Leise Rebellin

Leise Rebellin
Filmemachen ist angewandte Psychologie für Jessica Hausner. Um das Geheimnis der wahren Gefühle, den absurden Witz der Wirklichkeit in Bildern zu verkleiden. Ihr historisches Kammerspiel „Amour Fou“ eröffnet die Viennale.
Von Ro Raftl

Geheimes Rebellentum vordergründig angepasster braver stiller Frauen. Eine besondere Art der Widerborstigkeit, etwas, das den Erwartungshaltungen nicht entspricht. Das interessiert mich“, sagt Jessica Hausner, und bestellt den zweiten Kaffee. Im diesigen Vormittagslicht, zwischen Glas, weißen Kunststoffmöbeln, dem Grün von Zimmerpflanzen, einer mächtigen Käsevitrine. Am Wiener Karmelitermarkt, im angesagten Avantgarde-Viertel für Künstler und solche, die es gern wären. Essen? „Na, wir kochen dann zu Hause.“ Sie und das Au-pair-Mädchen von Ben, viereinhalb. Ob der schöne wilde Markus Binder, der Schlagzeuger und Sänger der Attwenger, kocht, hab’ ich nicht gefragt. Seit acht Jahren in Jessica Hausners Leben, hält er sich (bei ihren Geschichten) lieber „incognito“. Später erzählt sie, dass er sehr unkonventionell „unserem Sohn lauter Sachen beibringt, die man eigentlich nicht machen soll. Ich finde es super, dass es fast immer sehr lustig bei uns zugeht“. Gekocht werden nur sehr einfache Sachen: Dinkelnudeln mit Gemüse und Salat. Wir sind voll auf der Bio-Welle. Kaufen bei denn’s ein“, pointiert sie, als zeichne sie eine Karikatur. Sprudel müsste her: Amour Fou, „inspiriert durch das Leben und den Tod des Dichters Heinrich von Kleist und seiner Sterbepartnerin Henriette Vogel“, wird die Viennale eröffnen. Hausner, mädchenhafte 42, Produzentin, Drehbuchautorin, Regisseurin, seit den Anfängen mit Preisen und Festivaleinladungen gepolstert, hatte es mit ihrem vierten Film zum dritten Mal in der Sektion Un Certain Régard zu den Filmfestspielen Cannes geschafft. Eine Ehre. Auch, wenn sie diesmal „eigentlich“ ganz gern für den Hauptwettbewerb nominiert worden wäre. Sie konstatiert es. Ohne ehrgeizig hechelnde Bitterkeit. Stellt’s einfach fest. Sehr schlank, in der aktuellen scheinbar absichtslosen Einfachheit gestylt: Schwarz mit ein wenig Türkis als Blickfang an der Jacke. Blond. Großnasig. Leicht melancholischer Schlafzimmerblick aus sehr großen wasserblauen Augen: „Von Großvater Bobby. Das hat mein Vater gesagt. Er hat ihn auch gemalt. Ich hab’ meinen Großvater nicht mehr gekannt.“ Sohn Ben habe die dunklen Augen vom Vater. Der Ton: Geschliffenes Deutsch, wienerisch weich wie gesungen. Schöner Klang, changierend zwischen dezidierter Klarheit und verspielter Kindlichkeit, der Inspiration vertrauend. Unterlegt mit leichtem Lachen und selbstironisch gedehnten Worten – um der Empörung das Giftige, der Liebe das Schwülstige, der Sehnsucht das Kitschige zu nehmen.

Ratte sei sie im Chinesischen Horoskop, sagt sie, und dass ihr die Beschreibung ihres Charakters dort gefalle: Individualistisch, heiter, umwerfend charmant, mit messerscharfem Verstand, Lebenskünstlerin, gerne unabhängig und dadurch ein bisschen undurchschaubar ... Ein Geheimnis der Filme Jessica Hausners, vier sind es nach ersten Video- und Kurzfilmversuchen: „Ihre unterkühlte, nüchterne Erzählweise, die sich jeder psychologischen Deutung enthält“, hat die Die Presse diagnostiziert. Amour Fou will die Autorin „als Parabel auf die Ambivalenz der Liebe“ gelesen wissen. Auf „die Absurdität, die dem Unterfangen innewohnt, aus Liebe gemeinsam Selbstmord zu begehen“. Jeder stirbt ja doch für sich allein. Und. Henriette, verheiratet, ein Kind, zum Schattenwesen im Käfig der Konventionen erstarrt, ist gar nicht Heinrichs erste Wahl beim Sterbeplan. Das war die Cousine, die ihm zwar liebevoll lauscht, sich aber dann doch mit einem verlobt, der mehr Spaß verspricht. Absurden Witz hatte das für JH, die Widerborstige, beim Lesen der Dichter-Biografien, beim Schreiben, beim Drehen. Auch die Tatsache, dass so viele Depressive vor der Umwelt gesunde Munterkeit simulieren, habe sie interessiert. Die Wanderung den Grat entlang, an dem das scheinbar Normale ins Neurotische bis zum Absturz kippt. Heinrichs vorgebliche Heiterkeit war ihr wichtig für den Film, „damit er nicht tragisch wird“. Wurde er nicht. Man staunt über eine lächerlich verzweifelt idealistisch verzerrte Flucht aus einem ästhetisch vollkommenen Marionettentheater. Das seidige Fell des Hundes erinnert sich so deutlich wie das schrill und das schlicht gesungene Lied vom Veilchen. Die Geheimnisse der wahren Gefühle bleiben intakt. Eine Technik, die dem FAZ-Kinokritiker schon bei Hausners Debütfilm Rätsel aufgab: „Lovely Rita entzieht sich voreiliger Erklärungen ... ohne eine Moral von der G’schicht ... Das widerspricht so sehr unseren Sehgewohnheiten, dass man es nur schwer aushalten kann: Man fühlt sich versucht, die Lücke zu füllen. Denn Main-Stream-Kino und Common Sense haben uns gelehrt, dass jede Handlung erklärbar ist.“ Sein Fazit: „Lovely Rita zeigt uns jene Rätselhaftigkeit und Unerklärlichkeit, die menschliches Verhalten oft hat. Es ist ein beeindruckender Film.“

Über Hausners Opus III, das den Wiener Filmpreis gewann, orgelte wiederum die Kritikerin des deutschen Wochenmagazins Die Zeit: „In Lourdes ist Lourdes ganz bei sich angekommen.“ Obwohl. Besonders froh war der Vater nicht, dass alle drei Töchter in künstlerischen Berufen gelandet sind. Die Älteste, Halbschwester Xenia Hausner, hat Jus studiert, bevor sie erst Bühnenbildnerin und dann Malerin wurde, ebenso Kostümbildnerin Tanja, Jessicas zwei Jahre älteres Inséparable, die ihre Filme ausstattet. „Nur ich bin direkt nach der Schule auf die Filmakademie gegangen.“ Fasziniert von Sigmund Freuds Buch Die Traumdeutung schrieb Jessica alle ihre Träume auf, versuchte sie zu deuten, inskribierte folglich auch Psychologie, „aber das war dann doch zu theoretisch. Filmemachen ist angewandte Psychologie!“, triumphiert die jüngste Tochter des Malers Rudolf Hausner melodiös, aber nobel leise. „Wir haben viel im Wald gespielt“, kommentiert sie trocken die Regeln und Konventionen eines Familienlebens „mit einem Patriarchen wie aus dem 19. Jahrhundert“, in einem großen Garten im Mödlinger Grün mit drei Hunden. „Oje, mein Sohn hat noch nie ein Reh gesehen ... Oja, im Zoo. Wir sind Stadtmenschen. Doch mir fehlt nichts.“

So mühsam war das Ausgehen als Teenager! Die letzte Schnellbahn musste erwischt werden. Mit 18 hat sie sofort den Führerschein gemacht. Ist nach Wien gezogen. „Hab’ viel gestritten mit dem Vater, bin in Opposition gegangen. Er hätte mein Großvater sein können, 58 Jahre älter als ich. Fördernd, aber auch bissl erdrückend.“ Seine Haltung allerdings „dass man als Künstler nur das macht, was man selbst für gut und richtig hält“, hat sie übernommen: „Ein Credo, das mir bis jetzt sehr geholfen hat.“

Sechzehnjährig, als Zögling des Ursulinenklosters, verfasste sie Kurzgeschichten. Bis sie mit ihrem ersten Freund, dem Sohn eines ORF-Dokumentarfilmers, mit einer Videokamera zu experimentieren begann – „damals hatte sowas auch nicht jeder“ – und Kurzfilme zu ihren Kurzgeschichten drehte: „Dieser Unterschied, wenn das Bild zur Sprache kommt! Das Bildermachen hat mich sofort begeistert.“ Die Filmakademie nichtsdestotrotz ein wenig ernüchtert. Axel Corti, ihr erster Professor, mochte ihren schwarzen Humor, das Trockene, Skurrile „ü-ber-haupt nicht“, versuchte, es ihr auszureden. Erst Wolfgang Glück „war der Ansicht, man müsse selber wissen, was man will“. Nicht der Lehrer. Irgendwann schrieb sie Michael Haneke, dass sie seine Filme toll finde, und werkte als „kleine Assistentin bei Funny Games“, castete das Kind, überwachte die Videoausspielungen. Doch. „Es liegt mir nicht besonders, auf fremden Sets zu arbeiten. Ich erzähl’ lieber etwas von mir selbst in eigenen Filmen.“

Wie man als Filmemacher überlebt? „Na ja. Bis jetzt ist es sich immer ganz gut ausgegangen. Ich brauch’ sehr lange, um zu recherchieren, sammle sehr viele Details, die ich vielleicht gar nicht verwende. Nach Lourdes bin ich ,tausendmal’ hingefahren, für den Kleistfilm hab ich viele politische Bücher und Alltagsbeschreibungen aus der Zeit gelesen. Bei beiden hat es viereinhalb Jahre vom ersten Moment bis zur Fertigstellung gedauert ... Okay, die Förderungen funktionieren. Es gibt Entwicklungsgelder, schon für das Drehbuch, doch würde ich nur als Autorin zwei Jahre am Buch arbeiten, ginge sich das nicht aus. 1999 haben wir – Barbara Albert, Antonin Svoboda, Martin Gschlacht und ich – die Coop99-Filmgesellschaft gegründet. Der beste Weg, sich auf uns selbst zu verlassen. Da arbeite ich manchmal an Schnitt und Casting mit, andere machen Dramaturgie ... und bei Lourdes haben auch Preisgelder die Lebensdauer verlängert.“ Guten Mutes sei sie, dass ihr immer etwas einfallen wird.

Lovley Rita, ihren Erstling über eine 15-Jährige, die ihre Eltern umbringt, also die logische Folge innerer Opposition. Frei nach der bekannten Theorie über den „Vatermord“ als Befreiungsschlag – der sich aber auch immer nur auf Männer bezog. Ein Mädchen sollte es sein, und Hausner fand einen echten Fall in den Justizakten, erzählte ihn filmisch verfremdet. Die Mutter, 70, auch eine Malerin, bewies Humor. Der Vater war tot. Im Februar würde er 100 Jahre. „Einer seiner Sammler, der Reinhold Würth, macht eine große Ausstellung in Künzelsau, und die ganze Familie fährt hin. Mutter, Schwestern, Männer, Kinder. So oft wurde bei uns beklagt: „Lauter Individualisten. Jeder macht nur seine Sache. Doch in Wirklichkeit haben wir einen schönen Familienzusammenhalt. Tanja ist mir besonders nahe. Sie hat mich schon als Kind verkleidet. Ich fand es lustig, mich anzuziehen. Sind ja auch Rollenspiele.“ Klamotten? „Beglückend wichtig!“ Die blonde Tanja mit dem wilden Wuschelkopf hat zwei blonde Töchter. „Sie sehen so aus, wie wir als Kinder ausgesehen haben. Und sie spielen mit Barbies wie wir. Als ich erfahren hab’, dass ich einen Buben bekomme, war ich zuerst total verschreckt beim Gedanken an diese Bubenspiele: Fußball, Piraten, Ritter, Autos, Bausteine. Etwas gewöhnungsbedürftig. Doch jetzt kenn’ ich schon alle Traktorsorten.“ 38 war sie, als das Kind kam, „halbwegs konsolidiert“ im Beruf. Wichtig, um in aller Gelassenheit und Liebe Zeit mit ihm zu verbringen. „Als Zwanzigjährige wär’ ich bestimmt nervös geworden.“ Sonderbar erscheint ihr bloß, dass man als Mutter sofort „moralisch“ von der Gesellschaft beurteilt wird, dass jeder glaubt, er kann sich in die Erziehung einmischen. „Als ich noch vor Bens Geburt ein Au-Pair-Mädchen gesucht hab’, damit von Anfang an alles gut läuft für das Kind, wiegte die Frau beim AMS den Kopf, ob das denn gut sei. Ich find’s super. Er liebt seine ungarische Dora heiß. Das Wort Rabenmutter gibt’s nur in Österreich und in Deutschland.“ Jetzt lacht sie nicht mal: „Als ich Kind und Au-pair nach Luxemburg und nach Potsdam zu Dreharbeiten mitnahm, stellten die Luxemburger das Kinderbett im Hotel automatisch ins Zimmer des Au-pair. In Potsdam automatisch in mein Zimmer. Es gibt schon noch allerhand zu tun im Feminismus.“ Fast zärtlich wie mit einer kostbaren Antiquität geht Jessica Hausner in Amour Fou mit Henriette Vogel um. Lässt das Rätsel offen, ob sie Analogien zu ihr spürt. „Ich bin jetzt die, die sie schon von Anfang an in mir sahen“, sagt Henriette zu Heinrich. Irgendwann in der Mitte des Films. Es war der erste Satz in Hausners Manuskript im Kopf, inspiriert von dem Buch des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek über den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan. „Man möchte, dass der andere ein Spiegelbild ist. Möchte die Person sein, die er lieben kann. Möchte, dass er genau der ist, den ich in ihm sehe.“ So viele Missverständnisse.

Kommentare