Beziehung in der Corona-Krise: Trennen oder nicht?

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Corona belastet Familien enorm. Jetzt fragen sich viele Paare, ob ihre Beziehung eine Zukunft hat.
Experten und Meinungsumfragen prognostizieren eine Welle an Trennungen, in China stieg die Scheidungsrate nach dem Lockdown. Mediatorin Sophia Bolzano sieht die Auswirkungen von Corona und begleitet Paare beim Streiten, Zusammenraufen und Auseinandergehen.
KURIER: Immer nach dem Urlaub gibt es mehr Trennungen als sonst. Die Corona-Phase kommt da als Belastung dazu. Wie wirkt sie sich aus?
Sophia Bolzano: Die Paare waren noch mehr unter Druck und mussten gemeinsam funktionieren, mit Kindergarten- und Volksschulkindern stießen die Eltern absolut an ihre Grenzen – weil es überhaupt keinen Freiraum mehr gab, keine Rückzugsmöglichkeit zum Verschnaufen. Keine Schule, kein Babysitter, keine Großeltern – was macht das mit sonst liebevollen Eltern? In vielen Familien wurde kaum mehr gesprochen, nur noch Aufgaben verteilt. Unwichtige Konflikte haben sich entzündet, auch vor den Kindern – was gar nicht sein soll. Es ist wie ein Druckkochtopf. Mit dieser Erschöpfung sind die Familien in den Urlaub gefahren und haben sich Erleichterung erhofft. Das funktioniert nie. Wenn Eltern keine Gemeinsam-Zeit mehr haben – Alarm!
Wie weiß man, ob es eine Krise ist oder das Ende der Beziehung?
Überlegen Sie sich, was Sie am anderen vermissen würden, wenn er nicht da ist. Wenn Sie merken, Sie sind nur erleichtert, dann ist es besser, die Beziehung zu beenden. Ich habe Klienten, die sich jetzt eine Auszeit nehmen, um mit etwas Distanz zu spüren, ob sie noch weitermachen können. Deren Kinder sind schon größer. Man kann natürlich auch gemeinsam in eine Beratung gehen.
Was macht man in der Beratung?
Man sieht sich an. welche Gemeinsamkeiten man noch hat. Am Anfang einer Beziehung ist Unterschiedlichkeit sehr sexy, aber im Konflikt ist es mühsam. Männer und Frauen haben auch oft verschiedene – klischeemäßige – Kommunikationsstile: Die einen wollen Probleme besprechen, die anderen sie schweigend aussitzen. Ich habe mit vielen gesprochen: Männer gehen in einer Krise lieber auf den Berg oder gehen Radfahren. Frauen nehmen ihre Männer in eine Therapie. Es braucht dann nicht immer einen professioneller Berater sein, aber eine Außensicht.
Welche andere Fragen sollte man sich stellen?
Ich arbeite gerne mit absurden Fragen, genannt paradoxe Intervention: Wie könntest du es noch schrecklicher machen? Was würdet ihr machen, wenn ihr nur noch zwei Monate zu leben habt? Was hast du am Anfang an ihm gemocht? Wenn ein Paar sich eigentlich mag, aber ständig zerfleischt, muss man herausfinden, woran es liegt. Oft ist es die Kommunikation oder sind die Erwartungen falsch oder eigenen Bedürfnisse sind zu kurz gekommen. Die meisten, die zu mir kommen, stellen fest: Ich will ihn oder sie ja eigentlich nicht verlassen. Die hocheskalierten Konflikte brauchen noch mehr Aufmerksamkeit und landen oft direkt beim Scheidungsanwalt.
Erkennt man als Beraterin sofort, ob das Paar eine Chance hat?
Ich frage die Säulen der Beziehung ab. Liebe, Wertschätzung, blindes Vertrauen, Zärtlichkeit, Sexualität, Freiraum. Auf einer Skala von 1 bis 10. Das blinde Vertrauen ist oft der Knackpunkt. Wenn das auf beiden Seiten gut ausgeprägt ist, haben Eifersucht und Untreue keine Chance.
Sind Zärtlichkeit und Sex voneinander zu trennen?
Liebevolle Gesten im Alltag zeigen den Zusammenhalt, auch wenn man keinen Sex hat. Und man kann Sex aus dem Bedürfnis heraus haben, ohne dass man Nähe verspürt.
Wer bietet eine Außensicht?
Es hilft schon, wenn ein Paar sich gemeinsam mit Freunden trifft, sie können auch Feedback geben. Kinder beobachten sehr genau und sprechen das auch manchmal aus. Wenn sie fragen, ob man sich scheiden jetzt scheiden lässt, dann ist es höchste Zeit, sich Klarheit zu verschaffen.
Oft geht es nicht nur um Gefühle, sondern pragmatisch um Geld: Kann man nach der Trennung den Lebensstandard halten.
Gerade für Frauen ist das ein großes Thema. Aber ich glaube, dass man in einer kaputten Beziehung auf Dauer emotional untergeht. Und die Kinder auch.
Wie kann man eine Auszeit den Kindern erklären? Und wie erklärt man ihnen eine Trennung?
Erst müssen es die Eltern besprochen haben und dann sagen sie gemeinsam: ’Wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.’ Dass man nicht mehr so verliebt ist wie früher. Dass man über vieles streitet. Was man die nächsten Schritte sind. Und dass man immer Mama und Papa bleiben wird.
René Huber leitet die Ambulante Familienarbeit von SOS-Kinderdorf in Tirol. Was rät er?
#1 Gute Vorbereitung
Seien Sie ehrlich zu sich selbst: Warum habe ich das noch nicht angesprochen? Wie fühle ich mich bei der Vorstellung, es zu tun? Was wäre das Schlimmste, das geschehen könnte? Schreiben Sie auf, was Sie erzählen wollen, warum Sie es jetzt tun und bislang nicht die Kraft dazu hatten. Legen Sie Dinge bereit, die man angreifen kann: Fotos, Briefe, Zeitungsartikel oder Erinnerungsstücke helfen Kindern, das Gesagte zu „be-greifen“.
#2 Der perfekte Zeitpunkt ist JETZT
Es wird nie den richtigen Zeitpunkt geben. Aber es wird immer schwerer, je länger man wartet. Je länger das Geheimnis aufrecht bleibt, desto mehr Folgelügen werden aufgebaut und mit ihnen vergrößert sich die Distanz zu Ihrem Kind.
#3 Fakten sind fad
Es sind die Fakten, also das bislang Verschwiegene, die uns schwer im Magen liegen. Dabei sind diese für Kinder gar nicht das Wichtigste. Kinder brauchen die ganze Geschichte. Zwei Dinge sind noch wichtiger als die faktische Wahrheit: das Warum und das Wozu. Betten Sie alle Infos, die Sie Ihrem Kind geben, also gut ein und erzählen Sie die Geschichte inklusive Ihrer Beweggründe und Gefühle.
#4 Wahrheit befreit
Kinder haben feine Antennen. Sie haben schon lange vor einem Gespräch bemerkt, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Aber gerade sensible Kinder fragen selten von sich aus nach. Sie merken, dass ihre Eltern besorgt und angespannt sind. Also ziehen sie sich zurück und schotten sich ab. Bei der Ambulanten Familienarbeit in Tirol sehen wir immer wieder, wie Kinder und deren Eltern aufblühen, wenn ein schwieriges Thema besprochen wurde. Vorher wurde die Energie zum Stillhalten gebraucht. Das beeinflusst auch den Schulerfolg und andere Ziele.
#5 Dran bleiben & eigene Gefühle ansprechen
Lassen Sie die neue Wahrheit im Alltag immer wieder einfließen. So zeigen Sie, dass es Ihnen mit der Offenheit ernst ist. Stehen Sie zu Ihren Gefühlen, auch den Ängsten. Sprechen Sie diese von sich aus an. Das hilft Ihrem Kind, seine eigenen Emotionen einzuordnen und einen inneren Kompass zu entwickeln.
#6 Rückzugsmöglichkeiten schaffen & in Kontakt bleiben
Enthüllungen können verschieden gewichtig sein. Lassen Sie sich und Ihrem Kind Zeit, alles zu verarbeiten. Oft lösen schwierige Themen gleichzeitig Trauer, Unverständnis, Wut, Sehnsucht aber auch Zuneigung und Hoffnung aus. Denken Sie daran, dass Sie durch Ihre Vorbereitung einen Vorsprung haben. Fragen Sie nicht frontal: „Und? Wie geht es dir damit?“ Halten Sie Pausen aus und geben Sie Hilfestellungen: „Ich kann mir vorstellen, dir geht es …“, „Als ich so alt war wie du, habe ich mich oft … gefühlt.“, „Ich kenne da die Martha. Die baut sich in solchen Situationen gerne eine Kuschelhöhle.“
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