Der gebürtige Deutsche, der in Baden bei Wien lebt, identifiziert sich als asexuell – zwar verspürt er ab und zu sexuelle Erregung, hat aber kein Bedürfnis, diese mit einer anderen Person auszuleben. Gelegentliches Masturbieren diene rein dem Druckabbau und sei für ihn ein Vorgang "wie an der Nase kratzen". Im Gespräch mit dem KURIER räumt er gleich mit einem gängigen Vorurteil auf: „Ich sehne mich genauso nach Berührung und Zärtlichkeit und würde mich gerne verlieben. Nur die Penetration kann gern wegbleiben.“
Vogl gehört einer Bewegung an, die durch das Internet immer sichtbarer wird. Die größte Plattform, das Asexual Visibility and Education Network (AVEN), schätzt, dass sich etwa 1 Prozent der Bevölkerung als asexuell identifiziert. Die Studien sind 20 Jahre alt, seitdem wurde wenig geforscht. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein, das beobachtet auch Vogl in seinem Umfeld: „Ich kenne sehr viele, die ähnlich ticken, aber nicht offen darüber sprechen. Wir leben in einer übersexualisierten Gesellschaft, wer keinen Sex hat, gilt schnell als abnormal. Vor allem als Mann ist man einem Leistungsdruck ausgesetzt.“ Auch er habe sich anfangs gefragt, was mit ihm falsch sei. „Es nimmt viel Druck, wenn man dazu steht.“
Viele Asexuelle leiden indirekt, weil es ein gesellschaftliches Stigma gibt, sagt der Psychotherapeut Florian Friedrich. Vorurteile halten sich hartnäckig, es brauche Aufklärung, auch in Schulen. „Asexualität ist keine psychische Störung und auch keine freiwillige Entscheidung. Wie bei anderen sexuellen Orientierungen spielen bei der Entstehung genetische Dispositionen und die Entwicklung in den ersten Lebensjahren eine Rolle“, sagt der Therapeut.
Das Spektrum von Asexualität/Aromantik (in der Szene Ace/Aro genannt) ist breit: Manche verspüren niemals Lust, andere sehr selten (grey-asexuell). Nicht jeder ist aromantisch, viele verlieben sich, wollen Beziehungen, aber eben ohne Geschlechtsverkehr. Demi-asexuell bedeutet, dass man nur mit jemandem schlafen will, dem man emotional nahe ist.
Anders als bei Homosexuellen fehlte es bisher an medialen Vorbildern. Das ändert sich nun – eine der schillerndsten Botschafterinnen ist Yasmin Benoit, Dessous-Model mit 40.000 Instagram-Abonnenten. In den sozialen Medien spricht sie offen über ihre Un-Lust, widerlegt Klischees und initiierte den ersten „International Asexuality Day“, der gestern stattfand.
Für Menschen wie Oliver Vogl ein wichtiges Zeichen, dass sie mit ihren fehlenden Trieben weder alleine noch abnormal sind. Der 42-Jährige weiß, dass seine Lust nicht mehr zurückkehren wird, und wünscht sich eine Partnerin, die ähnlich denkt. Den Traum von einer Familie hat er noch nicht aufgegeben. „Ich hätte gerne Kinder – aber ‚just for fun‘ ist Sex für mich nichts mehr.“
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