ist.
Auch in Österreich ist fast jede zehnte Familie mit minderjährigen Kindern eine „Stieffamilie“, Tendenz steigend, sagt die Soziologin Sonja Dörfler-Bolt vom Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF). „Die ’heile Familie’ wird in den USA auf Werteebene noch höher propagiert, auch wenn es nicht unbedingt der Realität entspricht. Das Patchwork-Modell im Weißen Haus trägt sicherlich zu einer gewissen Normalisierung bei. Kamala Harris hat nun die Chance, die Rolle der Stiefmutter stärker in die Öffentlichkeit zu rücken und dieses Image ein Stück weit zu beeinflussen.“
Hintergrund
Geboren 1951 in New Jersey als älteste von fünf Schwestern
Ausbildung
Dr. Jill Biden hat zwei Masterabschlüsse und wurde 2007 promoviert. Als Englischlehrerin setzte sie sich vor allem für Kinder mit Lernschwächen ein
Familie
Nach einer kurzen Ehe mit Bill Stevenson lernte sie 1975 bei einem Blind Date den jungen Witwer Joe Biden kennen. Sie übernahm die Mutterrolle für seine Söhne Hunter und Beau, 1981 kam ihre gemeinsame Tochter Ashley zur Welt
Die Kulturwissenschafterin und Betreiberin des Podcasts „Große Töchter“ Beatrice Frasl hält es jedoch für verkürzt, aufgrund des Wahlergebnisses von einem neuen feministischen Zeitgeist in den USA auszugehen. „Ja, bei vielen haben die letzten Jahre, #MeToo, die Präsidentschaft Trumps, die – teilweise feministischen – Proteste etwas bewirkt, viele begeben sich aber in Opposition zu diesen Entwicklungen und pochen ’jetzt erst recht’ auf ein reaktionäres Männer- und Frauenbild“, gibt sie zu bedenken. Bleibt abzuwarten, ob Kamala Harris und Jill Biden ihre gespaltene Nation auch in dieser Hinsicht wieder näher zueinander führen können.
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